„Frankfurt liest ein Buch“ hat begonnen

Gestern Abend startete in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt das siebte Festival Frankfurt liest ein Buch [mehr…] mit gleich acht Vortragenden.

Ute Schwens, Direktorin der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt, begrüßte die vielen Gäste – der große Saal des Hauses war ausverkauft.

„Die Reihe Frankfurt liest ein Buch ist seit sechs Jahren ein Erfolg und wird das wohl auch im siebten Jahr sein. Sie bietet einen wunderbaren Anlass, miteinander ins Gespräch zu kommen – quer durch alle Bevölkerungsschichten“, sagte Schwens.

Frankfurts Kulturdezernent Felix Semmelroth bemerkte: „Der Saal ist voll – das stimmt zuversichtlich. Und ein massiver Besucherrückgang bei den folgenden rund 80 Veranstaltungen ist erfahrungsgemäß nicht zu befürchten.“
Der Stadtrat verwies auf Parallelen: Die Protagonistin in Dieter David Seuthes Roman Frankfurt verboten, Elise Hermann, sei wie Paul Hindemith von Aufführungsverboten in der NS-Zeit in Frankfurt betroffen gewesen.

Verleger Rainer Weiss, weissbooks.w, dankte allen, die das Buch ermöglichten. Der Roman versuche eine Antwort auf die Frage, wie es zu solch unmenschlichem Verhalten während des NS-Regimes kommen konnte. Weiss sei in den letzten Wochen manchmal angesprochen worden, warum es noch ein Buch über diese Zeit geben müsse. Es sei doch schon so viel darüber geschrieben worden. „Es muss sein. Ein schonungsloser Umgang mit der Vergangenheit ist notwendig“, unterstrich der Verleger und verwies auf die Worte Jean Amérys auf der 2001 angebrachten Gedenktafel am Portal des Poelzig-Baus der Goethe-Universität Frankfurt: Niemand kann aus der Geschichte seines Volkes heraustreten. Man soll und darf die Vergangenheit nicht ‚auf sich beruhen lassen’, weil sie sonst aufstehen kann und zu neuer Gegenwart werden könnte.

„In der letzten Nacht kam es auch in Frankfurt wieder zu nazistischen Schmierereien. Allen sollte bewusst sein: Die Spaßgesellschaft ist vorbei, wir müssen wieder politischer werden“, sagte Rainer Weiss und griff damit die Forderung von Alexander Skipis zur Leipziger Buchmesse auf.

Theaterchef Willy Praml begann den Vorlesereigen und führte in das Buch ein. Elise Hermann und ihre an Grauem Star leidende Großmutter Louise werden vorgestellt. Louise hatte als fünfjähriges Mädchen noch Clara Schumann und Johannes Brahms sowie die „schwedische Nachtigall“ Jenny Lind bei einem Konzert erlebt und in Erinnerung und Verehrung für die berühmte Pianistin ihre Tochter, Elises Mutter, Clara genannt.

Die Schülerin Maja Klostermann setzte fort und las von der Idee eines ersten Konzerts von Elise Hermann, um damit Geld für eine Augenoperation ihrer geliebten Großmutter Louise zu sammeln.

Tigerpalast-Direktor Johnny Klinke trug die erste wichtige Begegnung zwischen Elise und der engagierten Sozialdemokratin Rosa Bamberg vor.

Autorin Monika Held schilderte das Benefizkonzert und dessen Störung durch die Hitlerjugend.

Dieter Graumann, ehemaliger Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, las von Elises erstem Besuch in Frankfurt und einer besonderen Stadtführung. Elise freute sich über den Schimmel-Flügel bei den Bambergs, bei denen sie als Stipendiatin an Dr. Hoch’s Konservatorium wohnen wird.

Wirtschaftsjournalist Stefan Wolff zitierte aus einem Brief Elises an die Großmutter, in dem die Klavierstudentin vom Leben in Frankfurt und von Dr. Hoch’s Konservatorium berichtet.

Literaturreferentin Sonja Vandenrath trug die Passage vor, in der sich Elise auf ihr Wettbewerbskonzert in Konstanz vorbereitete – es soll Ende Mai 1930 stattfinden. Wenige Tage vor dem Konzert stirbt Elises Großmutter Louise. Doch das Konzert lässt Elise nicht ausfallen, Louise hätte es genauso gewollt – die junge künftige Pianistin musste spielen.

Franziska Nori, Direktorin des Frankfurter Kunstvereins, schloss mit der Schilderung einer Demonstration am 3. Februar 1933 gegen den Abbau der Demokratie. Doch am 5. März 1933 stimmten 44,1 Prozent aller Frankfurter für die NSDAP – 0,2 Prozent mehr als im Reichsdurchschnitt. Eine Woche später bei den Kommunalwahlen kam die NSDAP sogar auf 47,7 Prozent.
Elise Hermann erhielt Ende März 1933 einen Brief vom Adjutanten des Frankfurter Gauleiters: Außerdem mache ich Sie darauf aufmerksam, dass für Sie als jüdische Kulturschaffende ab sofort öffentliche Auftritte in Frankfurt verboten sind …

Nach dieser achtfachen Einstimmung trat der Autor Dieter David Seuthe, der das Buch seinem vierjährigen Enkel Remmi gewidmet hat, ans Pult: „Ich habe das Buch vor vier Jahren geschrieben, es bewegt mich noch immer.“ Den Inhalt brachte er in einem Satz auf den Punkt: Beruf, Heimat, Liebe, Leben verboten.

„Gegenwärtig sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht – strecken wir ihnen unsere Hände aus“, schlug Seuthe eine Brücke zur Gegenwart.

JF

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