Sind die Worte eines Verbrechers kommerzialisierbar? Warum Random House keine Tantiemen für Goebbels Zitate zahlt

Die SZ und der SPIEGEL berichteten, dass der Siedler Verlag von der Nachlassverwalterin von Joseph Goebbels verklagt wurde, weil er ihr keine Tantiemen aus der Goebbels-Biografie von Peter Longerich zahlen will.

Hier die Stellungnahme von Rainer Dresen, dem Justitiars des Verlages, zu den Hintergründen:

„Im Herbst 2010, kurz vor der Buchmesse, die Bücher waren schon gedruckt und sollten ausgeliefert werden, meldete sich eine Rechtsanwältin Schacht bei uns und behauptete, sie sei die Bevollmächtigte der Erben von Joseph Goebbels. Deshalb sei sie berechtigt, Tantiemen für die Zitate aus Goebbels-Tagebüchern zu verlangen, die unsere Biographie natürlich enthielt. Zuerst dachten wir, dass sich da jemand einen sehr schlechten Scherz mit uns erlaubt, aber nach kurzer Recherche erfuhren wir, dass es tatsächlich Erbscheine und Gerichtsurteile gibt, die diesen uns abenteuerlich erscheinenden Anspruch zu stützen schienen.

Nicht zuletzt deshalb hat offenbar bislang jeder, der sich mit den Goebbels-Tagebüchern befasste, von SPIEGEL und STERN über namhafte Buchverlage, brav an Frau Schacht gezahlt. Vor diesem Hintergrund und nur um die uns angedrohte Einstweilige Verfügung und damit einen Buchstopp zu vermeiden, haben wir Frau Schacht eine Beteiligung zugesagt. Der Gedanke nämlich, dass die Tochter von Hitlers Reichsbankpräsidenten und Reichswirtschaftsministers Hjalmar Schacht im Namen der Familie Goebbels, des Hauptverantwortlichen für Schandflecke der deutschen Geschichte wie der großen Bücherverbrennung von 1933, der Reichspogromnacht von 1938 und der Pflicht, einen Judenstern zu tragen, ein Buchverbot gegen uns erwirkt, dem Verlag von u.a. Daniel Goldhagen, Willy Brandt oder auch Tom Segev, erschien uns nicht hinnehmbar.

Wir hatten natürlich nie vor, diese „Vereinbarung“ ernst zu nehmen. Wir haben sie deshalb, nachdem sich die Biographie erfolgreich im Handel behauptet hatte, wegen Sittenwidrigkeit und rechtlicher Unmöglichkeit für unwirksam erklärt. Wir haben überhaupt keinen Zweifel daran, dass die Worte eines der größten Verbrechers der Geschichte nicht kommerzialisierbar sein können. Überdies hatte Goebbels nach unserer Auffassung schon gar keine Rechte an seinen Tagebucheinträgen, die er vererben hätte können. Die Nutzungsbefugnis hatte er laut eigenem Tagbucheintrag („Ich verkaufe Amann meine Tagebücher. 20 Jahre nach meinem Tode zu veröffentlichen. Gleich 250.000 Mark und jedes Jahr laufend 100.000 Mark. Das ist sehr großzügig. Magda und ich sind sehr glücklich.“) an den damaligen parteieigenen Eher Verlag und dessen Verleger Max Amann verkauft.

Dessen einschlägiger Rechtebestand, zu dem u.a auch Hitlers „Mein Kampf“ gehörte, wurde nach dem Krieg durch Alliiertes Kontrollratsgesetz auf den bayerischen Staat übertragen und wird seitdem vom Bayerischen Finanzministerium verwaltet. Während man sich dort zu Recht sehr restriktiv zeigt, was die Nutzung von „Mein Kampf“ betrifft, fühlt man sich für Goebbels erstaunlicherweise gar nicht zuständig. Auf unsere explizite Nachfrage erklärte man, dass das Eher-Verlagsarchiv leider im Krieg verbrannt sei und deshalb nicht sicher feststehe, ob Goebbels die Rechte tatsächlich dorthin übertragen habe. Mit anderen Worten: Deshalb, weil Goebbels‘ Durchhalteparolen vom „Totalen Krieg“ den Luftkrieg verlängerten und deshalb neben vielen anderen Städten auch München in Schutt und Asche gelegt wurde, kann „leider“ nicht der schriftliche Nachweis geführt werden, dass Goebbels tatsächlich einen Verlagsvertrag geschlossen hat. Und dies, obwohl Goebbels den Vertragsschluss selber bestätigt und ein erster Band („Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei. Eine historische Darstellung in Tagebuchblättern (Vom 1.Jan. 1932 bis zum 1. Mai 1933“) bereits zu Lebzeiten Goebbels‘ im Eher Verlag erschienen war.

Auch wenn sich Goebbels‘ Tod 2015 zum 70. Mal jährt und damit Ende 2015 alle Urheberrechte erlöschen, meinen wir, dass die aufgeworfene Frage nunmehr endlich geklärt werden sollte. Freiwillig jedenfalls werden wir an die Goebbels‘ Erben nichts bezahlen. Da Frau Schacht leider unser auch vom Landgericht München dringend angeratenes Angebot abgelehnt hat, die verlangten Tantiemen an die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ zu bezahlen, einer Organisation, die sich für Opfer des Holocausts engagiert, wird die Sache richterlich, womöglich irgendwann vom Bundesgerichtshof, also „Im Namen des Volkes“ entschieden werden müssen. Wir sind sehr neugierig auf dieses Urteil!“.

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