Das Sonntagsgespräch Andreas Lentz: Schließen Sie die Rabattschere!

Über Amazon wird allgemein viel geredet, geschrieben und diskutiert. Andreas Lentz wird in seiner Kritik an dem Online-Konzern sehr konkret.

Der Gründer und Leiter des Saarbrücker Verlags Neue Erde spricht offen aus, warum er keine Geschäfte mit Amazon macht und warum er den Buchhandel aktiv unterstützt, den er als Vertreter der Verlage in der Marburger Gruppe seit dreißig Jahren genau kennt und für unersetzlich hält.

Sie haben uns eine kritische Stellungnahme zu Amazon geschickt, die durch ihre scharfe Unterscheidung zwischen diesem Online-Konzern und dem Buchhandel auffällt, lieber Herr Lentz.

Andreas Lentz

Andreas Lentz: Es ist leider gemeinhin so, dass Amazon noch immer als „Buchhändler“ bezeichnet wird. Doch wer Amazon zum Buchhandel zählt, versteht überhaupt nicht, worum es geht.

Ihre Stellungnahme ist noch aus einem anderen Grund hochinteressant. Sie sind meines Wissens nämlich der einzige deutsche Verleger, der auch als Vertreter tätig ist.

Ich besuche heute regelmäßig 50 bis 60 Sortimenter in Baden-Württemberg, und gehe seit rund 25 Jahren auf Reise. Meinen Verlag Neue Erde führe ich nun seit genau drei Jahrzehnten. Es ist ein kleiner Verlag.

Wann haben Sie die ersten Erfahrungen mit dem Online-Buchhandel und mit Amazon gemacht?

Ich kann mich noch gut erinnern, wie der ABC- Bücherdienst damit begann, es muss Mitte der 1990er gewesen sein, Freiexemplare anzufordern, zu bibliographieren und die Titelseiten einzuscannen, um sie ins Internet zu stellen. ABC war ein Online-Pionier und der führende Internet-Versandbuchhändler in Deutschland.

Amazon ist in Deutschland aktiv, nachdem er 1998 den ABC-Bücherdienst in Regensburg aufkaufte.

Damit hatte Amazon gleich einen Datenbestand von fast einer Million deutscher Buchtitel. Man hat sich nichts dabei gedacht. Es ist doch keiner gegen einen Online-Verkauf von Büchern gewesen, auch ich bin es natürlich noch heute nicht. Es ist eine wichtiger zusätzlicher Absatzweg. Und eins muss man Amazon zugute halten: Sie haben früh erkannt, welche Möglichkeiten im Internet stecken, was für ein Potential. Und zu dem Zeitpunkt wäre ja der Börsenverein mit seinem VLB, dem Verzeichnis Lieferbarer Bücher, da wären auch die Barsortimenter, also KNOe, Libri und Umbreit mehr als auf Augenhöhe mit Amazon gewesen…

:…wenn sie damals die Chancen erkannt hätten, die das Internet bot…

…wobei gerechterweise gesagt werden muss, dass Amazon als börsennotiertes Unternehmen an der Wall Street über schier unbegrenzte Mittel verfügte. Amazon hat ja auch den Aufkauf von andern Online-Versandbuchhändlern in den USA, Spanien und eben von ABC für zig Millionen mit der Ausgabe neuer Aktion finanzieren können.

So leicht wäre man hier zu Lande für solche Online-Initiative damals kaum an das nötige Kapital gekommen. Wobei wiederum zu bedenken ist: Amazon hatte den riesigen englischsprachigen Buchmarkt vor Augen.

So klein ist der deutsche Buchmarkt nun auch wieder nicht. Wäre er, nach den USA und England, heute für Amazon sonst der wichtigste Absatzmarkt? Doch wie dem auch sei: Über einige Jahre hat Amazon dann im Stillen seine ganze Logistik aufgebaut, für die Verlage war er fürs erste bloß ein Kunde unter vielen. Für mich persönlich ist Amazon aber schon bald ein Thema geworden. Wegen seines Advantage- Programms. Mit dem Namen hat Amazon suggeriert, uns kleinen Verlagen Vorteile zu bieten. Von Vorteil war das Programm jedoch nur für Amazon selbst.

Auf Grund der eingeforderten Rabatte?

Klar. Sie haben uns Rabattforderungen auf Barsortimentsniveau gestellt. Nicht nur das. Außerdem verlangten sie portofreie Lieferung und Portofreiheit bei Rücksendungen von nicht verkauften Büchern! Sowie, schließlich, das war der Hammer: Amazon wollte nur auf Kommission bestellen, d. h. Amazon wollte nicht, wie es im Geschäftsverkehr der deutschen Verlage mit den Barsortimenten üblich ist, bei Lieferung der bestellten Bücher gleich zahlen, sondern erst, nachdem sie die Bücher verkauft hatten…

.. womit sie sich einen beachtlichen Wettbewerbsvorteil verschafften und verschaffen. Alles in allem hätte es de facto wohl einen Gesamtrabatt von über 50 Prozent ausgemacht. Wäre das noch mit der Buchpreisbindung vereinbar gewesen?

Die Frage habe ich mir damals auch gestellt. Ich habe also beim Börsenverein angerufen, bei Herrn Wallenfels, dem Treuhänder für die Buchpreisbindung. Und bin aus allen Wolken gefallen: Herr Wallenfels hat mich dann nämlich aufgeklärt, dass das Buchpreisbindungsgesetz hier nicht greife, unser Buchpreisbindungsgesetz gelte bloß für die Fälle, wenn Verlage auf Rechnung liefern, aber nicht bei Lieferungen nur mit Lieferschein! }

Darauf kann nur ein sehr pfiffiger Jurist kommen.

Warum hat bei uns keiner an diesen Punkt gedacht, als das Preisbindungsgesetz beraten wurde? Man muss sich einmal die Folgen vor Augen führen: Auf diese Weise ist es ja nicht nur legal, wenn Amazon von Verlagen einen effektiv höheren Rabatt fordert und Verlage Amazon tatsächlich einen höheren Rabatt einräumen als Barsortimenten und Buchhändlern. Nein, mehr noch: dank des Preisbindungsgesetzes, das bekanntlich zur Existenzsicherung unseres Buchhandels gedacht ist, kann sich Amazon eine Kapitalbindung ersparen, die für das kapitalschwache Sortiment oft ein Problem darstellt – sie beträgt schon beim Titelbestand einer kleinen Buchhandlung ein paar hunderttausend Euro -, und gerade für unabhängige Verlage lebenswichtig ist.

Ist dies wichtige Detail vor Ihrem Anruf bei Herrn Wallenfels in der Branche denn niemand sonst aufgefallen?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin auch nicht klüger als die meisten meiner Kollegen. Es mag damals aber wenig Beachtung gefunden haben, weil Amazon zunächst viel übers Barsortiment bezogen hat. Zu großen Direktlieferanten von Amazon sind die Verlage erst später geworden.

Und wie hat der Verleger Lentz sich dann nach der Information von Herrn Wallenfalls gegenüber Amazon verhalten? Er hätte die Verträge für das Advantage-Programm schließlich getrost unterzeichnen können, ohne gegen das Preisbindungsgesetz zu verstoßen.

Ich habe mich damals nicht auf die Verträge eingelassen.

Und Sie haben seither auch keinen Kontakt mehr mit Amazon?

Doch. Denn Amazon verfolgt ja das Ziel, über alle Titel aus allen Verlagen zu verfügen. Und nachdem er die großen oder größeren an Bord geholt hat, bemüht er sich nun auch um die Kleinsten. So hat er auch bei mir wieder angefragt.

Und?

Ich verweigere mich diesem Online-Konzern. Ich bin noch immer nicht bereit, irgendwem Bücher aus meinem Verlag mit mehr als dem Barsortimentsrabatt zu liefern.

Ich weiß natürlich nicht, wie viele Exemplare von wie vielen der 300 Titel Ihres Verlags Neue Erde Amazon verkaufen würde. Mit Ihrer Entscheidung verzichten Sie aber auf jeden Fall auf erkleckliche Umsätze.

Gewiss. Aber man muss Prioritäten setzen. Und für mich ist der stationäre Buchhandel unverzichtbar.

Warum?

Weil ich aus meiner langjährigen Tätigkeit als Vertreter weiß, was Buchhändler wirklich leisten – an ideeller und an physischer Arbeit, an kulturellem und materiellem Engagement, an kommunikativem und sozialen Einsatz. Sie verfügen über ein Marketing-Wissen vor Ort, an das die Manager in den Zentralen der Großfilialisten, an das Versandbuch-Firmen nie und nimmer herankommen werden. Buchhändler sind nämlich ein beispiellos wertvolles „Humankapital“ in der langen Lichter- und Menschenkette des Buches, die vom Autor bis zum Leser reicht. Sie sind ein geistiger Mittelpunkt, sie sind ein Lebenszentrum unserer Städte.

Das ist etwas ganz, ganz Anderes als die unpersönliche Algorithmen-Mechanik des Online-Konzerns, der schlussendlich bloß das Ziel hat, mehr und immer mehr Umsatz zu machen, indem er auf der Basis seiner Daten die Leute in bereits registrierten Lektüreneigungen bestätigt und anhält, mehr von dem zu lesen, was sie schon immer gelesen haben. Ein Buchhändler, der seinen Kunden persönlich begegnet und sie individuell berät, bringt Menschen – und auch das ist lebenswichtig – „auf andere Gedanken“. Er stellt mit Büchern immer wieder Verbindungen her, neue Lebenslinien – und er zahlt Steuern in seiner Kommune, die für den Unterhalt ihrer sozialen und kulturellen Leistungen und Pflichten sowieso unterfinanziert ist, während Amazon sich mit vielen Tricks davor drückt, Millionen an eigentlich fälligen Steuern ans Gemeinwesen zu entrichten. Darum ärgert es mich, dass Verlage einer gewinnsüchtigen IT-Krake mehr Rabatt geben als Menschen, die mit Büchern für Menschen sorgen. Ich empfinde es als skandalös, dass Verlage sich von Amazon erpressen lassen und so die Existenz des stationären Buchhandels gefährden. Denn ich weiß, was ich – und nicht nur ich – unseren Buchhändlern zu verdanken habe.

Und was sollen die Verlage konkret tun?

Handeln. Ich selbst führe nur einen winzigen Kleinverlag mit vier Mitarbeitern. Da tu ich halt, was ich zur Erhaltung des Buchhandels tun kann, indem ich mich nicht auf die Rabattforderungen und Vertragsklauseln von Amazon einlasse. Und ich bin den Leitern der von mir vertretenen Verlage in der Marburger Gruppe dankbar, dass Sie mit unserem gemeinsamen Partner-Programm wenigstens ein Stück weit für Rabatt-Gleichheit zwischen Online-Riesen und Filialisten auf der einen und den vielen engagierten selbständigen BuchhändlerInnen auf der anderen Seite sorgen. Das wäre übrigens mein Appell an meine Verlegerkollegen: Schließen Sie die Rabattschere!

Das Gespräch mit führte Gerhard Beckmann

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