Zum zweiten Mal auf Platz 1: Katja Petrowskaja „Vielleicht Esther“

30 Literaturkritiker nennen monatlich – in freier Auswahl – für den SWR vier Buch-Neuerscheinungen, denen sie „möglichst viele Leser und Leserinnen“ wünschen. Hier die Liste der besten zehn Titel für Mai:

Platz 1

KATJA PETROWSKAJA: Vielleicht Esther
Suhrkamp Verlag, 285 Seiten, € 19,95**

Reisebeschreibungen, Erinnerungsfragmente, Anekdoten und Beobachtungen. Ein Familienroman als Mosaik. Am Ende entsteht das mit Wärme und Genauigkeit geschilderte, brüchige wie reizvolle Bild ihrer jüdischen Familie in grausamen Zeiten.

Platz 2

HENRY JAMES: Washington Square
Roman. Aus dem Englischen von Bettina Blumenberg.
Manesse Verlag, 288 Seiten, € 24,95**

Ein Klassiker für jedermann: Die Geschichte der armen Catherine, ihres Vaters Dr. Sloper, und eines ziemlich attraktiven Erbes. Manchmal heißt es, Henry James‘ 1881 erschienener Familienroman „Washington Square“ sei für die USA das, was die wenige Jahre später veröffentlichten „Buddenbrooks“ für Deutschland seien.

Platz 3

JENS SPARSCHUH: Ende der Sommerzeit
Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 256 Seiten, € 18,99**

1932 veröffentlichte Nabokov einen Kriminalroman: „Verzweiflung“, geschrieben in den Berliner Jahren. Jens Sparschuh schickt den Helden in seinem neuen Roman auf den Spuren Nabokovs ins Umland von Berlin, oder dem, was Nabokov dafür hielt.

Platz 4

ELIAS CANETTI: Das Buch gegen den Tod
Mit einem Nachwort von Peter von Matt.
Carl Hanser Verlag, 352 Seiten, € 24,90**

Solange er lebte, war der Tod sein wichtigster Gegner. Elias Canetti schrieb gegen den Tod an, bis zuletzt dieses Buch entstand: „Es wäre leichter zu sterben, wenn überhaupt nichts von einem übrigbliebe, keine Erinnerung in einem andern Menschen, kein Name, kein letzter Wille, und keine Leiche.“

Platz 5

ZSÓFIA BÁN: Als nur die Tiere lebten
Aus dem Ungarischen von Terézia Mora.
Suhrkamp Verlag, 207 Seiten, € 22,95**

„Was sollte das heißen, ihre Niere sei nicht gut genug. Oder ihre Leber. Sie hätte den schleimigen kleinen Doktor am liebsten getreten. Wenn es überhaupt ein Doktor war und nicht nur so ein gelackter Salonbube. Ein Wurmfortsatz. Was weiß der schon?! Er hat sie ja nicht einmal untersucht! Wie kommt der dazu, ihr einfach so, vom Hinsehen, zu sagen, sie sei nicht geeignet. Nicht gut genug. Der würde sich freuen, wenn er in ihrem Alter noch so ein Herz, Niere, Leber hätte.“

Platz 6-9

VOLKER BRAUN: Werktage 2
Arbeitsbuch 1990 – 2008
Suhrkamp Verlag, 998 Seiten, € 39,95**

Aufzeichnungen aus den Jahren des Umbruchs, vom ersten Silvester nach der Wende bis zur Finanzkrise 2008. „die roten rohen metropolen wanken. am himmel ströme von zerbrochnen flügeln und ausgerissnen drähten. ALLES WAR.“

Platz 6-9

OSWALD EGGER: Deutscher sein
Essay. Reihe-Literaturhaus-Stuttgart, Band 4.
Verlag Ulrich Keicher, 28 Seiten, € 12,00***

„Ich rede deutsch, wenn ich von mir spreche, deutscher, wenn ich deutlich sein mochte, am deutschesten, sobald ich mir selbst ins Wort fiel, wie ein Idiot, der vom Wissen spricht, das keiner weiß, der nicht vom Volk ist: wörtlich genommen ist es sogar das Spiel zwischen den Zielen jeder Poesie, prichwörtlich zu werden, und meine Gedichte sind Volksgut? Doch ist außer man tut es, nichts für ungut fürs Lied zu gut, oder – zu Deutsch? Ich meine, folgt auf gut deutsch Gutes?“

Platz 6-9

HUGH RAFFELS: Insektopädie
Herausgegeben von Judith Schalansky.
Verlag Matthes & Seitz Berlin, 383 Seiten, € 38,00**

Ein schönes Buch über schöne Tiere. „Wie seltsam, dass wir Insekten als schöne Gegenstände ansehen, dass sie im Tod schöne Gegenstände sind, während sie lebend, wo sie über den Holzboden huschen, aus Ecken und unter Bänken lugen, uns in die Haare fliegen und unter den Kragen, am Ärmel hochkrabbeln… Unvorstellbar das Chaos, kämen sie zurück ins Leben. Selbst an einem Ort wie diesem würde man dem Drang nachgeben, um sich zu schlagen und sie zu zerquetschen.“

Platz 6-9

DONNA TARTT: Der Distelfink
Roman. Aus dem Englischen von Rainer Schmidt
und Kristian Lutze.
Goldmann Verlag, 1024 Seiten, € 24,99**

Theo Decker ist ein Bilderdieb wider Willen – ein Simplicissimus, unterwegs in den ewigen Kämpfen der USA, hin- und hergerissen zwischen einem zugedröhnten Las Vegas und den kultivierten (und nicht immer) besseren Kreisen Manhattans. Krimi, Bildungsroman, Familienroman – auf mehr als 1000 Seiten ist Platz für ein großes Panorama Amerikas.

Platz 10

SAŠA STANIŠIĆ: Vor dem Fest
Roman. Luchterhand Literaturverlag, 320 Seiten, € 19,99**

„Dies ist ein komischer Patchwork-Provinzroman, vollgesogen mit Gegenwart, Familiengeschichten, Wendezeit und Vergangenheit, voller Dialoge, die das Groteske streifen, und einer Füchsin, die auf Eierjagd geht. Der Chor, das anonyme ‘Wir‘ hält das Fest zusammen. Sein Echo klingt im Leser lange nach.“ (Lothar Müller). Preis der Leipziger Buchmesse 2014.

Persönliche Empfehlung im Mai von Elmar Krekeler (Berlin):

MUKOMA WA NGUGI: Nairobi Heat

Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Rainer Nitsche.
Transit Buchverlag, 176 Seiten, € 19,80

„Was sieht man eigentlich als amerikanischer Schwarzer, wenn man in den Spiegel schaut? Einen weißen Mann. Merkwürdig. Aber nicht das Merkwürdigste an Mukoma wa Ngugis „Nairobi Heat“. Ishmael ist der amerikanische Schwarze. Einen Mord will er aufklären. Er muss dafür nach Kenia. Da ist er ein Weißer. Und alles wird anders. Von Ruanda handelt „Nairobi Heat“ und dem schlechten Gewissen der Welt. Ein globaler Krimi. Ein fabelhafter Roman.“ (Elmar Krekeler)

Literatur im Fernsehen

Donnerstag, 8. Mai um 23.45 Uhr im SWR Fernsehen
Sonntag, 11. Mai um 09.30 Uhr im SWR Fernsehen
„lesenswert“ mit Felicitas von Lovenberg
Gäste: Petra Gerster und Feridun Zaimoglu

Donnerstag, 22. Mai um 23.15 Uhr im SWR Fernsehen
Sonntag, 25.Mai um 09.30 Uhr im SWR Fernsehen
„lesenswert“ mit Thea Dorn
Gast: Felicitas Hoppe

Literatur im Hörfunk

SWR2 Literatur
Dienstag, 6. Mai um 22.03 Uhr
über die Bücher der Mai-Bestenliste diskutieren
Sigrid Löffler, Lothar Müller, Moderation: Eberhard Falcke

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