40. Stadtschreiber-Jubiläum

Gestern Abend wurde nicht im großen Zelt auf dem Berger Markt, sondern im Frankfurter Kaisersaal gefeiert: Das erste deutsche Stadtschreiberamt wurde vor 40 Jahren ins Leben gerufen.

Dabei sorgte das Nachwuchsorchester der Stadtkapelle Bergen-Enkheim musikalisch ein bisschen für Zeltatmosphäre: Es spielt sonst traditionell vor dem Eingang der großen Leinwandvilla zum Stadtschreiberfest auf dem Berger Markt.

Frankfurts Kulturdezernent Felix Semmelroth stellte fest: „Bergen-Enkheim kann stolz auf den schönsten, klügsten und originellsten Literaturpreis sein.“

Der erste Stadtschreiber 1974/75, Wolfgang Koeppen, war sich anfangs nicht sicher, ob sich dieser Preis durchsetzen könne. Doch der Preis wurde nicht nur über den Frankfurter Stadtteil hinaus bekannt, er wurde auch oft kopiert. Mittlerweile „ist er eine Institution im literarischen Leben der Stadt“, wie Semmelroth erklärte.
Das sei nicht nur glücklichen Umständen, sondern vor allem dem Engagement der Bürger zu verdanken.

Der Schriftsteller, Journalist, Werbefachmann und Mitglied der Gruppe 47 Franz Joseph Schneider begründete den Stadtschreiberpreis, Marcel Reich-Ranicki würdigte ihn einmal mit den Worten: „Schneider hat für die Literatur mehr getan als mancher Schriftsteller deutscher Sprache.“
Für Schneider war der Literaturpreis eine Lebensaufgabe, die seine Tochter Adrienne Schneider fortführt.

Unter den Engagierten ist die Buchhändlerin Monika Steinkopf, die 1978 in Bergen-Enkheim die Berger Bücherstube eröffnete und diese nicht nur zum gern besuchten Anlaufpunkt für Stadtschreiber, sondern vor allem für die Bürger des Stadtteils machte.

In seinem Grußwort ging Roland Kaehlbrandt, Vorsitzender des Vorstands der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, auf das Thema Sprache ein. Der Sprachgebrauch sei manchmal wie ein Trampelpfad – egal, ob der Weg in die Irre führe oder nicht, man folge ihm. Es herrsche Sprachökonomie. „Aber unser Wille hat Einfluss auf die Sprache“, behauptete Kaehlbrandt. Denn Sprache sei nicht nur ein Verständigungsmittel, sie sei auch Kultur.

Die jährliche Vergabe des Stadtschreiberpreises von Bergen beschrieb er so: „Das Zelt ist kein feiner Literaturbetrieb mit Häppchen und Prosecco, sondern ein Fest der Sprache für alle.“

Er forderte den sorgsamen Umgang mit Sprache und den Widerstand gegen jeden „semantischen Drahtverhau“. „Lassen wir die Sprache nicht auf ein Minimum zusammenschrumpfen“, schloss Kaehlbrandt.

Dann trat Peter Härtling als ältester ehemaliger Stadtschreiber ans Mikrofon: „Die Stadtschreiberei ist in Bergen-Enkheim als Existenzstück hineingewachsen“, formulierte der Autor und erzählte eine Episode aus seiner Amtszeit (1977/78): Er hörte Schritte auf der Gasse vor dem Stadtschreiberhaus, die plötzlich inne hielten. Eine Frau sagte zur anderen: „Da ist noch Licht.“ „Der dichtet noch“, erwiderte die andere Frau. „Für mich war das wie eine Mitteilung der Kommune an den Einzelnen“, beschreibt Härtling.

Der Schriftsteller erinnerte auch an den Anruf Reich-Ranickis bei ihm im Frühjahr 1977. „Würden Sie das Stadtschreiberamt annehmen?“, fragte das Jurymitglied. „Aber ich wohne doch in der Nähe“, antwortete Härtling. „Seien Sie nicht so störrisch! Außerdem können Sie vom Stadtschreiberhaus aus kostenlos telefonieren“, konterte Reich-Ranicki.

Es gibt viele Geschichten, die sich um das Amt ranken, aus Episoden wurden Legenden und Mythen. Härtling vergaß auch die inzwischen verstorbenen ehemaligen Stadtschreiber nicht; die Bürger von Bergen-Enkheim hätten, wenn sie die Bücher dieser Autoren lesen, oft ihre Stimme im Ohr, denn es gibt von Anfang an viele Stadtschreiberlesungen im Ort.

In der Stadtbücherei ein paar hundert Meter vom Römer entfernt wurde anschließend die Ausstellung Der schönste Preis feierlich eröffnet.

Renate Müller-Friese, Ortsvorsteherin von Bergen-Enkheim, begrüßte als Vertreterin „des kleinen aufmüpfigen Völkchens“ die ehemaligen Stadtschreiber Peter Härtling, Eva Demski, Peter Weber, Reinhard Jirgl, Thomas Lehr und die amtierende Stadtschreiberin Angelika Klüssendorf sowie die komplette Jury. Sie dankte Margot Wiesner und Anja Harms für die Gestaltung der Ausstellung, die bis zum 13. März 2014 im Untergeschoss der Stadtbücherei zu sehen ist. Außerdem bedankte sie sich bei den Sponsoren.

Der Titel der Exposition geht auf Wolfgang Koeppen zurück, er schrieb 1977: „Der Preis von Bergen-Enkheim ist der schönste. Er wird nicht von einer Institution verliehen; es geben ihn Menschen …“

„Zu Beginn des fünften Lebensjahrzehnts ist zum Stadtschreiberamt festzuhalten: Es hat durchgehalten und sieht immer noch gut aus“, meinte Thomas Lehr in seiner Ansprache. Auf das seit 2009 eingerichtete und in Entwicklung befindliche Stadtschreiberarchiv hinweisend, bezeichnete er die über 3000 dort einsortierten Bände als „Kanon von der Oberpforte“ – das Stadtschreiberhaus befindet sich An der Oberpforte 4.
Anschließend las Lehr aus Größenwahn passt in die kleinste Hütte.

Peter Weber hatte seine Maultrommel mitgebracht und spielte darauf, außerdem las er Texte über Bergen-Enkheim. „Im Sommer bei Hitze wirkt in Bergen alles ziemlich tessinerisch“, stellte er fest und bezeichnete sein Stadtschreiberdomizil als „mein erstes Haus am Meer“: Es sei von vielfältigen Ufern und Inseln umgeben.

Die Ausstellung zeigt ausschließlich Objekte aus dem Stadtschreiberarchiv: Bücher, Manuskripte, Plakate, Zeichnungen, Fotos, Zeitungsausschnitte. Sie zieht den Betrachter gleichsam hinein in die Stadtschreiberei – und lässt ihn oft schmunzeln.

JF

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