Shortlist-Lesung in Frankfurt

Die nominierten Romane

Gestern Abend fand zum fünften Mal die „lange Nacht der kurzen Liste“, wie Kulturdezernent Felix Semmelroth die Veranstaltung nannte, im Literaturhaus in Frankfurt am Main statt.

Fünf der sechs Nominierten für den Deutschen Buchpreis 2013 stellten sich im Gespräch mit drei Moderatoren vor.

Der Abend begann mit Reinhard Jirgl. Alf Mentzer, hr2-kultur, betrachtete den neuen Roman Nichts von euch auf Erden, erschienen im Carl Hanser Verlag, als „Ausdehnung der literarischen Kampfszene“ Jirgls. Es sei jedoch keine Science Fiction-Story, unterstrich der Autor: „Nicht alle Romane, die in der Zukunft spielen, sind Science Fiction.“ Dinge, die im 25. Jahrhundert auf Erden verboten sind, passieren nun „volle Pulle“, wie Jirgl sagte, auf dem Mars. „Wenn man es eilig hat mit dem Triumpf, geschieht das so.“ Auch der Glaube, dass der technische Fortschritt Sklavenhalter-Bedingungen überwinde, sei falsch.
In Jirgls Roman befindet sich die Erde in einem Zustand des langsam verlöschen Wollens. Außerdem gibt es „morphologische Bücher“: „Das ist doch der Traum jedes Schriftstellers, wenn Bücher körperliche Wirkungen erzeugen“, kommentierte der Autor. Dann nahm er das Publikum mit auf einen Abstecher ins 25. Jahrhundert.
Am Ende des Romans geht zwar die Erde nicht unter, aber die Menschheit. Es sei eine Überlegung zur Wiederholung des immer Gleichen, erklärte der Autor. „Bücher, die großartigste Erfindung des Menschen, werden überleben“, fügte Jirgl hinzu.

Mit Monika Zeiner unterhielt sich Gerwig Epkes, SWR 2, über ihren Roman Die Ordnung der Sterne über Como, publiziert im Blumenbar Verlag. Zunächst ging es um ein Schlüsselerlebnis in der Schule. Zeiner hatte einen Deutschlehrer, bei dem die Schüler ihre Literatur selbst aussuchen konnten. Sie wählte Thomas Manns Doktor Faustus, nicht eben die leichteste Lektüre, aber eine prägende, die sie im Deutschunterricht immunisierte.
Zeiner promovierte über Liebesmelancholie im Mittelalter, ein Thema, das in ihren Roman hineinspielt und auf einer gegenwärtigen Ebene verarbeitet wird. „Seit der Romantik versuchen wir, Liebe und Ehe zusammen zu denken – mit mehr oder weniger Erfolg“, erläuterte die Autorin. „Im Buch bekommt man mit, wie sich Ideale im Laufe des Lebens verlieren, wie Unvorhergesehenes geschieht“, resümierte Epkes.
Übrigens, so fügte Zeiner an, sei ihr Roman eigentlich nur 500 Seiten lang, des Satzes wegen sei ein über 600-seitiges Buch entstanden. Damit habe sie nicht gerechnet.

„Ihr Roman beleuchtet so etwas wie das Rotlichtmilieu“, leitete Alf Mentzer das Gespräch mit Clemens Meyer über sein Buch Im Stein, veröffentlicht im S. Fischer Verlag, ein. Die Meldung, dass auf einen Vermieterkönig in der Sexindustrie geschossen worden war, hatte Meyer 1998 in der Zeitung gelesen und sich damit beschäftigt. 2008 begann er sein Buch, unterbrach es immer wieder. „Das Thema hat etwas Shakespeare-haftes“, erklärte Meyer – das Publikum murmelte und tuschelte. „Ich bitte um Ruhe. Müssen Sie das Buch lesen, haben Sie Schwierigkeiten genug“, forderte Meyer energisch und erfolgreich.
Am Rotlichtmilieu – Meyer ließ das Wort fast gelten – sei der Größenwahnsinn der Gesellschaft am besten zu beschreiben, erklärte der Autor. „Aber es ist kein Rotlichtroman, sondern Aufstieg und Fall des Arnold Kraushaar“, korrigierte er. Das von Mentzer angesprochene permanente ineinander Verschieben und Verschachteln von Räumen, Zeiten und Figuren im Buch wollte Meyer nicht kommentieren. „Was soll man als Schriftsteller so viel über seine Bücher sagen, man hat doch lang genug daran gearbeitet“, leitete er zur Lesung über.
„Ein barockes Schloss und die Psychiatrie – dieser Kontrast hat mich gereizt“, erklärte Marion Poschmann zu ihrem Roman Die Sonnenposition, erschienen im Suhrkamp Verlag, im Gespräch mit Sandra Kegel, FAZ.
Im Buch verbindet sich die Geschichte Deutschlands mit den Geschichten der Patienten. Das Schloss, ein fiktiver Ort mit durchaus realistischen Zügen, hat verschiedene Nutzungen erlebt, war sogar in Nachwendezeiten für einen Euro zu haben gewesen. Interessiert hat sich keiner, bis die Psychiatrie das leere Anwesen entdeckte. „Das Schloss war ein guter Ausgangspunkt für den Roman“, erklärte Poschmann. Das Buch analysiere das Leben von Alfred Janich – schon der Name sei, wie alle Namen im Roman, merkwürdig und seltsam. Kegel nannte das Buch „einen Roman von Licht und Dunkel mit schönen Wortschöpfungen“.

Zum Ende des Abends sprach Gerwig Epkes mit Mirko Bonné über Nie mehr Nacht, herausgekommen im Verlag Schöffling & Co.. Epkes spielte auf die Affinität des Autors zur englischen Sprache an, die schon früh ein Rolle im Leben Bonnés spielte und mit Songtexten begann. „Ich übersetze aber auch aus anderen Sprachen“, ergänzte Bonné.
Im nominierten Roman soll der Protagonist Markus Lee Brücken zeichnen, die im II. Weltkrieg für das Vorrücken der Alliierten in der Normandie wichtig waren. Welche Rolle das Zeichnen im Leben des Autors selbst spielt, drückte Bonné so aus: „Anders als beim Schreiben betreibe ich das Zeichnen ohne Ambitionen. Es gibt mir viel, ist etwas Schönes und Freies.“ Er wolle sich die Unbescholtenheit der Augen erhalten, die Blicke nicht institutionalisieren. Auf Markus Lee bezogen, ist es für diesen ein schwieriges Thema, mit wenigen Strichen nicht nur die Brücken, sondern auch die Gräuel des Krieges einzufangen.
Bonné nahm das Publikum in seiner Lesung mit auf den Friedhof von La Combe, dem größten Soldatenfriedhof in der Normandie, eine berührende Begegnung von Trauer, Leichtigkeit und Glück.

Terézia Mora konnte ihr Buch Das Ungeheuer, erschienen im Luchterhand Literaturverlag, an diesem Abend leider nicht vorstellen, sie war verhindert.

JF

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