Suhrkamp: Dr. jur. Stephan Kolmann dazu, dass es den Tatbestand der „rechtsmissbräuchlichen Insolvenz“ nicht gibt

Indem sich Suhrkamp dem Schutzschirmverfahren unterworfen hat, betritt es juristisch auch Neuland in der Rechtsprechung. Deshalb sind die weiteren Wege, die das Verfahren nehmen könnte, so undurchsichtig. Insbesondere nachdem Mitgesellschafter Hans Barlach angekündigt hat, dagegen Klage einzureichen. Wir haben den Münchener Insolvenzrechtler Dr. jur. Stephan Kolmann der Kanzlei Noerr LLP gefragt, welche weiteren Schritte überhaupt möglich sind, ob das Schutzschirmverfahren auch im Falle eines Gesellschafterstreits überhaupt greifen kann und wie das Verfahren helfen kann.

buchmarkt.de: Suhrkamp-Mit-Geselschafter Hans Barlach will jetzt dagegen klagen, dass Suhrkamp dem Schutzschirmverfahren unterstellt wurde. In wie fern ist im neuen Insolvenzrecht eigentlich der Tatbestand der „rechtsmissbräuchlichen Insolvenz“ vorgesehen?

Dr. jur. Stephan Kolmann

Dr. jur. Stephan Kolmann: Den Tatbestand einer „rechtsmissbräuchlichen Insolvenz“ gibt es nach der gesetzlichen Systematik nicht. Denn die Voraussetzungen eines Insolvenz- bzw. Schutzschirmverfahrens liegen entweder vor, oder nicht. Hierüber entscheidet das Insolvenzgericht. Ein Beschwerderecht gegen die Anordnung eines Schutzschirmverfahrens steht dem Gesellschafter des Schuldners nicht zu. Die Gläubiger können nur unter einschränkten Voraussetzungen die Aufhebung beantragen.
Ergänzenswert erscheint, dass das Schutzschirmverfahren mit seinen erheblichen Vorteilen nur in einem bestimmten Zeitfenster des typischen, dynamischen Krisenverlaufs als Sanierungsrahmen zur Verfügung steht. Insbesondere darf noch keine Zahlungsunfähigkeit eingetreten sein. Vor diesem Hintergrund ist die Einleitung eines Schutzschirmverfahrens allenfalls vorwerfbar, wenn seine Voraussetzungen entweder „noch nicht“ oder „nicht mehr“ vorliegen. Im ersten Fall könnte beispielsweise der Gesellschafter einer GmbH Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführung geltend machen, sofern sie die Einleitung eines Schutzschirmverfahrens ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung beantragt hat und dies beim Gesellschafter zu einem Schaden führte.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein solcher Fall vorliegt?

Ansprüche wegen Einleitung eines Insolvenzverfahrens kommen in Betracht, wenn die Gesellschaft weder zahlungsunfähig noch überschuldet war und damit noch keine Insolvenzantragspflicht bestand. Mit Entstehen einer solchen Antragspflicht entfällt sowohl jede Weisungsmöglichkeit der Gesellschafter als auch jeder Ermessensspielraum für die Geschäftsleitung, innerhalb dessen sie auf die Belange der Gesellschafter Rücksicht nehmen kann. Vor Beginn der Antragspflicht verhält es sich andersherum. Zudem muss durch die verfrühte Beantragung eines Schutzschirms ein Schaden entstanden sein.

Lässt sich das so einfach nachweisen?

Nein, die Nachweisführung kann im Detail sogar äußerst schwierig sein. Eine wesentliche Problematik folgt aus der Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne. Sie kommt in Betracht, wenn das vorhandene Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Dieser Zustand kann deutlich schneller eintreten, als sich die meisten bewusst sind. Denn das Vermögen wird nicht nicht mit going-concern-, sondern mit regelmäßig deutlich niedrigeren Zerschlagungswerten angesetzt. Der Blick auf die HGB-Bilanz erweist sich damit als trügerisch.
Ausnahmsweise ist eine Überschuldung trotz bestehender Vermögensunterdeckung ausgeschlossen, wenn das Unternehmen eine positive Fortführungsprognose hat. Die Anforderungen an eine solche positive Fortführungsprognose dürfen allerdings nicht unterschätzt werden. Nach herrschender Meinung muss das Unternehmen in der Lage sein, auf der Grundlage einer realistischen und plausiblen Planung zu einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 vom Hundert seine sämtlichen im Prognosezeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten zu tilgen. Der Prognosezeitraum umfasst im Grundsatz das laufende wie das künftige Geschäftsjahr.
Bei genauerer Betrachtung liegt also für ein kriselndes Unternehmen die Hürde, eine Überschuldung definitiv verneinen zu können, relativ hoch. Der Vorwurf an die Geschäftsleitung, voreilig einen Insolvenzantrag gestellt zu haben, kann sich schnell als unbegründet erweisen.

Stimmen Sie Herrn Kebekus zu, dass das Schutzschirmverfahren Unternehmen erleichtert, unliebsame Mitgesellschafter loszuwerden?

Das Ziel eines Schutzschirmverfahrens kann letztlich nur in einer nachhaltigen Sanierung des Unternehmens bestehen, die entweder wegen fortgeschrittenen Krisenstadiums oder aus technisch-strukturellen Gründen nur noch mittels insolvenzrechtlicher Instrumente gelingen kann. Allerdings können Streitigkeiten im Gesellschafterkreis das Unternehmen in seiner weiteren Entwicklung durchaus lähmen und zu einer existenzbedrohenden Krise führen. Eine Sanierung kann letztlich nur gelingen, wenn der Gesellschafterstreit als Kernproblem gelöst wird.
Die Entscheidung von Gesellschafterstreitigkeiten zählt nicht zu den originären Aufgaben des Insolvenzrechts. Technisch bietet das Schutzschirmverfahren bzw. der Insolvenzplan allerdings sehr wohl Möglichkeiten einer Konfliktlösung bzw. -entscheidung an. Denn der Insolvenzplan als das maßgebliche Instrument kann auch in die Rechte der Anteilsinhaber eingreifen. Insoweit stimme ich Herrn Kebekus zu. Der Preis, mittels Schutzschirmverfahren Mitgesellschafter loszuwerden, ist angesichts bestehender Risiken allerdings sehr hoch.
Zwar kann das Unternehmen unter dem Schutzschirm einen Insolvenzplan vorbereiten, der auch Regelungen zur Veränderung im Gesellschafterkreis enthält. Aber der Schutzschirm mündet in ein Insolvenzverfahren, welches entweder mit der Abwicklung des Unternehmens oder mit einem Insolvenzplan endet. Die Entscheidung über den Insolvenzplan liegt nicht beim Unternehmen, sondern bei dessen Gläubigern. Also nur wenn die Gläubiger zu der Einschätzung gelangen, dass ihre Befriedigungsaussichten durch einen Insolvenzplan gegenüber der Regelabwicklung steigen werden, hat der Insolvenzplan eine gute und begründete Aussicht auf Erfolg.
Den Anteilsinhabern ihre Anteile zu belassen, wenngleich die Gläubiger auf ihre Forderungen teilweise verzichten müssen, widerspricht im Ausgangspunkt insolvenzrechtlichen Wertungen und bedarf daher einer besonderen Rechtfertigung im Einzelfall oder einer sehr umfassenden, konsensualen Lösung. Dem einen Anteilsinhaber Anteile wegzunehmen und dem anderen ohne entsprechende Gegenleistung für die Insolvenzmasse Anteile zuzuwenden, ist ebenfalls höchst problematisch.
Tatsächlich zählt es zu den umstrittensten Fragen des neuen Rechts, ob Alt-Anteilsinhaber ein Bezugsrecht für neue, durch Kapitalerhöhung im Rahmen eines Insolvenzplans zu schaffende Anteile haben, und falls ja, inwieweit die Alt-Anteilsinhaber vor Umgehungskonstellationen geschützt werden können. Diese Fragen werden höchstrichterlich zu entscheiden sein.

Welchen Schutz sieht das moderne Insolvenzrecht vor, damit nicht einfach Rechtsformen geändert und unliebsame Eigentümer nicht einfach so aus einem Unternehmen werden?

Über derartige strukturelle Veränderungen entscheiden insbesondere die Gläubiger im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens. Sie sind – ein Blick auf den überschuldungsrechtlichen Vermögensstatus bestätigt dies vielfach – die wirtschaftlichen Eigentümer des Unternehmens; die Eigenkapitalposition der Alt-Anteilsinhaber ist bei insolvenzrechtlicher Betrachtung wirtschaftlich wertlos. Wenn die neuen, wirtschaftlichen Eigentümer nach den gesetzlichen Regelungen für einen Erhalt des Unternehmens mit einer neuen gesellschaftsrechtlichen Struktur votieren, weil sie sich hierdurch die besten Befriedigungsaussichten für ihre Forderungen erhoffen, und dabei für die Alt-Anteilsinhaber nichts mehr übrig bleibt, so ist das Ergebnis aus der insolvenzrechtlichen Denke heraus stimmig. Eine Durchsetzung von Gesellschafterinteressen gegen den Willen der Gläubiger kann im Insolvenzplanverfahren allerdings praktisch nicht gelingen.
Aus der Perspektive der Alt-Anteilsinhaber kann es daher nur darum gehen, die Gläubiger spätestens im Rahmen der Verhandlungen über einen Insolvenzplan davon zu überzeugen, dass die Alt-Anteilsinhaber ein Teil der Lösung sind, nicht das abzustreifende Problem. Die Einleitung eines Schutzschirm zu einem vergleichsweise frühen Krisenstadium wird häufig als Signal wahrgenommen, Teil der Lösung sein zu wollen.
Rechtsmittel gegen die Bestätigung eines Insolvenzplans sieht das Gesetz durchaus vor. Allerdings entscheidet es sich für eine pragmatische Herangehensweise: Der Insolvenzplan soll nicht verhindert werden können, wenn er die Möglichkeit einer Abfindungslösung vorsieht: Der Alt-Anteilsinhaber verliert zwar seinen Anteil, kann aber eine Entschädigung in Geld erhalten, vorausgesetzt, dass die Anteile aus insolvenzrechtlicher Sicht überhaupt noch einen Wert hatten.

Hat es schon Fälle in dieser Hinsicht gegeben und liegen da entsprechende Urteile vor?

Ja, es gibt mehrere Fälle, in denen durch einen Insolvenzplan die Rechtsform des Unternehmens geändert wurde und die bisherigen Alt-Anteilsinhaber an der Gesellschaft nach Bestätigung des Insolvenzplans nicht mehr beteiligt sind. An deren Stelle sind Gläubiger im Wege eines sog. debt-to-equity-swap gerückt, d.h. Fremdkapital wurde zu Eigenkapital umgewandelt. Ober- oder höchstrichterliche Entscheidungen liegen bislang nicht vor.

Ist das Insolvenzrecht in dieser Hinsicht wasserdicht oder muss nachgebessert werden?

Eine abschließende Beurteilung erscheint verfrüht. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Alt-Anteilsinhaber im Verhältnis zu den Gläubigern nicht besser geschützt werden müssen. Auf den höchstrichterlichen Klärungsbedarf bei den Bezugsrechten hatte ich bereits hingewiesen.
In der Theorie mag es für Anteilsinhaber abschreckend wirken, ein Schutzschirmverfahren einzuleiten, wenn sie letztlich nicht sicher sein können, auch in der Zukunft Anteile zu behalten. Diese Befürchtung brachte manche dazu, das Schutzschirmverfahren als Totgeburt zu bezeichnen. Die Praxis hat in meiner Wahrnehmung allerdings gut funktionierende Lösungen hervorgebracht. Unser Mandat Centrotherm erscheint dabei als Paradefall: Gläubiger und Anteilsinhaber verständigten sich und das Unternehmen konnte sogar seine Börsenzulassung behalten, zum Vorteil für alle Beteiligten.
In Wahrheit sprechen wir in den meisten Fällen jedoch nicht darüber, ob die Anteilsinhaber etwas verlieren können, sondern nur über den etwaigen Zeitpunkt, ob also früher oder später. Bei dieser Betrachtung erscheint mir richtiger, dass die Anteilsinhaber durch ein gut vorbereitetes Schutzschirmverfahren letztlich nur gewinnen können, d.h. sie sollten frühzeitig ihre Chancen nutzen.

Die Fragen stellte Matthias Koeffler

Dr. Stephan Kolmann ist langjährig als Rechtsanwalt und Berater mit Unternehmenssanierungen befasst. Zuletzt beriet er beispielsweise die centrotherm AG, den Vorstand der Pfleiderer AG sowie beim Verkauf der insolventen Frankfurter Rundschau an die FAZ. Herr Dr. Kolmann ist Autor im Insolvenzrechtshandbuch von Gottwald (Verlag C.H.Beck). Ferner kommentiert er zur GmbH in Liquidation und Krise im Handkommentar zum GmbHG (Nomos-Verlag) sowie in dem von Kübler herausgegebenen Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz (RWS-Verlag). Sein ZIP-Praxisbuch „Schutzschirmverfahren“ erscheint in Kürze im RWS-Verlag

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