Dr. Andreas Lutz: Treibt Schwarz-Gelb den Deutschen den Unternehmergeist aus?

Freitags um fünf: Was bewegt jetzt die Branche? Michael Lemsters Frage der Woche an Gründer, Berater und Small-Business-Aktivist Dr. Andreas Lutz.

Andreas Lutz, 1966 in München geboren, ist promovierter Betriebswirt. Er arbeitete als Produktentwickler für die Vereinsbank, Immobilienscout 24 und Burda Media, bevor er sich 2003 mit der Website www.gruendungszuschuss.de selbstständig machte. Lutz ist Autor zahlreicher Ratgeber für Gründer und Selbstständige. Er ist Vorstandsvorsitzender des 2012 gegründeten Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V.. Der VGSD entstand als Reaktion auf die zunehmende Behinderung des Small Business durch die Gesetzgebung.

Andreas Lutz, viele träumen davon, selbstständig zu arbeiten – auch in der Buchhandels- und Medienbranche. Doch derzeit gibt es so wenige Gründungen wie noch nie. Wie kommt’s?

Andreas Lutz

Andreas Lutz: Die Gründungen aus der Arbeitslosigkeit machen traditionell einen Großteil des Gründungsgeschehens in Deutschland aus. Sie sind 2012 gegenüber dem Vorjahr um 85 Prozent zurückgegangen.

Das ist doch sicherlich der guten Konjunktur und der Vollbeschäftigung unter qualifizierten Arbeitskräften geschuldet.

Andreas Lutz: Nein, das liegt nicht an mangelndem Interesse, sondern in allererster Linie an der systematischen Verunsicherung der Gründungswilligen durch die Behörden. Obwohl sie jahrelang in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt haben, trauen sich viele nicht mehr, einen Antrag auf Gründungszuschuss zu stellen. Dabei sind die Chancen auf eine Förderung sehr gut, wenn der Antrag gut durchdacht gestellt wird. Ohne Zuschuss dagegen ist die Gründung für viele nicht finanzierbar bzw. deutlich riskanter.

Dabei hat die Politik mit der „Ich AG“ einst die Unternehmensgründungen gefördert.

Andreas Lutz: Aber nun schwenkt sie um und wird zum Unternehmensgründer-Verhinderer. Die Regierung ist dabei, die gesamte Infrastruktur für Gründungen kleiner Unternehmen zu zerschlagen. Neben dem Gründungszuschuss spielen Mikrokredite von 1.000 bis 20.000 Euro und vor allem auch das Gründercoaching Deutschland eine wichtige Rolle. Das Gründercoaching für Arbeitslose wird, wie gerade bekannt wurde, Ende des Jahres abgeschafft, und der Mikrokreditfonds Deutschland stellt zum Jahresende die Neukreditvergabe ein. Kredite und geförderte Beratung können also nur noch bis 31.12.2013 beantragt werden. Alle diese Programme sind ausgesprochen erfolgreich.

Ist das belegbar? Das Einzige, was bei solchen Förderungen sicher ist, sind bekanntlich die Mitnahmeeffekte…

Andreas Lutz: Die Wissenschaft hat sie wiederholt positiv bewertet. Noch dazu kommen die Fördergelder großenteils von der EU, belasten also noch nicht einmal die nationalen Haushalte. Aber es geht nicht nur darum, dass Gründer (sofern sie keinen großen Kapitalbedarf haben) keine Hilfe mehr erhalten, sondern dass Selbstständige auch mit überhöhten Sozialversicherungsbeiträgen belastet werden. Die Mindestbeiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung betragen für Selbstständige 350 Euro/Monat. Die Beiträge zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung für Selbstständige wurden in 2011 und 2012 vervierfacht auf 80 Euro/Monat, obwohl sie nur geringen Schutz bietet. Zusätzlich möchte Arbeitsministerin von der Leyen eine Rentenversicherungspflicht für Selbstständige einführen, mit einer Mindestbelastung von 260 Euro. Diese Untergrenzen sollen für alle Selbstständigen gelten, also z.B. auch für eine Frau, die in Teilzeit selbstständig ist und weniger als 1.000 Euro pro Monat verdient. Hat da niemand nachgerechnet? Angestellte bezahlen nur einen Bruchteil. Das ist nicht nur ungerecht, sondern verhindert Gründungen in großer Zahl. Von ausufernden bürokratischen Verpflichtungen und Zwangsabgaben, denen Selbstständige ausgesetzt sind, möchte ich gar nicht erst anfangen…

Sie haben die Sorgen der Kleinunternehmer bei Frau von der Leyen vorgetragen, wie war die Stimmung und was konnten Sie erreichen?

Andreas Lutz: Wir konnten die geplante Rentenversicherungspflicht – zumindest für die laufende Legislaturperiode – verhindern und damit den Aufbau einer riesigen neuen Bürokratie. Mein Mitstreiter Tim Wessels ist für die von ihm initiierte Petition gegen die Rentenversicherungspflicht, die in vier Wochen 80.000 mal mitgezeichnet wurde, gerade mit dem „Werner-Bonhoff-Preis wider den §§-Dschungel“…

…der auf immerhin 50.000 Euro dotiert ist…

… ausgezeichnet worden. Ich mache mir aber keine Illusionen: Nach der Wahl wird – unabhängig von den gewählten Parteien – die Rentenversicherungspflicht erneut auf die Agenda kommen. Unter Politikern auf Landes- und Bundesebene gibt es praktisch keine Einzel- und Kleinunternehmer. Diese haben nämlich gar keine Zeit, sich in Parteien und Verbänden, IHK-Vollversammlungen usw. zu engagieren. Deshalb wollen wir Wege schaffen, wie Selbstständige, auch wenn sie nur wenig Zeit haben, etwas für ihre gemeinsamen Ziele und Anliegen tun können. Außerdem wollen wir Selbstständige, die sich in größerem Umfang für ein Thema engagieren, dabei unterstützen, zum Beispiel durch professionelle Pressearbeit.

Wie geht es weiter, wie müsste Ihrer Meinung nach die Politik handeln?

Andreas Lutz: Die Petition gegen die Rentenversicherungspflicht hat gezeigt, wie schnell man politisch etwas erreichen kann, wenn man mit einer Stimme spricht. Von der Politik wünschen wir uns, dass sie endlich die konkreten Auswirkungen ihrer Gesetzesvorhaben auf kleine Unternehmen mit bis zu 9 Mitarbeitern, auf Einzelunternehmer, Freelancer und auch Teilzeit-Selbstständige berücksichtigt. Die Selbstständigen sind ein Eckpfeiler der Gesellschaft, sie dürfen nicht immer weiter überfordert werden.

Und sie können sich offenbar Gehör verschaffen, wenn sie nur wollen. Sie sind Ihrerseits aktiv im Verband der Gründer und Selbstständigen, was kann der Verband bewirken, wie lauten die Ziele?

Andreas Lutz: Der VGSD e.V. will Gründern und Selbstständigen eine Stimme geben, für eine bezahlbare Sozialversicherung, gegen überbordende Bürokratie und Zwangsabgaben. Auch spezielle Themen wie der bessere Zugang zu Krediten und Geschäftskonten sind uns ein Anliegen. Unsere Mitglieder können auf der Website selbst die Ziele des Verbands bestimmen. Der Verband arbeitet dann anhand der so gesetzten Prioritäten.

Dazu haben Sie eine neue Website freigeschaltet, womit will sie den Kleinunternehmer helfen?

Andreas Lutz: Die neue Website www.vgsd.de ist ein Riesensprung nach vorn für uns. Sie ist für uns das wichtigste Kommunikationsinstrument und ermöglicht unseren Besuchern, sofort aktiv zu werden, mitzubestimmen und zu diskutieren. Sie vereinfacht die Organisation unserer Regionaltreffen, bei denen Mitglieder und Interessenten Erfahrungen austauschen und einander Rat geben, sowie von Webkonferenzen, bei denen Experten den Teilnehmern Fragen, etwa zu Recht und Steuerthemen, beantworten. Und wir haben noch weitere Pläne, wie wir aus der Website ein laut vernehmbares Sprachrohr für Gründer und Selbstständige entwickeln werden.

Mit seiner Firma alVoloConsult berät Michael Lemster Verlage, E-Commerce-Unternehmen, Buchhändler und Dienstleister bei Geschäftsentwicklung, Programm, Business- und Datenprozessen. Die Qualitätssicherung von Katalog- und anderen Stammdaten ist sein Spezialgebiet. Daneben publiziert er in Fach- und Publikumsmedien.

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