Das Sonntagsgespräch Stefan Weidle: Buchhandel mit Prämiensystem finanziell fördern

Stefan Weidle ist Verleger und Vorstandsvorsitzender der Kurt Wolff Stiftung, die zur Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene im Jahr 2000 von unabhängigen Verlegern und dem damaligen Kulturstaatsminister Dr. Michael Naumann gegründet wurde. Zusammen mit dem Staatsministerium für Kultur und Medien arbeitet Weidle jetzt daran, für den unabhängigen Buchhandel finanzielle Förderungsmöglichkeiten über ein Prämiensystem zu etablieren.

Ulrich Faure: Die Kurt Wolff Stiftung ist vornehmlich dafür bekannt, die Interessen unabhängiger Verlage mit anspruchsvollem Programm zu vertreten. Aber Sie machen sich zunehmend auch Sorge ums unabhängige Sortiment…

Stefan Weidle

Stefan Weidle: Nicht nur ich mache mir Sorgen um den unabhängigen Buchhandel. Wenn man sich die Mitgliederzahlen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels anschaut, sieht man, dass seit dem Jahr 2003 rund ein Viertel weniger Buchhändler dort Mitglied sind. Und hören wir nicht immer wieder von Schließungen? Und vom dramatischen Rückgang der Ausbildungsplätze? Und findet in der Presse nicht gerade ein Wettbewerb um die schwärzeste Zukunftsprognose für den Buchhandel statt? Zum Thema Ausbildungsplätze las ich dieses Statement einer Buchhändlerin: „Tja, schlicht und einfach – ich kann es mir nicht mehr leisten auszubilden. Weiß ja nicht, was morgen ist und mich da vertraglich zu binden … lieber nicht. Und außerdem, ob unser Beruf überhaupt noch eine Zukunft hat nach dem Zeittenor und und und – das ist auch fraglich.“ Und da soll man sich keine Sorgen machen?

Einen Verlag kann ich zur Not von der Küche aus betreiben, aber eine Buchhandlung, die anfassbare Bücher zeigen will, braucht einen Laden und Personal. Bei steigenden Innenstadtmieten ist es aber für Buchhändler so gut wie aussichtslos, in ordentlichen Lauflagen ein Geschäft anzumieten. Wo sehen Sie eine Lösung des Problems?

Ich glaube nicht, dass die Innenstadtmieten weiter steigen werden, im Gegenteil. In Bonn etwa ist die Entwicklung des Einzelhandels deutlich rückläufig. Die Textilbranche beklagt, dass der Anteil der Online-Verkäufe auf über elf Prozent gestiegen ist. Wo aber weniger umgesetzt wird, ist es schlecht möglich, Mietsteigerungen durchzusetzen. Wenn man in kleineren Städten unterwegs ist (ich war zuletzt in Siegburg und Germersheim), sieht man mehr und mehr Leerstand, selbst in den Fußgängerzonen. Das ist natürlich in den Großstädten Berlin und München anders, aber dort lebt der Einzelhandel inzwischen zu einem erklecklichen Teil von Touristen. Es ist sicher nicht mehr so, dass für eine geschlossene Buchhandlung sofort ein Nachmieter gefunden wird – in Bonn etwa ist der Teil der Buchhandlung Bouvier, der vor über zwei Jahren geschlossen wurde, immer noch ohne Nachmieter. Vielleicht ließen manche Vermieter vor diesem Hintergrund gar über eine Anpassung nach unten mit sich reden.

Die großen Ketten haben in ihrem Angebot „auf alles“, vor allem auf Schnelldreher, gesetzt – was der Kunde augenscheinlich nicht goutiert hat. Sonst müssten nicht so viele Filialen geschlossen werden. Wie müsste eine Buchhandlung aussehen, der Sie den Titel Kurt Wolff Buchhandlung verleihen würden?

Die Ketten haben die Buchkäufer vielleicht für dümmer gehalten, als sie wirklich sind. In Bonn etwa hat man ein denkmalgeschütztes ehemaliges Kino an Thalia verhökert und dafür die hässlichste Buchhandlung der Welt in die Stadt bekommen. Das Heil sucht man dort jetzt im massenhaften Angebot von Dingen, die sich gerade noch zum Schrottwichteln eignen. Nein, es war sicher ein Fehler, dass die Ketten den Leser nicht ernstgenommen haben. Sie hätten durch ein qualitätvolles Angebot mehr Kunden binden können, mich zum Beispiel. Dass das auch anders geht, zeigt eine große Buchhandlung wie Dussmann, wo durchaus auch mal Titel aus meinem Verlag auf dem Tisch liegen, ohne dass ich ruinöse Sondervereinbarungen oder derlei treffen müsste. Und wenn sie nicht dort liegen, wo man sie sieht, mache ich dasselbe wie alle anderen Verleger. Das darf aber nicht verraten werden.

Wie aber soll eine Kurt-Wolff-Buchhandlung aussehen? Wir haben da unlängst als Voraussetzung für eine etwaige staatliche Förderung unabhängiger inhabergeführter Buchhandlungen einen Kriterienkatalog entworfen:

o kein zentraler Einkauf
o ein bestimmter Umsatzanteil resultiert aus dem Verkauf neuer Bücher
o Angebot von kulturellen Veranstaltungen
o ausreichend beratendes Personal
o Empfang von Verlagsvertretern
o Bezug des Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB)
o breites Sortiment
o inhabergeführt
o bildet aus
o konzernunabhängig

Für weitere Vorschläge bin ich dankbar.

Mehr und mehr werden Stimmen laut: „Rettet den unabhängigen Buchhandel!“ Prof. Roland Reuß warnte neulich in der FAZ die Verlage, die mit Amazon gut verdienen, sie würden „die Kehrseite dieser lukrativen Geschäfte dann kennenlernen, wenn kein nennenswerter lokaler Buchhandel mehr existiert. Denn dann kann, wie in Amerika schön zu sehen, der Monopoldistributor direkt in das Verlagsprogramm hineinregieren.“ Sehen Sie das auch so?

Ja. Wir müssen uns einfach entscheiden, was wir wollen, den Bio-Adapter, wie ihn Oswald Wiener in seinem Jahrhundertbuch die verbesserung von mitteleuropa. roman 1969 beschrieben hat, also die Symbiose mit einem externen technischen Gerät, das alle unsere geistigen und körperlichen Funktionen übernimmt, oder Spazieren in Berlin, wie ein weiteres Jahrhundertbuch, von Franz Hessel, es beschreibt. Wenn man aber flanieren will, muss es Auslagen zum Betrachten geben. Wer online bestellt und kauft, bezahlt das, was er vielleicht spart, mit einem Stück Lebensqualität in seiner Stadt. Wir brauchen den stationären Buchhandel, wir brauchen den unabhängigen Buchhandel. Und mit wir meine ich jetzt auch die unabhängigen Verlage, denn wir haben sonst kein Schaufenster, wo uns der flanierende Buchkäufer findet. Verschwindet das unabhängige Sortiment, verschwinden auch wir. Genauer: Wir verschwinden sogar zuerst. Was den zweiten Teil der Frage anlangt, ob der Monopolist ins Verlagsprogramm hineinredigiert: Ich bin Verschwörungstheorien schon immer abhold gewesen.

Betriebsberater haben dem Buchhändler jahrelang erklärt, wieviel Umsatz er pro Quadratmeter machen müsse, um seinen Laden effektiv führen zu können. Heute wird mehr und mehr das Einkaufserlebnis in den Vordergrund gestellt, um kleinen Läden das Überleben zu garantieren. Muss die Branche umlernen?

Nicht nur die Branche muss umlernen, auch der Konsument muss das. Und, wie ich finde, der Gesetzgeber. Wir müssen jetzt den Anfängen des Untergangs unserer in Jahrhunderten gewachsenen Buchhandelsstruktur wehren. Sofort. Der unabhängige Buchhandel garantiert die Versorgung des Lesers mit der ganzen Vielfalt unseres literarischen Lebens und ist damit ein unverzichtbares Kulturgut, das man fördern muss. Und damit meine ich finanziell fördern. Das unabhängige (sprich Programm-)Kino wird vom Bund gefördert, aus diesen Gründen: „Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien vergibt die Kinoprogrammpreise als Auszeichnung für Kinos mit einem kulturell herausragenden Jahresfilmprogramm. Das Ziel der Förderung liegt in der Verbesserung der Abspielchancen für künstlerisch anspruchsvolle Filme, da in den letzten Jahren besonders die kleineren und mittleren gewerblichen Filmkunst- und Programmkinos durch den vom Multiplexboom ausgelösten Verdrängungswettbewerb in ihrer Existenz gefährdet sind.“ Darf ich Ihnen das mal übersetzen? „Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien vergibt die Buchhandelspreise als Auszeichnung für Buchhandlungen mit einem kulturell herausragenden Buchangebot. Das Ziel der Förderung liegt in der Verbesserung der Wahrnehmungschancen für künstlerisch und inhaltlich anspruchsvolle Bücher, da in den letzten Jahren besonders die kleineren und mittleren Buchhandlungen durch den von den Buchhandelsketten und den Online-Anbietern ausgelösten Verdrängungswettbewerb in ihrer Existenz gefährdet sind.“

Ich stelle mir eine Förderung durch ein Prämiensystem vor, analog der Kinoförderung. Und bin damit im BKM auf alles andere als taube Ohren gestoßen. Noch ist nichts entschieden, aber wir versuchen fünf Millionen Euro pro Jahr bewilligt zu bekommen, um damit ungefähr 400 Buchhandlungen fördern zu können. Diese müssen sich freilich bewerben, und es gibt eine Jury, in der vermutlich einige Verlagsvertreter werden sitzen müssen, da niemand den Buchhandel so gut kennt wie sie. Da es die Kurt Wolff Stiftung als vom BKM finanzierte Körperschaft schon gibt, würde sie die Abwicklung übernehmen (natürlich muss dazu eine Stelle eingerichtet werden). Ich glaube, dass es eine gute Chance gibt, dieses Projekt zu verwirklichen. Aber wir brauchen Unterstützung, denn die Entscheidung wird auf politischer Ebene fallen. Es wäre also sicherlich nicht falsch, wenn der eine oder andere sich in dieser Angelegenheit an politische Entscheidungsträger wendet. Im übrigen glaube ich, dass es auch ein wichtiges Signal an die Leser ist, ihre Bücher in Buchhandlungen mit Gütesiegel zu kaufen. In Frankreich gibt es das übrigens schon.

Bücher aus unabhängigen Verlagen, die selten einen Werbeetat haben, muss man Kunden ans Herz legen. Wenn wir vom Modell der Kurt Wolff Buchhandlung, voll mit Titeln aus den Mitgliedsverlagen der Stiftung, ausgehen, muss der Buchhändler beraten können. Das ist schwieriger bei Hermann Borchardts großem Roman „Die Verschwörung der Zimmerleute“ aus Ihrem Verlag als z.B. bei einem beliebigen Harry-Potter-Band. Wie müsste da die Zusammenarbeit von Verlagen und Sortiment aussehen?

Ich kann hier nur Angebote machen. Erstens sollten die Buchhändler unseren Katalog Es geht um das Buch auslegen und nutzen. Darin versammeln wir jedes Jahr 65 deutsche (da das Geld vom Bund kommt, können wir keine österreichischen oder Schweizer Kollegen aufnehmen) Verlage mit ihren Programmen. Zweitens sollten sie intensiv mit unseren Verlagsvertretern zusammenarbeiten, die kennen die Bücher. Drittens sollten sie ruhig mal mutig sein und einen Independent-Verlag in ihrer Buchhandlung vorstellen. Entweder mit Verleger oder ohne. Wenn die Leser unsere Bücher zu sehen bekommen, sind sie meist sehr interessiert. Ich habe die beiden letzten Jahre einen Stand auf einem Weihnachtsmarkt in Berlin betrieben (mit vier Kollegen) und dabei festgestellt, dass die Leute nicht die Neuerscheinungen kaufen, sondern Backlist-Titel, von denen sie noch nie gehört hatten. Sie konnten da selbst Entdeckungen machen. Viertens gibt es seit Jahren die Überlegung, dass KNV ein Kurt-Wolff-Paket anbietet, also ausgewählte Titel aus unseren Verlagen mit Remissionsrecht. Wir müssen die Zusammenarbeit mit dem Sortiment verbessern, und das Sortiment sollte erkennen, dass unabhängige Verlage und unabhängige Buchhändler zusammengehören. Gemeinsam sind wir vielleicht nicht stark, aber sicher längst nicht so schwach, wie sich viele von uns fühlen.

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