Das Sonntagsgespräch Dr. Joerg Pfuhl über die Initiative „Lesefreunde“ und was das für den Buchhandel bedeutet

In dieser Woche wurde offiziell die Aktion Lesefreunde vorgestellt, die darin besteht, dass am Welttag des Buches Buch- und Lesefreunde ihre Lieblingsbücher weiterempfehlen und verschenken sollen.

Dr. Joerg Pfuhl, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Lesen, will damit nicht nur eine neue Lesewelle lostreten, sondern erhofft sich für den Buchhandel auch Umsätze wie im Weihnachtsgeschäft. Das war Anlass für unser Sonntagsgespräch, in dem der bisherige Chef der Verlagsgruppe Randomhouse auch begründet, warum er in der Idee auch ein attraktives Marketinginstrument für den Handel sieht.

Herr Dr. Pfuhl, Sie wollen am Welttag des Buches eine Million Bücher kostenlos unters Volk bringen – warum?

Dr. Joerg Pfuhl: Wir wollen damit eine Lesewelle in ganz Deutschland auslösen, und dem Welttag zu einer deutlich gesteigerten Aufmerksamkeit verhelfen.

Dr. Joerg Pfuhl:
„Mitmachen! Das ist ein
Marketing instrument, das nichts kostet“

Ist das wirklich noch nötig?

Ja, aber ich will das mit Zahlen belegen: 45% der Deutschen kaufen keine Bücher, 25% lesen nicht, 15% sind sogar funktionale Analphabeten, die nicht einmal einfachste Texte verstehen können. Man kann die Hände in den Schoß legen und das akzeptieren – oder man kann etwas tun. Und welche besseren Botschafter gäbe es für das Lesen als überzeugte Leser, die eines ihrer Lieblingsbücher weiterverschenken?

Sie haben die aus England importiert…

…. wo sie höchst erfolgreich war. Entstanden ist die Idee der „World Book Night“ bei einem Workshop des britischen Verlegerverbandes im Mai 2010. Mit der Umsetzung wurde dann im Herbst 2010 begonnen, und im März 2011 wurden in Großbritannien eine Million Bücher verschenkt und ein großes Lesefest auf dem Londoner Trafalgar Square mit mehr als 5.000 Lesefreunden gefeiert. 2012 wird diese Aktion neben Deutschland und UK auch in den USA stattfinden, weitere Länder sind bereits für 2013 am Start. Unser großes Vorbild ist dabei Spanien, wo sich seit langem Menschen aller Bevölkerungsschichten am 23. April gegenseitig Bücher schenken – diese Tradition hat nicht nur eine gesellschaftliche, sondern auch eine hohe wirtschaftliche Bedeutung.

Das verstehe ich nicht ganz…

Wir wissen aus Spanien: Durch das Verschenken von Büchern wurden dort in der Welttagswoche die gleichen Umsätze erzielt wie im Weihnachtsgeschäft. Davon sind wir noch deutlich entfernt, aber ein erster Schritt wird in diesem Jahr gemacht!

Was erhoffen Sie sich vom Buchhandel ?

Er soll sich anstecken lassen und sich auf www.welttag-lesefreunde.de als Abholort registrieren, denn die Buchpakete werden den Buchschenkern nicht nach Hause geschickt, sondern müssen in einer Buchhandlung oder Bibliothek abgeholt werden. Diese Kontakte kann jeder Buchhändler für sich nutzen! Und er soll seine Kunden ermutigen, sich auch als Buchschenker zu registrieren! Das allein ist doch ein tolles Marketinginstrument und kostet nichts.

Und woher sollen die großartigen Zusatz-Umsätze kommen, wenn die Bücher verschenkt werden?

Die Erfahrung in UK hat gezeigt, dass es sinnvoll ist, während des Aktionszeitraumes Büchertische mit den Welttag-Titeln und weiteren Backlist-Titeln dieser Autoren zu machen – und dass der Handel mit den verschenkten Titel im Aktionszeitraum eine Umsatzverdoppelung erzielen konnte, weil durch die Medienresonanz, Mund-zu-Mund-Propaganda und Social Media-Verbreitung über diese Bücher gesprochen wird. Auf der britischen Website finden Sie inzwischen zahlreiche Kommentare von Menschen, die die gesamte „Edition“ inzwischen gelesen haben. Und wir können das jetzt schon nach vier Tagen feststellen: In zahlreichen Blogs wird über die Titelliste diskutiert, wir konnten innerhalb von drei Tagen bereits über 800 Facebook-Freunde verzeichnen. Wenn unser Gespräch morgen online ist, werden wir wohl die 1000 überschritten haben. Die Lawine rollt…

… und tatsächlich kostenlos?

Ja, natürlich. Die komplette Aktion wird von den teilnehmenden Verlagen, den Premium Partnern Deutsche Post und Thalia sowie zahlreichen weiteren Partnern finanziert. Für teilnehmende Sortimenter entstehen keinerlei Kosten, die Pakete werden im April kostenfrei zugestellt.

Wie kam die Titelliste* eigentlich zustande?

Das war ein iterativer Prozess. Das Ziel war ja, eine möglichst abwechslungsreiche Palette ganz unterschiedlicher Autoren und Titel zu bieten, damit jeder Lesefreund sein persönliches Lieblingsbuch findet.

Oh, das hört sich kompliziert an, „iterativ?“

Schlagen Sie das Wort nach, so kompliziert wars gar nicht: Wir haben ganz einfach dafür die Bestseller- und Bestenlisten der letzten Jahre studiert und das Know-how der teilnehmenden Verlage genutzt. Rowohlt-Verleger Alexander Fest hat dafür gesorgt, dass „die Mischung stimmt“. Aber wir haben nichts dagegen, wenn Sie an der Liste Kritik üben wollen … Hauptsache, es wird darüber geredet.

Die Idee soll keine einmalige Aktion bleiben?

Natürlich nicht, dafür wäre der riesige Aufwand, den zahlreiche Freiwillige ehrenamtlich in das Projekt stecken, nicht gerechtfertigt. Die Aktion soll nachhaltig die Lesebegeisterung in Deutschland und weltweit steigern. Ich wünsche mir in fünf Jahren einen Bekanntheitsgrad des Welttags des Buches über 90% und die Wahrnehmung des Welttags als Fest des Buches, an dem sich viele Menschen gegenseitig Bücher schenken und an vielen Orten in Deutschland Lesefeste gefeiert werden.

Das sind nicht gerade bescheidene Ziele, aber werden die nicht durch die etablierten Aktionen zum Welttag verwässert?

Sie meinen etwa die Aktion „Ich schenk Dir eine Geschichte“ des cbj-Verlags? Die wird von der Aktion Lesefreunde nicht berührt. Diese Aktion, die ja zu einer echten Erfolgsgeschichte geworden ist – inzwischen werden damit 50% aller Viert- und Fünftklässler erreicht, von denen viele ihr erstes eigenes Buch erhalten und zum ersten Mal in eine Buchhandlung gehen – konzentriert sich ja auf Kinder.

Sie zielen auf die Erwachsenen?

Ja, wir wollen erstmals auch Erwachsene mit in den Welttag des Buches einbinden. Und mit der „Weltnacht des Buches“ werden wir parallel zu den Kollegen in UK am 23.4. ein großes Lesefest auf dem Hamburger Rathausmarkt feiern. Wir stecken mitten in den Vorbereitungen, können aber jetzt schon sagen: Wir werden viele prominente Bücherfreunde auf die Bühne bringen, die Teilnahme wird ebenfalls kostenlos sein, und wir würden uns freuen, wenn viele Leser des BuchMarkts dann mit uns den Welttag feiern würden!

*Hier die Liste der Bücher, die verschenkt werden:
download(Titelliste Lesefreunde.xlsx)

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz

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