Das Sonntagsgespräch Wolfgang Herles: Eine Sendung ist dann gelungen, wenn die Leute darüber reden

Der nächsten BuchMarkt-Ausgabe wird als besonderer Service für den Buchhandel ein Plakat zur ZDF-Sendung „Das Blaue Sofa“ beiliegen. Anlass für ein Gespräch mit dem Moderator der Sendung, Dr. Wolfgang Herles. (Den Download des Plakats gibt’s am Ende des Interviews.)

Margit Lesemann: Ihre Literatursendung steht in einer langen Tradition. Mit welchem Konzept wollen Sie die Zuschauer vor den Fernseher locken?

Wolfgang Herles
© ZDF/Jule Roehr

Wolfgang Herles: Einerseits bin ich diesen Geistern, die mir über die Schulter schauen, ob sie Marcel heißen oder Elke, dankbar, weil sie dieser Sendung eine Menge Aufmerksamkeit geben. Andererseits wäre es der allergrößte Fehler überhaupt, sie in irgendeiner Weise imitieren zu wollen. Was ich von den beiden gelernt habe, ist, dass dieses Sendungsformat rücksichtslos subjektiv sein muss.

Das heißt?

Ich bin ein neugieriger Reporter, und ein neugieriger Reporter sitzt nicht im Studio. Ich bin kein Entertainer, also darf ich nicht ein Studiopublikum bespaßen. Ich bin ein Autor. Mehr Autor als Kritiker. Deswegen glaube ich, dass ich mit den Autoren auf eine andere Art reden kann, als andere auf dem kleinen Markt der Buchsendungen. Ich will nicht sagen besser, aber anders, auf einer gewissen Augenhöhe.

Ich bin noch ganz beglückt von meinem Interview mit Julia Franck, das in der nächsten Sendung ausgestrahlt wird. Sie zerlegt die DDR auf so eine radikale Weise, wie ich es noch nirgendwo gehört habe. Was ist da passiert? Das ist doch ganz klar: Sie hat mit einem Homo politicus geredet, der „Wir sind kein Volk“ geschrieben hat. Ich will mich dessen gar nicht rühmen. Ich sage nur: Auf die Gesprächshaltung kommt es an. Und deshalb sind für mich Gespräche überhaupt nicht Talk, sondern der Versuch, einer Sache auf den Grund zu gehen.

Sie werden in Ihrer Sendung jeweils mit zwei Schriftstellern Gespräche führen?

Das hat sich schon weiterentwickelt. Ich versuche, mit weiteren Gesprächspartnern auch ein diskursives Element in die Sendung zu bringen. Das muss nicht zwangsläufig ein Kritiker sein. In der nächsten Sendung ist es der Historiker Robert Gerwarth, der eine Biographie über Reinhard Heydrich geschrieben hat. Wir reden über Laurent Binets „HHhH“. Denn der Mann, der Heydrich wissenschaftlich am besten kennt, kann möglicherweise viel interessanter über den Roman reden als es ein Literaturkritiker könnte.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Bücher und Autoren der Sendung aus?

Da gilt das, was ich vorhin sagte: Radikale Subjektivität. Es müssen Bücher sein, die mich packen – im Positiven wie im Negativen. Ich habe ja in jeder Sendung einen Verriss. Das muss sein. Aber ich werde mich nicht über Debütanten hermachen. Ein Verriss lohnt sich nur, wenn der Autor schon bekannt ist. Meine Glaubwürdigkeit im Positiven wächst, wenn es auch eine klar begründete Warnung vor einem Buch gibt. Das gilt übrigens auch für einen guten Buchhändler. Er zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er nur Reklame macht. Das Vertrauen, das er sich beim Leser erwirbt, besteht auch darin, mal vor einem Buch zu warnen.

Haben auch kleine Verlage in Ihrer Sendung eine Chance?

Ja, in der nächsten Sendung ist der A1 Verlag vertreten. „Herr der Krähen“ von Ngũgĩ wa Thiong’o ist ein fantastisches Buch, einer der wichtigsten afrikanischen Zeitromane, eine fulminant geschriebene politische Satire, die für mich auf einer Stufe steht mit Vargas Llosas „Das Fest des Ziegenbocks“.

Was macht für Sie einen guten Roman aus?

Wenn ich am Ende mehr über mich und die Welt weiß als zuvor. Wenn ich Dinge erfahre, die ich in keinem anderen Medium, in keiner Zeitung und schon gar nicht im Fernsehen bekommen kann. Wenn man sich in einer Geschichte wiedererkennt, dann hat das Buch eine Saite angerissen, die in jedem Leser vorhanden ist. Die Kunst der Schriftsteller ist es, die innere Harfe der Leser zum Klingen zu bringen.

Passen so grundverschiedene Medien wie Literatur und Fernsehen überhaupt zusammen?

Man kann über Musik schreiben, aber man kann Musik nicht in Sprache abbilden. Und im Fernsehen kann man auch Literatur nicht abbilden. Eigentlich tun wir etwas Unmögliches und trotzdem Notwendiges. Wir können das Lesen nicht ersetzen, aber befördern. Das ist unsere Aufgabe.

Wie kann das gelingen?

Die Zuschauer müssen hinterher Feuer und Flamme sein. Zu den Effekten dieser Sendung zählt, dass man die Autoren persönlich kennenlernen kann. Ähnlich wie bei einer Lesung in der Buchhandlung. Jeder Buchhändler weiß, dass Autoren die mal bei ihm gelesen haben, Stammpublikum gewinnen. So ähnlich ist das im Fernsehen. Wenn man zuhört und zuschaut – ohne Unterbrechung durch Zappelbilder, dann hat das eine bindende Wirkung zwischen Leser und Autor.

Während Koch-Shows die besten Sendezeiten abbekommen, werden Sie auf den späten Freitagabend gedrängt…

Erstens kommt nach uns eine Koch-Show. Nach uns! Zweitens ist das der angestammte Sendeplatz. Ich bin also nicht verdrängt worden. Das ist der Sendeplatz, den meine Vorgänger auch hatten, und es ist der aspekte-Platz, der sechs Mal im Jahr mit Literatur gefüllt wird. Man kann sich etwas Besseres wünschen, aber nicht immer hat das Wünschen geholfen.

Und immer mehr Menschen schauen die Sendung digital, dann, wann sie wollen. Die Mediathek-Nutzer zählen zwar nicht zur Einschaltquote. Das ist mir aber egal. Ich mache die Sendung nicht für die Quote, sondern für die Zuschauer. Wir sind mit Abstand die meist eingeschaltete Literatursendung. Wir haben 750.000 Zuschauer. Denis Scheck hat 500.000. Deshalb sollte man das Glas halb voll sehen und nicht halb leer.

Wann werten Sie Ihre Sendung als Erfolg?

Das ist ganz simpel: Eine Sendung ist dann gelungen, wenn die Leute darüber reden. Ich hoffe sehr, dass die Plakate und Buchkärtchen, die wir den Buchhändlern anbieten, dazu beitragen, dass die Bücher der Sendung im Gespräch bleiben. Es ist der Wunsch, dass ich mein Publikum finde. Und wo finde ich mein Publikum? Natürlich im Buchhandel. Das ist die Zielgruppe im eigentlichen und besten Sinne. Ich bin dankbar, dass BuchMarkt mir dabei hilft, sie zu erreichen.

Wie sehen Sie die Zukunft des Mediums Buch?

Die Zukunft des Buches ist nur eine Frage der Vertriebswege, aber natürlich eine essentielle Frage für den Buchhandel. Um es einfach zu sagen: Um das Buch ist mir weniger bang als um den Buchhandel. Ich selbst bin altmodisch und lege Wert darauf, meine Bücher in der Hand zu halten und sie zu misshandeln, also reinzuschreiben, Ecken umzuknicken.

Die Gefahr für den Buchhandel liegt weniger am digitalen Buch. Ich glaube die größere Gefahr ist das Self-Publishing. Warum soll ein Philipp Lahm sein Buch über einen Verlag verkaufen? Er kann es über Fußball-Netzwerke, Fanclubs und Zeitschriften genauso gut vermarkten und dann bleiben ihm 80 Prozent. Da müssen sich Buchhandel und Verlage etwas einfallen lassen.

Philip Lahm ist kein literarischer Autor. Schriftsteller brauchen ein Lektorat…

…Ein Lektorat kann man kaufen. Aber Sie haben Recht: Verlage und Buchhandel sind eine Kulturinstitution, und wenn es um hohe Literatur geht, sprich um künstlerischen Anspruch, wird man nie auf sie verzichten können. Nur weiß natürlich jeder, dass die Branche nicht von Hochliteratur lebt. Die Gefahr liegt nicht im literarischen Bereich, sondern im Massensachbuch und anderen Formen, die man nicht unbedingt als Literatur bezeichnet.

Haben Sie einen Rat, wie der Handel gegensteuern kann?

Wenn ich keine Beratung haben will, kann ich ins Internet gehen. Wenn ich aber meinem Buchhändler so vertraue, wie ich meinem Fischhändler vertraue, dann hat der Handel eine Zukunft. Wenn jetzt eher die großen Ketten Schwierigkeiten haben, zeigt das, dass sie nicht so viel Service bieten und mehr unter dem Internet leiden als die Läden, die noch eine persönliche Kundenbeziehung aufbauen. Das lässt hoffen.

Wie muss eine Buchhandlung aussehen, in der Sie selbst gerne einkaufen?

Sie muss ein Ambiente bieten, das buchaffin ist. Dazu zählt Platz, dass man sich hinsetzen und blättern kann. Eine Buchhandlung darf nicht wie ein Supermarkt aussehen. Ich habe aber nichts dagegen, wenn der eine oder andere Buchhändler auch ein paar gute Flaschen Wein im Sortiment hat.

Hier zum Plakat: download(blaues_sofa/blaues_sofa_2011_12.pdf)

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