Die Rechte-Kolumne Buchverbot ohne verbotenes Buch

In der Historie verbotener Bücher gab es ja schon vieles, aber die Situation um „100 Prozent Anders“ ist neu: Dem Autor sind einzelne Passagen untersagt, das Buch selbst aber darf weiterhin ungehindert verkauft werden.

Der vergangene Freitag war sicher einer der schöneren Tage in der Laufbahn von zwei Koblenzer Anwälten, die sonst bundesweit eher unauffällig agieren. Dieses Mal aber durften sie unter Anteilnahme eines größeren Teils der deutschen Klatschpresse ihrem Beruf nachgehen und konnten vor dem örtlichen Landgericht für ihre Mandantin Nora Balling einen scheinbar glanzvollen Sieg erringen. Frau Balling ist unter ihrem Vornamen einem breiteren Publikum immer noch bekannt als der Grund, weshalb ihr damaliger Ehemann Thomas Anders, der Sänger der Neunzigerjahre Hit-Combo Modern Talking, bei Konzerten und Fernsehauftritten immer eine „NORA“-Kette um den Hals hängen hatte. Nora wollte, dass ihr Tommie aller (Damen-) Welt durch diese Kennzeichnung zeige, dass er wie die Kette an ihm dauerhaft und unverrückbar an ihr hänge.

All das half bekanntlich nichts, denn irgendwann trennte sich das Koblenzer Traumpaar. Die Kette ruht seitdem in einem Banksafe. Wenn es nach dem Landgericht Koblenz gegangen wäre, hätte sich das ehemalige Traumpaar auch ohne Kette am vergangenen Freitag vor dem örtlichen Landgericht wiedersehen können. Der Anlass indes wäre kein erfreulicher gewesen. In Anwesenheit der Beteiligten sollte untersucht werden, ob Anders wie in seiner Autobiographie „100 Prozent Anders“ geschehen auch weiterhin interessante Details über Sozial- und Konsumverhalten seiner Ex öffentlich erörtern darf.

Nora erschien fein zurechtgemacht und ließ sich brav mit dem Buchcover abbilden. Sie war Pressefotos zufolge von gleich zwei Anwälten begleitet, beide dem Anlass und dem starken Medienaufkommen entsprechend in vornehmer weißer Krawatte zur noblen Robe gwandet.

Ebenfalls von seiner vornehmen Seite zeigte sich der Beklagte Thomas Anders. Er hielt sich nämlich derart vornehm zurück, dass er gar nicht erschienen war. Die gesamte Beklagtenbank blieb zur Enttäuschung der Klägerseite und der Zuschauer während der öffentlichen Verhandlung verwaist. Anders und sein Advokat hatten dem Gericht mitgeteilt, dass sie die Richter allesamt für befangen hielten, weil Bitten um Terminverschiebung und nichtöffentliche Verhandlung abgelehnt wurden. Das Fernbleiben wiederum bezeichnete die Spruchkammer als respektlos, so dass auch nicht weiter verwunderte, dass die meisten der Verbotsanträge gegen Anders‘ Aussagen erfolgreich beschieden wurden.

Der Respekt der Koblenzer Juristengilde dürfte auch nicht gestiegen sein, als noch am Freitag Fotos auftauchten, die einen fröhlich dreinblickenden Autor bei einer öffentlichen Lesung (freilich anderer als der Nora-Passagen) in Dortmund zeigten, welche er dem Auftritt vor Gericht vorgezogen hatte. Der zur Presse sprechende Teil von Noras Anwalts-Duo, der sich laut Kanzleihomepage sonst überwiegend als Strafverteidiger betätigt, kommentierte dies leicht polemisch dahingehend, dass ihn dieses Verhalten an einen Dieb gemahne, der erklärte, seiner Strafverhandlung fernbleiben zu müssen, weil er noch weiter zu stehlen habe. Ähnlichen Unterhaltungswert hatte auch seine – vermutlich überdies nicht von allen Musikexperten geteilte – Aussage, Anders‘ Verhalten entspräche nicht der Harmonie seiner Gesänge.

Alles in allem dürfte der Jurist aber sehr zufrieden ins Wochenende gezogen sein, gab er doch im Gefühl des sicheren Sieges Thomas Anders gleich noch den Rat, dieser solle nun schon mal anfangen, das Buch zu schwärzen oder Seiten rauszureißen. Andernfalls, so die Meinung des Anwalts, werde es teuer für ihn, denn Anders wurde schließlich vom Gericht ein Ordnungsgeld für den Fall angedroht, dass er die verbotenen Passagen weiterhin verbreite.

Der Advokat dürfte sich bei seinem nächsten Besuch in einer Buchhandlung vielleicht noch wundern, denn die Edition Koch, die das Anders-Buch verlegt, hat auf Nachfrage der interessierten Öffentlichkeit mitgeteilt, dass sie gar nicht daran denke, der Empfehlung von Noras Anwalt nachzukommen und das Buch von Anders oder von wem auch immer schwärzen oder Seiten rauszureißen zu lassen. Der Verlag nämlich war von Nora gar nicht mitverklagt worden, weshalb das Urteil gegen Thomas Anders keine Wirkung gegen ihn habe. Die Biographie darf demnach weiter ungeschwärzt und unzerrupft verkauft werden, so dass das geneigte Publikum in Ruhe nachlesen kann, was Nora so erbost hat. Anders geht unterdessen unverdrossen und bienenfleißig auf Lesereise, am Wochenende war er schon in Bonn, Dresden und Berlin.
Rainer Dresen, Dresen-Kolumne@freenet.de, 46, arbeitet als Rechtsanwalt und Verlagsjustiziar in München auf dem Gebiet des Urheber- und Medienrechts. In seiner Freizeit schreibt er gerne selbst Juristen- und Yogabücher (Kein Alkohol für Fische unter 16; Beim ersten Om wird alles anders). Zur letzten Kolumne: „Es gibt ihn noch, den Rechtsstreit um ein vermeintliches Skandalbuch“ [mehr…]

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