Deutscher Fachpresse-Kongress: Brücken bauen, ohne zu wissen wohin / Bilder vom ersten Tag

Jahrelang haben sie über den Wandel diskutiert. Doch nun scheint der Deutschen Fachpresse ein wenig der Atem auszugehen. Oder, um im Bild der Podiumsdiskussion am Nachmittag des ersten Kongresstages in Wiesbaden zu bleiben, es scheint der richtige Kurs aus dem Blick zu geraten.

Anders lässt sich der eher schleppende Kongresstag sowie die überaus vorsichtigen Äußerungen zwischen „Ja wir sind längst auf dem Weg in die Zukunft“ und „Aber wir wissen nicht wohin“ interpretieren.

„Transformation“, wie macht man das eigentlich, hätte der Titel für die Vorträge am Vormittag lauten müssen. IBMs Erfahrungen, wie man die Mitarbeiter mitnimmt oder auch mit denen umgeht, die sich nicht verändern wollen, blieb da ziemlich unkonkret. Der neue VDZ-Geschäftsführer Stephan Scherzer, frisch aus den USA zurück, fand zumindest noch klare Forderungen, dass Verleger ihr Stammgeschäft im Print bei allem Wandel nicht aus dem Auge verlieren dürften: Der Mensch. Wirklich neu war auch das nicht.

Doch selbst der nach dem Mittag eher theatermäßig inszenierte Blick in eine Zukunft 2021 mit dem Weg zum Web 5.0 machte die Fachverleger nicht unbedingt heiter. Dann komme die Realität dem Menschen aus dem Internet wieder entgegen. Zu den beiden Dimensionen Zielgruppenkenntnis und Technik komme noch die Dimension der Nutzungsituation hinzu, auf die Fachmedien in Zukunft eingehen müssen. Am besten hatte diese Stimmung fast unabsichtlich IBM-Mann Peter Gerdemann am Vormittag ausgedrückt: Veränderung sei eine Leidensphase. Dabei gebe es noch nicht viel Licht im Tunnel, alles Spannende der Zukunft scheine sowieso hinter einer Ecke zu liegen.

„Wir machen heute Bücher und Zeitschriften“, gab Detlef Koenig, Chef des Verlages für die Deutsche Wirtschaft eine Bestandsanalyse ab. Doch mit welchen Produkten und Geschäftsmodellen die Verlage in Zukunft ihr Geld verdienen würden, sei noch unklar. „Wir müssen da auf Sicht fahren“, lautete die Empfehlung des Verlagsleiters auf der Podiumsdiskussion. Beim Blick auf das Geld von morgen dürfe die Branche aber nicht vergessen, das Geld von heute zu verdienen.

Ein Punkt, bei dem ihm Dr. Eva Wille von Wiley-VCH zwar Recht gab. Sie stand aber ein für Experimente und ein innovationsfreudiges Klima in den Verlagen. Die Haltung müsse sein, auch etwas zu erlauben. Ihre Empfehlung: Weiter auf Sicht zu fahren und zugleich Brücken zu bauen, auch wenn noch nicht absehbar sei, wo das andere Ufer ist.

Genau dieses Bild brachte Jan-Klaus Beckmann ein wenig in Rage. Der Geschäftsführer des Lehrter Beckmann Verlages mit kleinen kommunalen Fachzeitschriften suche zwar auch nach den neuen Ideen. Aber kein Ingenieur würde auf die Idee kommen, eine Brücke zu bauen, deren Endpunkt er nicht kenne. Da setze er doch lieber auf andere Methoden, eine Fähre beispielsweise. Ganz konkret auf seine 14 Mitarbeiter übersetzt bedeute das: In seinem Hause werde handwerklich gearbeitet. Um nun aber das übliche Modell zu durchbrechen, habe er jemanden ins Team geholt, der nicht prozessorientiert, sondern projektbezogen arbeite. Beckmanns klare Ansage und damit in diesem Punkt doch noch versöhnt mit seiner Kollegin aus dem Hause Wiley lautete: „Wir brauchen mehr Spinner, die nicht nur Rädchen drehen, sondern auch einmal ein großes Rad anfangen.“

Innovation war also angefragt. Entweder über einen ausgiebigen Kundendialog, über Sekundärinformationen, über Recherchen, Datenbanken und Vernetzungen, wie es Claudia Michalski vom Berliner Beuth Verlag schilderte. Oder über die Form der Vermarktung, die Jürgen Paul, Chef des allein online produzierenden Verlages BauNetz. Die dortige Vielfalt sei schon etwas, „zu dem wir getrieben wurden“, schilderte er Segeltörns für Architekten, die sein Haus in Zusammenarbeit mit der Industrie anbietet. Die Erfahrungen seien aber gut, die Leserbindung exzellent. Eine Titanic sei nicht auf Sicht zu fahren, da müssten die Schiffe der Verlage kleiner und weniger werden und vielleicht auch einmal zwei Beiboote aussetzen können, so seine maritime Umschreibung.

„Mir ist es wichtig, dass Politik und Öffentlichkeit wissen, was Verlage tun und wofür sie stehen“, machte Dr. Eva Wille noch auf einen ganz eigenen Aspekt aufmerksam: Die Öffentlichkeitsarbeit. Verlage stünden nicht nur für das Buch und die gedruckte Zeitschrift, auch wenn Besuchergruppen in ihrem Hause Wiley das immer wieder anfragen würden. Wofür letztlich Verlage aber in Zukunft stehen sollen, außer für einen intensiven Austausch und Vernetzungen, das blieb auch in ihrem Wortbeitrag offen.

Fast wehklagend fasste der Berliner Jürgen Paul die Stimmung des ersten Kongresstages zusammen: „Es ist schön zu hören, dass wir als Fachverlage gebraucht werden“, sagte er. Die Aussagen, „dass an uns niemand vorbeikommt“, seien tröstlich. Aber dafür müsse die Branche noch vieles tun. Was genau, darüber scheint sie gerade zu rätseln. Die Lektion der Veränderung aus den vergangenen Kongressen hat sie gelernt. Erste Umsetzungen haben auch angesichts der leichten Ergebnissteigerung im ersten „Nachkrisenjahr“ bereits gefruchtet. Der große Durchbruch mit dem Rezept gegen die verbreitete Ratlosigkeit über die Verlagspolitik der nächsten Jahre scheint es aber noch nicht gewesen zu ein. Vielmehr liegt die Stimmung immer noch genau mitten zwischen wilder Entschlossenheit und verhaltener Angst vor der Zukunft. Da vermochte allein das Schlusssignal von Verlegersprecher Karl-Heinz Bonny aufzurütteln: Im nächsten Jahr tagt und tanzt der Kongress nicht mehr in Wiesbaden sondern in Essen [mehr…]. Welche Musik dann für die Verlage nach dem Abschneiden dieser alten Fachpresse-Tradition gespielt wird, ist noch völlig offen.

Christian Schlichter

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