Das Sonntagsgespräch Matthias Bischoff: Damit die Eichborn-Fliege brummt und nicht tot an einer Berliner Windschutzscheibe klebt

Wortmeldungen zum „Fall Eichborn“ gab es bisher viele – nun meldet sich einer der langjährigen Programm-Macher zu Wort: Matthias Bischoff, ab 1999 in leitender Funktion bei Eichborn, seit 2009 Lektor in Teilzeit für die Programmbereiche Literatur sowie Unterhaltung, Humor und Geschenkbuch tätig [mehr…]. Er widerspricht seinen Vorrednern vehement: Gut verkäufliche Bücher und Bestseller hat es bei Eichborn nicht wenige gegeben…

Christian von Zittwitz: Vor ein paar Tagen hat sich mit Vito von Eichborn [mehr…] der Verlagsgründer geäußert, auch der Betriebsratsvorsitzende Claus Mirlach [mehr…] hat seine Sicht dargelegt, wieso hört man so gar nichts vom Programm? Ducken Sie sich weg?

Matthias Bischoff: Keineswegs. Bloß: Es gibt eigentlich die Abteilung Lektorat nicht

Matthias Bischoff

mehr, es gibt auch keinen Cheflektor, diese Funktion, die ich bis dahin innehatte, wurde vom Vorstand im Frühjahr 2008 abgeschafft und durch eine Matrix-Struktur einzelner Programmbereiche ersetzt. War schon die vorherige Lösung mit mir in Frankfurt und Wolfgang Hörner in Berlin nicht optimal, so hat sich durch dieses gleichberechtigte Nebeneinander unterschiedlicher Programmleiter und Lektoren das Auseinanderdriften eher noch verstärkt. Keiner spricht für das Ganze.

Christian von Zittwitz: Immerhin ist ja nun nach manchen Wirren klar, die Lektoren können sich freuen, sie bekommen ein Angebot zum Weiterarbeiten in Berlin.

Matthias Bischoff: Wie könnte sich einer von uns freuen, angesichts dieser Situation? Zumal ja auch noch nicht geklärt ist, ob die wenigen, die nun eine Änderungskündigung erhalten haben, aus ihrer persönlichen und beruflichen Situation heraus, den Schritt vollziehen werden. Und diejenigen, die dann vielleicht in einem halben Jahr in Berlin wohnen oder nach Berlin pendeln, werden nicht vergessen können, wer da alles auf der Strecke blieb…

Christian von Zittwitz: Zumal es nun ausgerechnet auch noch größtenteils diejenigen sind, die für das offenbar ja schlecht verkäufliche Programm der letzten Jahre verantwortlich sind.

Matthias Bischoff: Vermutlich gibt es einige, die so denken, und auch der alte Boss hat ja einmal mehr das Programm schuldig gesprochen. Mir gehen solche monokausalen Welterklärungen mächtig auf den Keks. Wenn eine Mannschaft nicht gewinnt, sind doch nicht immer nur die Stürmer schuld.

Christian von Zittwitz: Also, wenn die Lektoren unschuldig sind, wer war’s dann?

Matthias Bischoff: Stopp – von „unschuldig“ habe ich nichts gesagt, überhaupt sind das ganz falsche Kategorien. Auch und gerade Vito weiß sehr genau, dass ein Verlag wie Eichborn einige angeborene Schwächen hatte, wie zum Beispiel die zu große inhaltliche Spreizung und die immer löchrige Finanzausstattung; zusätzlich sind wir ein weiteres Opfer des Strukturwandels in der Branche. Im Übrigen meine ich mich schwach zu erinnern, dass Vito damals nicht wegen zu hoher Gewinne gegangen ist…

Christian von Zittwitz: Schon gut, Schnee von gestern.

Matthias Bischoff: Genau. Was ich nur sagen will: Die Gründe für das Scheitern eines solchen Unternehmens sind doch vielfältig. Und die Eichborn-Mischung ist besonders fatal. Der als Befreiungsschlag gedachte Börsengang vor elf Jahren hat die ohnehin schwierige Lage kompliziert und das Unternehmen in einen sehr teuren Mahlstrom aktienrechtlicher Konflikte gestürzt. Fürs Kerngeschäft hat er nichts bewirkt – das beim Börsengang eingenommene Kapital war nach zwei Jahren weg, ausgegeben für Neugründungen von Firmen, Internetvisionen und und und. Eigentlich erstaunlich, dass wir danach noch weitere acht Jahre überlebt haben. Und dies übrigens, weil wir in den letzten Jahren auch immer wieder sehr erfolgreich waren, sei es mit den Romanen Sven Regeners oder Frank Goosens, mit dem Humboldt-Projekt oder dem Grimmelshausen. Ich meine sogar, dass uns unsere zahlreichen Erfolge immer wieder darüber hinweggetäuscht haben, dass die Gesamtstruktur nicht trug.

Christian von Zittwitz: Aber was braucht ein Verlag denn vor allem? Doch wohl verkäufliche Bücher?

Matthias Bischoff: Und die hatten wir! Man kommt sich ja blöd vor, die Namen der Autoren dauernd aufzählen zu müssen: Regener, Goosen, Duve, Jürgen Roth, Jürgen von der Lippe, Jan Costin Wagner, Jenny Erpenbeck, Klaus Modick – um wirklich nur ein paar zu nennen. Zu schweigen von den exorbitanten Erfolgen im Hörbuch, die wir übrigens auch unseren Partnern zu verdanken haben. Aber es hat sich etwas entscheidendes geändert: Uns ist es früher, bis in die späten 90er Jahre sehr häufig gelungen, mit Titeln aus der zweiten, dritten Rehe nach vorne zu kommen, immer wieder gab es stille Bestseller auch abseits der einschlägigen Listen, die es auf 10.000, 20.000 Exemplare und mehr schafften – und das zumeist ohne hohe Marketingkosten, ohne hohe Vorschüsse; getrieben eher von einer durchdachten Pressestrategie und pfiffigen, aufgeschlossenen Buchhändlern. Das Programm lebte von der Breite. In den vergangenen Jahren ging das nur noch sehr selten, der Aufwand, Titel über die handvoll Spitzentitel hinaus überhaupt erst im Markt zu platzieren, wurde immer größer, die Abhängigkeit von den wenigen Spitzen, die dann um wortwörtlich jeden Preis durchgesetzt werden mussten wurde uns zum Verhängnis. Wenn die Spitzen nämlich einmal, zweimal nicht funktionieren, verliert der Handel das Vertrauen, und eine Spirale nach unten setzt ein. Dennoch ist es unserem Vertrieb immer wieder gelungen, den Handel von unserem Programm zu begeistern…

Christian von Zittwitz: Das ist ja alles kein Einzelfall…

Matthias Bischoff: Ja eben, es geht uns so wie nahezu allen kleinen und mittleren Häusern in der Branche, alles was etwa Joachim Unseld oder Egon Ammann oder Klaus Schöffling in den letzten Jahren darüber gesagt haben, trifft ja auch auf Eichborn zu – leider aber mit einer vielfachen Umsatzgröße und entsprechend mehr Mitarbeitern. Wenn man sich die vergleichbaren Verlage ansieht, so sehe ich keinen einzigen wirklich unabhängigen oder nicht durch Quersubvention unterstützten Verlag mehr in dieser Größenordnung: Sie sind ganz verschwunden wie Haffmans oder in Konzernen aufgegangen wie KiWi, DVA, Luchterhand und und und. Bei uns kam erschwerend hinzu, dass die anderen Verlage Teile unseres Markenkerns kopiert haben. Ein Titel wie „Mein Chef ist ein Arschloch! Ihrer auch?“ wäre 1990 vielleicht nur bei uns möglich gewesen, heute erscheint derlei bei Konzernverlagen, die ganze aktuelle Taschenbuchbestsellerliste klingt nach Eichborn – aber mit den großen Taschenbuchverlagen können wir was Einkaufs- und Verkaufsbedingungen angeht nicht mithalten.

Christian von Zittwitz: Weshalb haben Sie dann nicht auf den Wandel reagiert?

Matthias Bischoff: Hier kommt nun wieder die blöde AG-Struktur ins Spiel. Nach der Jahrtausendwende gab es durchaus Überlegungen, den Verlag, der damals noch mehrheitlich Herrn Kierzeks Fuldaer Verlagsanstalt und der Achterbahn AG gehörte, an einen Konzern zu verkaufen. Das wollten die Mehrheitsgesellschafter damals aber nicht. Später dann, als die insolvente FVA mitsamt den Eichborn-Aktien von Herrn Fresenius gekauft worden war und die Anteile der insolventen Achterbahn AG beim Konkursverwalter lagen, wurde ein Verkauf zu einem geradezu kafkaesk anmutenden Problem. Ich hatte ja als Mitglied des Aufsichtsrats das zweifelhafte Vergnügen, den Kampf zwischen Fresenius und Kierzek aus der ersten Reihe zu erleben – Gott, was da für Geld-, Kraft,- Zeitressourcen verpulvert wurden!

Christian von Zittwitz: Das klingt so, als wäre der Verlag damals rettbar gewesen.

Matthias Bischoff: Naja, geblutet hätten wir immer, und ob bei all den Überlegungen der Standort Frankfurt erhalten geblieben wäre, bleibt ewig ungeklärt. Aber dies scheint mir sicher: 2002 wären wir aufrecht an Krücken in eine Fusion gegangen, 2007 im Rollstuhl, nun wird der Verlag auf einer Bahre nach Berlin getragen. Wie es so schön heisst: Wer zu spät kommt…

Christian von Zittwitz: Der Verlag ist also tot?

Matthias Bischoff: Für die Kollegen, die nun nicht mehr dabei sein werden, ist das ganz gewiss so. Und bei einem Haus, in dem so viele Anteil hatten an der Produktion, wo von so vielen Seiten gute –zugegeben, manchmal auch nicht so zielführende- Ideen eingespeist worden, wo eben nicht ein Lektorat und ein Dienstleistungsanhängsel die Bücher gemacht haben, da ist es für die Programmer schlichtweg unmöglich zu sagen: „Wo wir sind, ist Eichborn.“ Und das gilt für alle jene, die in den letzten zehn, fünfzehn Jahren das Programm bestimmt haben. Natürlich haben wir alle Fehler gemacht, und ich war, als vor drei Jahren der neue Vorstand Gallenkamp kam, sehr bereit, ergebnisoffen alles zu analysieren und aus den Fehlern zu lernen. Gelernt habe ich allerdings vor allem, dass diese Bereitschaft, Fehler anzuerkennen, nicht honoriert wird, ja dass sogar der Eindruck von Prinzipienlosigkeit und mangelnder Standfestigkeit erweckt wird. Siehe hierzu wiederum Vitos Statement. Deshalb sage ich jetzt mal: Alle in diesem Team haben in den vergangenen fünfzehn, zwanzig Jahren einen erheblichen Anteil daran gehabt, dass es den Verlag überhaupt noch gibt. Natürlich verwandelt der eine sieben von zehn Torschüssen und der andere fünf, aber die Lektoren des Eichborn Verlags haben bei aller Traurigkeit keinen Grund, in Sack und Asche zu gehen –

Christian von Zittwitz: Nun ist’s aber gut.

Matthias Bischoff: Auch das musste mal gesagt werden.

Christian von Zittwitz: Zurück zur Frage: Tot oder lebendig?

Matthias Bischoff: Jetzt sage ich mal was ganz Sensationelles: Das wird die Zukunft weisen. Es wird darauf ankommen, einen Teil des Spirits zu retten, zunächst mal unabhängig davon, wie viele von uns Ur-Eichbörnern mitkommen. Aber neben einer soliden Finanzausstatttung ist vor allem ein gutes Händchen bei der Personalauswahl gefragt. Am wichtigsten scheint mir, eine Persönlichkeit zu finden, die das kann, was Hörner und ich in der damaligen Situation nicht schafften, vielleicht nicht wollten, gewiss aber auch nicht durften: Wirklich den ganzen Verlag zu repräsentieren, den Laden innen zusammenzuhalten, Impulse geben, motivieren, sich um die Strukturen kümmern, den Lektoren den Rücken freihalten und stärken. Und ganz nebenbei Autoren und Bücher finden. Und wenn es den Aufbau-Leuten und Herrn Koch ernst ist, dann könnte ja vielleicht am Ende doch noch meine kleine Hoffnung sich erfüllen, dass Eichborn das gelingt, was KiWi unterm Holtzbrinckdach geschafft hat: wahrnehmbares eigenständiges Profil in einem wirtschaftlichen starken Verbund. Dann würde die Fliege wieder brummen, sonst klebt sie halt tot an einer Berliner Windschutzscheibe.

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