Das Sonntagsgespräch Cora Stephan in ihrem Merkel-Buch: Time to say goodbye?

Dr. Cora Stephan
(C) Rudolf Westenberger

„Angie – ain’t it time to said goodbye“ sangen einst die Rolling Stones. Cora Stephan hat diese Liedzeile als Motto ihres neuen Buches Angela Merkel. Ein Irrtum gewählt, das am Donnerstag bei Knaus erschienen ist.

Seither steigt das Buch von Cora Stephan, die unter dem Pseudonym Anne Chaplet auch als Kiminalautorin Bestseller veröffentlicht, beharrlich an die Spitze der Amazon-Verkaufsranglisten. Hat Stephan mit ihrem Buch die „Befindlichkeit“ vieler getroffen?

Bei Amazon Platz 30, bei Politik Platz 4, direkt hinter Sarrazin, wenn ich es richtig sehe – das ist doch ein schöner Einstiegsplatz für Ihr erst vor drei Tagen erschienenes Buch Angela Merkel. Ein Irrtum. Für Sie das große Abrechnungsbuch mit der Kanzlerin?

Cora Stephan: Ein großes Buch ist es gewiss nicht, eher ein schmales Bändchen, leicht zu lesen. Es bleibt ja nicht viel abzurechnen, wenn nichts geschieht. Die alte Beamtenregel gilt auch für die Kanzlerin: Wer nichts tut, macht auch nichts falsch.
Ich persönlich glaube allerdings, Deutschland hat besseres verdient als diese Kanzlerin und diese Regierung.

Immerhin schreiben Sie ihr Sachen ins Stammbuch wie: ihr Regierungsstil hätte Erich Honecker gefallen.

Cora Stephan: Wer das, was sich herausmendelt, wenn man solange abwartet, bis nichts mehr entschieden werden kann, „alternativlos“ nennt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er den Status quo zum Naturgesetz erklärt. Anders gesagt: Der Sozialismus behauptete ebenfalls, naturnotwendig und also „alternativlos“ zu sein. Da weht ein Rüchlein DDR durchs Bundeskanzleramt.

Wäre es bei dieser Bilanz der Kanzlerin und ihrer Regierung nicht ein Ausweis von Redlichkeit, sofort zurückzutreten?

Cora Stephan: Rücktritt aus Redlichkeit? Eine schöne Idee. Sie meinen: Angela Merkel sollte zugeben, dass „alternativlos“ eigentlich heißt, dass die mächtigste Frau der Welt im Grunde nichts zu sagen hat?

Aber: Wer könnte es denn besser? Oder wenigstens weniger schlimm?

Cora Stephan: Ach, Angela Merkel ist doch nicht schlimm. Sie erledigt die Dinge eben auf ihre Art – durch Nichtbefassen.
Aber im Ernst: ich habe in ihr eine historische Chance gesehen – und das war sie sicher auch, für einen kurzen Moment. Die Chance lag in ihrer Fremdheit. Sie war nicht mit unserem System aufgewachsen, war nicht gefangen in einem Geflecht von Loyalitäten, war ohne Stallgeruch und damit vergleichsweise unabhängig. Ein Maverick, wie ihre großartige Biografin Evelyn Roll das nennt, jemand, der nicht das Brandzeichen seines Stalls trug. Dass sie daraus letztlich nichts machte, enttäuscht mich. Und sollte es so sein, dass man aus einer solchen vergleichsweise unabhängigen Position auch gar nichts machen kann, wäre ich tieftraurig.

Der ehrliche kleine Steuerbürger – analysieren Sie – ist es, der als permanenter Geber immer draufzahlt: bei der Steuer-, Renten- und Gesundheitspolitik. Dafür wird er von den Volksvertretern, die ER gewählt hat, damit seine Interessen vertreten werden, auch noch beschimpft und verhöhnt. Aber was tut man dagegen? Aufstände wie in Kairo?

Cora Stephan: Ich glaube, die ehrliche kleine Steuerzahlerin tut etwas. Sie geht gar nicht erst wählen. Es gibt längst Parallelgesellschaften jenseits vom Kiez: die produktive, kreative, selbstbewusste, weltgewandte Mittelschicht organisiert sich ihr Leben an Staat und Regierung vorbei, denen trauen sie nichts zu.
All jene, die sich redlich durchschlagen und ihren Job tun, ärgern sich darüber, ständig moralisch gegängelt und zur Kasse gebeten zu werden und sagen mittlerweile wie einst die frauenbewegten Frauen: „Wir kommen hier wieder mal nicht vor!“ Wenn man sich unsere Debatten anschaut, stimmt das auch. Wer sich über ausufernde Sozialbürokratie und ständig steigende Abgaben beschwert, gilt als mitleidloser Egoist voll sozialer Kälte. Das lassen sich auch die Deutschen, die ihren Sozialstaat lieben, auf die Dauer nicht gefallen.

Sie haben Angela Merkel gewählt, weil Sie ihr nach all diesen Schröders und Fischers einen Wandel zutrauten, und sind nun enttäuscht, daß Frau Merkel sich von Angie zur Tina (There Is No Alternative) gewandelt hat. Haben Sie 2005 einem Politprofi wirklich geglaubt, er resp. sie verfolge die Interessen des Landes und der Bevölkerung und nicht nur seine resp. ihre eigenen?

Cora Stephan: Ja, klingt verdammt naiv, oder?
Nein – so gläubig war ich gar nicht. Ich habe eine Chance gesehen. Und es ist ja nicht so, dass sich nicht auch Politiker im Klaren wären, was dieses Land braucht: Steuer-, Renten-, Sozialstaatsreform und Selbstrespekt. Und weniger Wahlgeschenke. Und weniger Wahlkampf.
Und wie zynisch muss man sein, wenn man vorauseilend davon ausgeht, dass Politiker grundsätzlich nicht beim Wort zu nehmen wären? Dann hätten wir längst schon, wie Peter Sloterdijk vermutet, die Postdemokratie mit Brot und Spielen.

Sie bescheinigen Angela Merkel, daß es ihr endgültig gelungen ist, den Unterschied zwischen CDU und SPD unerheblich werden zu lassen. Das ist wohl wahr. Aber wo sehen Sie eine Alternative? In der FDP mit ihrem etwas merkwürdigem Personal, in den Grünen, die immer alles können, solange sie in der Opposition sind, in der Linken, die selbst in der Opposition nicht immer so recht weiß, was sie will?

Cora Stephan: Ertappt. Ich sehe keine Alternative. Angela Merkel – alternativlos.
Deshalb werde ich, wenn ich mich nicht gleich der größten Wählergruppe, den Nichtwählern anschließe, zur Wahl gehen und „ungültig“ wählen. Als kleines, mickriges Zeichen meines Protests.

Brillant ist Ihre Analyse, wie Merkel & Co. durch Nichtstun plus Lobbyarbeit das Land ruinieren und so tun, als sei das, was sich historisch ereignet, eine Gesetzmäßigkeit, an der nichts zu ändern ist. Da sind wir in der Tat nicht weit von der wissenschaftlichen Weltanschauung des Marxismus-Leninismus, der den Sieg der Arbeiterklasse als gesetzmäßig nicht vermeidbar darstellte, aber doch glatt runter in die Hose ging. Was aber wäre wirklich zu tun, damit Deutschland, bildlich gesprochen, endlich den Arsch hochkriegt?

Cora Stephan: Das Mehrheitswahlrecht einführen. Den Föderalismus eindämmen, insofern er den Wahlkampf zum Dauerzustand macht. Endlich Paul Kirchhofs gerechte Steuerreform umsetzen. Ein selbstbewußtes Deutschland sein und sich nicht mehr erpressen lassen.
Während ich das schreibe, komme ich mir glatt als Utopistin vor…

„Muß ich auf Ihren Staatsstreich warten? Oder geht’s auch ohne?“ – fragen Sie fast am Schluß des Buches Frau Merkel. Glauben Sie, daß mit Angie-Tina überhaupt noch etwas geht?

Cora Stephan: Nein.

Sehr scharf rechnen Sie auch mit Rot/Grün unter Schröder ab. Bleibt nur die Frage: Rot/Grün, Rot/Schwarz, jetzt Schwarz/Gelb – da sind nicht mehr so viele Farbkombinationen, die man ausprobieren könnte, um dann nach der Wahl festzustellen: Es bleibt im wesentlichen alles gleich…

Cora Stephan: Ja.

Was sagen Sie zur gegenwärtigen Plagiatsdebatte um den Verteidigungsminister?

Cora Stephan: Leider nährt das den Verdacht, dass unsere Politiker überwiegend Zivilversager sind. Eine Dissertation ist bekanntlich eine gute Übung: man sollte dabei eigenständig denken, neue Ideen entwickeln, diszipliniert arbeiten, bei der Sache bleiben. Abschreiben ist dumm.
Ein paar wichtige Kulturtechniken lernt man übrigens auch, wenn man Kriminalromane schreibt. Nicht, dass ich das empfehlen würde: es gibt viel zu viele schlechte unter den vorzüglichen.
Im Ernst: Ich wäre dafür, Diäten und Apanagen drastisch zu erhöhen, damit wir ein breiteres Spektrum politischer Akteure gewinnen.

Werden Sie Frau Merkel ein Exemplar Ihres Buches schicken lassen? Oder gehen Sie davon aus, dass sie – wie im Falle Sarrazin – auch ohne eigene Lektüre in der Lage ist, Endgültiges darüber zu verlautbaren?

Cora Stephan: Ich habe das Buch nicht für Angela Merkel geschrieben, sondern für die vielen, die unendlich frustriert sind von ihrer Regierungsweise. Für all die, die auch keine Lust mehr auf Wahlen haben, bei denen sie nicht die Wahl haben.
Aber das Kanzleramt hat bereits ein Exemplar angefordert und mein Verleger Wolfgang Ferchl hat sich nicht nehmen lassen, eines zu schicken.
Ich nehme an, sie lässt lesen. Was schade ist: denn meine liebevollen Reminiszenzen an Angie, bevor sie Tina wurde, müssten sie eigentlich zu Tränen rühren.
Am besten wäre aber wahrscheinlich, sie würde aufhören, den Kulturwart zu spielen. Bücher müssen nicht hilfreich sein oder der Kanzlerin gefallen. Das war einmal und kommt hoffentlich nie wieder.

Die Fragen stellte Ulrich Faure.

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