Über die neuen Fußgängerzonen des Internets: AWS beendet Jahrestagung

Die Tagung hätte eine für den gesamten Buchhandel sein können. Denn sie ließ deutlich werden: Social Media und Web 2.0 stellt nicht nur den Fachbuchhandel vor neue Herausforderungen

Auditorium: Knapp 140 Teilnehmer waren gekommen

und bietet neue Chancen. Obwohl immerhin die wissenschaftlichen Sortimenter so eben erste Geschäftsmodelle für den Handel mit digitaler Information entwickelt haben, überholt das Internet den Buchhandel bereits auf neue Weise.

„Online denken – lokal handeln. Kunden zeitgemäß binden“, lautete der Titel der Jahrestagung des Arbeitskreises wissenschaftlicher Sortiments- und Fachbuchhandlungen (AWS), die gestern in Friedrichroda bei Eisenach zu Ende gegangen ist. Web 2.0 als Welle, die man über sich hinwegschwappen könnte? Es herrschte Einigkeit, dass das Social Web nicht mehr wegzudenken ist. Das sehen wohl auch viele Sortimenter und Verlage so, denn mit knapp 140 Teilnehmern war die Jahrestagung wieder bestbesucht. Dabei ging es um die Nutzung des Internets auf unterschiedlichen Ebenen: Für die Förderung des stationären Verkaufs in der eigenen Buchhandlung, um die Frage wie sich Menschen in Zukunft mit (Fach-)Informationen versorgen und wie sich mit E-Books handeln lässt.

Martin Fröhlich: „In den Nutzer
reinhören“

„In den Nutzer reinhören“, war ein häufig wiederholtes Credo, nicht nur von Martin Fröhlich, der als Mitgründer das Geschäftsmodell seines Unternehmens PaperC vorstellte. PaperC lässt kostenlos in Büchern lesen und wer sich einen Text herunterladen will, zahlt 10 Cent pro Seite. Darauf dass inzwischen 3,1 Prozent der Nutzer vom Download Gebrauch machen, ist Fröhlich stolz. Dass dabei der Buchhandel außen vor bleibt, wurde schnell klar, aber auch, dass der Handel eigene Modelle dagegen setzen bzw. man sich über Kooperationsmodelle Gedanken machen kann.

Jan Manz: „Die Information kommt
zum User“

Was herauskommt, wenn man „beim Nutzer reinhört“, stellte Jan Manz von der Agentur wbpr Public Relations vor. „Twitter, Facebook und Co sind die neuen Fußgängerzonen des Internets“, sagte er und beschrieb damit wie sich das Internet verändert. „Der User geht nicht mehr auf Informationssuche. Die Information kommt zum User.“, sagte er und forderte damit indirekt den Buchhandel auf, dort präsent zu sein.

Rainer Rossipaul: Das Internet
wechselt vom Information-Age
zum Recommendation-Age

User vertrauten beim Einkauf mehr auf Empfehlungen als auf Medienberichte, so Manz. Eine Meinung, die später auch Rainer Rossipaul, Eigentümer der Agentur seines Namens noch einmal unterstrich: „Das Internet bedeutet ein Wechsel vom Information-Age zum Recommendation-Age.“ Wer empfohlen wird, macht das Geschäft. Er stellte sein neues Tool book2look vor und wies darauf hin, dass Erwachsene heute zwei und Jugendliche drei Stunden im Internet sind, länger als vor dem Fernseher.

Was eine Buchhandlung konkret tun kann, zeigte Buchhändlerin Susanne Martin,

Susanne Martin: „In Xing-Gruppen
habe ich viel gelernt“

Miteigentümerin der 115 Quadratmeter großen Schiller Buchhandlung in Stuttgart-Vaihingen auf beeindruckend unprätentiöse Art und Weise. Als Sortimenterin in einer Lage mit ausschließlich Zielkundschaft habe sie vor einiger Zeit begonnen, die Internetplattformen des Web 2.0 zu nutzen. Begonnen auf Xing („In den Xing-Grupen habe ich viel gelernt“) kam sie zu Facebook und Tiwtter. Eine halbe Stunde Aufwand pro Tag koste sie das inzwischen nur noch. Zusätzlich produziere sie aber eigene Podcasts mit Autoren ihrer Lesungen oder zu Themen, die sie interessieren. Die stelle sie nicht nur ins Internet, sondern brenne sie auch auf CD und verschenke sie an Kunden. Ob ihr das etwas bringe, ließe sich nicht in Zahlen ausdrücken (ihr Internetverkauf liegt bei 5 Prozent Umsatzanteil.), aber es sei ein Marketing, für das sie nur einen geringen finanziellen Aufwand benötige.

Nathalie Pelz: „Wir kommunizieren:
Wir sind wie ihr“

Aus Verlagssicht beschrieb dann Nathalie Pelz von O’Reilly die Aktivitäten im Web 2.0. Da Verlage traditionell nur wenig Leserkontakt haben, helfe das Social Web, mehr über Kunden und Leser zu erfahren. „Wir wollen unser Firmenprofil verstärken und kommunizieren: Und das lautet wir sind wie Ihr“, sagte sie und gab einige Tipps mit, wie man sich im Web 2.0 verhält.

Richard Knight: Mit genauer Auswertung
von Verkaufsdaten können Seller
schneller erkannt werden

Mit Richard Knight vom Markt-Forschungs-Unternehmen Nielsen wurde der Blick in die englischsprachige Welt gelenkt. Er machte deutlich wie genau sich Verkäufe via Internet auswerten lassen und wie genau sich durch eine differenzierte Aufbereitung von Verkaufsdaten bei Nielsen Marketingaktionen steuern lassen. Buchhandlungen und Verlage könnten bereits früh erkennen, welche Titel sich zu Seller und welche Titelgruppen sich zu Trends entwickeln oder welche Warengruppen an Umsatzanteilen verlieren.

Prof. Dr. Frank Linde von der Fakultät für Informations- und Kommunikationswissenschaft an der FH Köln hob das Thema entsprechend seiner Profession auf eine abstrakte Ebene, was aber seinen Reiz hatte. Er verdeutlichte, wie ein großes Netzwerk den Wert eines Produktes steigern kann. Dabei stelle sich die Frage, wie viel Inhalt man aus der Hand gebe, um diesen Effekt zu erreichen und welche Preise Nutzer dann bereit seien zu zahlen.

Hans Huck: KNV als digitaler Rund-um-
Dienstleister

Am dritten Tag ging es um den Verkauf von E-Books. Hans Huck von KNV gab zunächst einige Einblicke in die erst einen Tag zuvor angekündigte Offensive KNDigital [mehr…] und stellte weitreichende Pläne vor, wie die Stuttgarter zum digitalen Rundum-Dienstleister werden wollen. Dafür war auch übrigens eigens Chef Frank Thurmann wieder einmal zur AWS angereist.

Tobias Schmid: E-Books können zum
geliebten Kind des Buchhandels
werden

Welche liebenswerten Seite das vom Sortiment sonst eher „ungeliebte Kind“ E-Book hat, stellte Tobias Schmid, IT-Beauftragter der Buchhandlung Osiasnder vor. Die Erfahrungen seines Hauses zeigen: „Der Markt wird wachsen. Wie stark weiß keiner, aber es wird mehr sein als wir bereit sind, unseren Mitbewerbern zu überlassen“, sagte er und berichtete über die neue Osiander-Strategie beim E-Book-Verkauf. Dabei bemängelte er allerdings undurchdachte Details wie die Vergabe von einer ISBN an unterschiedliche E-Book-Formate oder dass es keine einheitlichen Katalogdaten für E-Books gibt. Um mit Waren und Datenmengen effektiv zurecht zu kommen, habe Osiander einen einheitlichen Kodex für Lieferanten einführen müssen, der auch so manche ausschließe. So sei auf Grund des

Dagmar Laging: 2009 erstmals weltweit
mehr E-Books als Print-Bücher
verkauft

Rechtemanagement der stationäre Verkauf von E-Books zu kompliziert und werde auch nicht mehr angeboten.

Verkaufsleiterin Dagmar Laging bei Springer gab einen tiefen Einblick in die E-Book-Verkaufszahlen. Demnach haben sich die Verhältnisse bereits umgedreht: Wurden 2008 weltweit noch 56 Prozent der Titel auf Papier und 44 Prozent in elektronischer Form verkauft, gingen 2009 bereits 51 Prozent der Springer-Bücher in elektronischer und 49 Prozent in gedruckter Form an den Kunden. Und das Sortiment liegt gut im Rennen: 56 % der Springer-Pakete wird über den Buchhandlungen verkauft. Noch in diesem Jahr soll für die englischsprachigen Titel „MyCopy“ in Deutschland eingeführt werden. Damit können sich Nutzer von Bibliotheken, die Springer-Paktete gekauft haben, E-Books als Print on Demand ausdrucken. Dafür nannte Laging erstmals den Einheitspreis von 26,70 Euro.

Viel Frust erntete Annabella Weisl von Google, die das gerade bekannt gewordene

Annabella Weisl: Musste Vorwürfe
hinnehmen

Programm Google Edition vorstellte. Demnach steigt Google in den Verkauf von E-Books ein [mehr…], wobei neben dem Buch als Verkäufer ganz oben Google, dann Amazon und andere Internetgroßhändler stehen und dann erst der Link zur Suche nach lokalen Buchhändlern folge. Detlef Bütner, Geschäftsführer bei Lehmanns hielt Google einen Strategiewechsel vor, der weitreichende Auswirkungen auf die Branche haben werde. Zwischen „Baum und Borke“ fühle sich auch de Gruyter-Chef Sven Fund, der bemängelte: „Google muss einmal eine klare Aussage machen und sich auch daran halten. Ein Partner muss berechenbar sein, und das sind Sie nicht.“

Bereits am Ende des ersten Tages spendete Literaturkritiker Denis Scheck in einer Betrachtung des Marktes Trost. Bereits E.T.A. Hoffmann habe von Büchern mit weißen

Denis Scheck: Fast könnte man
vom Gleichgewicht der Zunahme des
Blödsinns und der Zahl der Bücher
ausgehen

Blättern geträumt, auf denen genau das Buch erscheint, das man sich gerade wünscht. Wenn er sich aber ansehe, was so produziert würde, könne er sich nicht festlegen, ob er sich wirklich wünsche, dass mehr gelesen wird. „Fast könnte man vom Gleichgewicht der Zunahme des Blödsinns und der Zahl der Bücher ausgehen“, sagte er. Und wies schließlich auf astronomische Berechnungen, wonach in sieben Milliarden Jahren die Sonne so groß geworden sein wird, dass dann auch so mancher Blödsinn auf dieser Erde weggeschmolzen sein wird.

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