Das Sonntagsgespräch Dr. Ludger Claßen und Dr. Rainer Nitsche zu der Idee, die Landesverbände mit dem Gesamt-Börsenverein zu verschmelzen

Das war die politische Branchennachricht der Woche: Der LV NRW wird seinen Mitgliedern auf der Mitgliederversammlung am 5. Mai eine sukzessive Verschmelzung mit dem Bundesverband vorschlagen. Anlass für Fragen an Klartext-Verleger Dr. Ludger Claßen (Foto l.) in Essen und Transit-Verleger Dr. Rainer Nitsche (Foto r.) in Berlin.

Dr. Ludger Claßen, fast 20 Jahre selbst Mitglied im Vorstand des Landesverbandes NRW, zeigt sich überrascht von der Initiative des derzeitigen Vorstandes, den Landesverband mit dem Bundesverband zu verschmelzen [mehr…]. Er möchte an der föderalen Struktur unserer Branchenvertretung festhalten:

Dr. Ludger Claßen:
„Es gibt gute Gründe,
an der föderalen Struktur
unserer Branche festzuhalten“

Christian von Zittwitz: Herr Dr. Claßen, das wird sicher eine spannenden Jahreshauptversammlung im Mai 2010 in Bonn, wenn die Intitiative des derzeitigen Vorstandes, den Landesverband mit dem Bundesverband zu verschmelzen, diskutiert wird.

Dr. Ludger Claßen: Ja, auch ich bin sehr überrascht vom Vorstoß unseres Vorstandes vom Landesverband NRW, eine Verschmelzung mit dem Bundesverband einzuleiten.

Christian von Zittwitz: Sie haben dem Vorstand selbst fast 20 Jahre angehört, aber Sie teilen diese Richtung nicht?

Dr. Ludger Claßen: Es gibt wohl in NRW viel Zustimmung unter den Mitgliedern, aber erhebliche Vorbehalte aus anderen Landesverbänden – zu recht, wie ich finde.

Christian von Zittwitz: Warum?

Dr. Ludger Claßen: Wenn NRW als größter Landesverband den Vorreiter macht, wird eine Entwicklung eingeleitet, die ich bedenklich finde. Es gibt gute Gründe, an der föderalen Struktur unserer Branche festzuhalten.

Christian von Zittwitz: Welche sind das im Besonderen?

Dr. Ludger Claßen: Die aufgezeigte Strategie in der vom Börsenverein und dem Landesverband formulierten Absichtspapier, bestimmte Funktionen auf den Börsenverein zu übertragen und in NRW ein Büro für die mitgliedernahen Funktionen zu betreiben, lässt sich auch mit einem eigenen Landesband als Verein realisieren. Viele dieser Rationalisierungen wie eine zentrale Mitgliederverwaltung sind bereits eingeleitet, funktionieren aber nicht. Zunächst sollten alle entsprechenden Einsparungen realisiert werden, bevor wir über die Auflösung des Landesverbandes nachdenken. Andere Punkte wie Rechtsberatung, die das Absichtspapier nennt, wird sowieso seit vielen Jahren eher in Frankfurt geleistet.

Christian von Zittwitz: Noch nicht funktionierende Abläufe können aber nicht der Grund sein, nicht weiter in die Zukunft zu denken, wenn Aufgaben nicht mehr bezahlbar werden.

Dr. Ludger Claßen: Wenn angestrebte Rationalisierungen jetzt nicht funktionieren, warum soll es dann in Zukunft mit einer Außenstelle des Börsenvereins besser werden? Eine Auflösung des Landesverbandes löst nicht das Problem, Abläufe und Strukturen zu verbessern. Da könnte man auch mit einem eigenständigen Landesverband in Zukunft viel effektiver werden. Hinzu kommt, dass manche Aufgaben zwingend vor Ort erfüllt werden müssen. Die Kulturpolitik etwa ist Ländersache. In Sachen Schulbuch, Bildungspolitik, usw. brauchen wir eine wirksame Vertretung im Land.

Christian von Zittwitz: Sie haben aber noch weitere Einwände?

Dr. Ludger Claßen: Ja, es gab und gibt viele Projekte, für die wir Landesförderung erhalten (haben). Solche Zuwendungen können vom Land nur für Landeseinrichtungen gewährt werden. Aber es gibt für mich auch einen emotionalen Grund, der mir noch wichtiger ist: Unsere Branche ist zahlenmäßig durch mittelständische Betriebe geprägt. Das Engagement und die Kooperation dieser Mitglieder lässt sich nur auf Landesebene gewährleisten, weil uns schlicht die Zeit fehlt, unsere Interessen im fernen Frankfurt zu artikulieren. In NRW können wir uns wirksam einbringen und im Rahmen einer Willensbildung im Land auf die Belange des Börsenvereins Einfluss nehmen. Gerade die erfolgreiche Arbeit der letzten Jahre in NRW mit vielen Impulsen für die Branche beweist dies. Für die Mitgliedsunternehmen bedeutete eine Auflösung des Landesverbandes eine geringere Mitwirkungs- und Einflussmöglichkeit.

Christian von Zittwitz: Das gilt auch für die Wirtschaftsbetriebe des Börsenverein?

Dr. Ludger Claßen: Ja, die Landesverbände sind dort Gesellschafter. Nur so ist eine wirksame Kontrolle möglich, um leistungsfähige Dienstleistungsbetriebe der Branche zu gewährleisten. Wir haben in Deutschland gute Erfahrungen mit einer föderalen Struktur gemacht. Auch das Wechselspiel von ehrenamtlichem Engagement im Vorstand mit den hauptamtlichen Mitarbeitern der Geschäftsstelle des Landesverbandes ist erfolgreich. Eine bloße Außenstelle des Börsenvereins in NRW würde die Tendenzen zur Verselbständigung hauptamtlicher Arbeit fördern.

Christian von Zittwitz: Ihr Credo also?

Dr. Ludger Claßen: Das Strategiepapier winkt mit der Aussicht auf geringere Beiträge. Das ist verlockend. Aber wenn ich mit 20% weniger Beitrag 30% weniger Einflussmöglichkeit erreiche, zahle ich doch lieber weiter den gleichen Beitrag.

Dr. Rainer Nitsche:
„Es grenzt für meinen
Geschmack schon an
Bauernfängerei, wenn da
geworben wird: Wenn
Ihr für die Auflösung stimmt,
bekommt Ihr in NRW
viel mehr Leistungen
für viel weniger Geld.“

Wenig (oder eher gar nicht) überzeugt vom Sinn der Verschmelzung LV und Bundesverband ist auch Dr. Rainer Nitsche. Er ist Verleger des [Transit Buchverlags und war bis 2009 für zwei Amtsperioden Erster Vorsitzender des Börsenvereins, Landesverband Berlin-Brandenburg. ]

Margit Lesemann: Herr Nitsche, der Landesverband NRW denkt wie angekündigt über eine Verschmelzung von Landesverband und Bundesverband nach. Damit sollen die Weichen für eine Modernisierung des Landesverbands gestellt werden. Eine gute Idee?

Dr. Rainer Nitsche: Die Idee selbst ist jedenfalls nicht modern. Die gibt es schon seit vielen Jahren. Kleinere Landesverbände wie Hamburg haben solche Überlegungen schon konkret durchgerechnet – und sie haben festgestellt: Die Kosten werden in etwa die gleichen bleiben. Das hat ja auch eine gewisse Logik. Wenn man beispielsweise einen Existenzgründer berät, wird das ja nicht dadurch billiger, dass jemand aus Frankfurt anreist. Im Gegenteil, es wird eher teurer und weniger intensiv. Darin sehe ich keine Modernisierung.

Margit Lesemann: Zur Beratung muss ja auch niemand aus Frankfurt anreisen. Laut der Absichtserklärung aus NRW soll die Geschäftsstelle bei einer Fusion erhalten bleiben.

Dr. Rainer Nitsche: Dann wird es ja noch komischer. Die Personalkosten machen doch einen erheblichen Teil der Kosten für einen Landesverband aus. Wenn die Geschäftsstellen in ihrer jetzigen Form erhalten bleiben, weiß ich nicht, wo der Einsparungseffekt entstehen soll. Aber das ist mir bei diesem Vorschlag sowieso ein Rätsel. Man löst den Verband auf, die Geschäftsstellen bleiben und werden von Frankfurt aus gesteuert? Das ist doch eher ein Signal in eine ganz andere Richtung: Man will offenbar die Aktivität von Mitgliedern in der Region einfach nicht mehr haben. Das Potenzial an Ideen und Aktivitäten im Ehrenamt, die den Etat des Landesverbandes ja gar nicht belasten, dessen Arbeit aber nicht nur bereichern, sondern eigentlich ausmachen, das wird durch einen solches Beschluss stark beschnitten.

Margit Lesemann: Die Landesverbände leiden unter sinkenden Mitgliederzahlen. Ist es da nicht richtig umzudenken – so wie NRW es nun versucht?

Dr. Rainer Nitsche: Die Mitgliederzahlen gehen seit längerem, vor allem durch den Konzentrationsprozess im Buchhandel, zurück. Es gibt inzwischen einfach weniger Firmen in dieser Branche. Es kommt darauf an, Neugründer oder Nicht-Mitglieder zu werben, und dazu muss man heute mehr Überzeugungsarbeit leisten als früher. Der Landesverband Berlin-Brandenburg hat übrigens jetzt gerade eine Kampagne gestartet, um neue Mitglieder zu werben.

Außerdem muss man sich überlegen, wie man mit dem geringer werdenden Etat in den Landesverbänden umgeht. Aber das ist eine Diskussion unter den Mitgliedern des Landesverbands. Die müssen sich fragen, wo man noch einsparen, wie man zusätzliche Mittel einwerben und wo man beispielsweise mit anderen Ländern kooperieren kann. Berlin/Brandenburg arbeitet beispielsweise in der Fortbildung mit Bayern zusammen. Dieses Ausbalancieren geschieht überall und war bisher auch in NRW möglich. Ich begreife nicht, warum das jetzt nicht mehr gehen soll.

Margit Lesemann: NRW begründet das beispielsweise mit Einsparungen bei der Beitragszahlung.

Dr. Rainer Nitsche: Dass man Beiträge für den Landesverband zahlt, stellen die meisten Mitglieder nicht in Frage. Dessen Aktivitäten können sie mitgestalten und beobachten. Fallen die Landesverbände weg, kann man umgekehrt fragen: Welchen Grund haben kleine oder mittlere Unternehmen, überhaupt im Börsenverein zu sein? Gerade die Kleinen sind heute gezwungen, aktiver zu sein, und Landesverbände bieten doch ganz bewusst Podien für solche Aktivitäten und Kontakte. Und im Falle einer Auflösung hätten die Mitglieder keine Chance mehr, selber zu entscheiden, was mit ihren Beiträgen auf ihrer Landesebene passiert. Das entscheidet dann der Bundesverband.

Margit Lesemann: Zeichnen Sie die Fusion nicht zu schwarz? Verbandsaufgaben wie Buchhaltung, Controlling und die Pflege der Internetseite sollen nach Frankfurt verlagert werden.

Dr. Rainer Nitsche: Die Pflege der Internetseite abzugeben, ist doch noch keine Modernisierung, das ist eine ganz pragmatische Frage. Dazu muss man auch nicht einen großen Landesverband auflösen. Ein „Modernisierungs- oder Verschlankungseffekt“ würde darin bestehen, dass man sagt, die traditionelle Arbeit in den Landesverbänden wird nicht mehr weiterbetrieben. Stattdessen soll es einen Verein geben, der die jeweiligen Brancheninteressen auf der zentralen politischen und juristischen Ebene effektiv vertritt, der die Mitglieder bei Bedarf auch berät, der aber das, was den Börsenverein im Gegensatz zu anderen Vereinen wie den ADAC auszeichnet – nämlich die kultur- und branchenpolitischen Aktivitäten auf vielen unterschiedlichen Ebenen – durch eine Zentralisierung zumindest reduziert. Da kann man vielleicht sogar mit einem niedrigeren Beitrag auskommen, aber dadurch verliert man all das, was das Besondere unserer Branche, auch in der Außenwirkung, ausmacht.

Margit Lesemann: Sehen Sie darin eine Schwächung der Position des Börsenvereins?

Dr. Rainer Nitsche: Ja, hauptsächlich eine Schwächung von innen, die aber dann auch eine Außenwirkung haben kann. Die meisten Mitglieder nehmen den Börsenverein vor allem in Aktivitäten der Landesverbände wahr. Sie kennen ihre gewählten Vertreter persönlich, sind umgekehrt auch persönlich für eine Mitarbeit zu motivieren. Der Börsenverein ist sehr stark von ehrenamtlicher Arbeit abhängig, von der Intelligenz, der Phantasie und der Sachkenntnis aus den verschiedenen Regionen und Sparten. Auch dieses Potenzial, von dem ja nicht nur der Verband, sondern die Branche insgesamt profitiert, wäre durch eine Auflösung der Landesverbände wesentlich schwerer zu mobilisieren.

Margit Lesemann: In Zeiten des Umbruchs ist es wichtig über den Tellerrand der eigenen Region zu schauen und in Berlin und Brüssel aktiv zu sein.

Dr. Rainer Nitsche: Es ist doch völlig unbestritten, dass der Bundesverband gute und wichtige Arbeit beispielsweise in Brüssel und auch in Berlin leistet. Und diese Arbeit wird durch die Landesverbände überhaupt nicht behindert, sondern kräftig unterstützt. Denn sie leisten auf regionaler Ebene ebenfalls viel Lobbyarbeit – auch in der „großen“ Politik – zum Beispiel, wenn Themen wie Urheberrecht auch über den Bundesrat gehen und man dann mit den jeweiligen Landesregierungen oder Abgeordneten redet. Dazu braucht man aber auch gute persönliche Kontakte auf Länderebene.

Margit Lesemann: Wenn die Mitgliederversammlung in NRW der Fusion zustimmt, wird das Auswirkungen auf die anderen Landesverbände haben?

Dr. Rainer Nitsche: Erst vor einem Jahr haben alle Landesverbände gemeinsam unter tat- und ideenkräftiger Beteiligung von NRW das Selbstverständnis und die Funktion der Landesverbände schriftlich fixiert. Das kann man überall nachlesen. Insofern ist es schon erstaunlich, dass diese Initiative jetzt wie Zieten aus dem Busch kommt und all das wieder aufgeben will. Und noch erstaunlicher ist es, dass diese Initiative sich gleich als richtungweisend für alle Landesverbände feiert bzw. feiern lässt.

Wenn ein so großer Landesverband wie NRW diese Überlegungen nicht nur anstellt, sondern in direkten Verhandlungen mit dem Bundesverband einen Letter of Intent formuliert, ohne vorher mit den anderen Landesverbänden über die auch sie betreffenden Folgen verhandelt zu haben, dann ist das, höflich gesagt, kein guter Stil. Das zweite ist die Art und Weise, wie diese Überlegungen den Mitgliedern in NRW, die darüber entscheiden, präsentiert werden. Es grenzt für meinen Geschmack schon an Bauernfängerei, wenn da geworben wird: Wenn Ihr für die Auflösung stimmt, bekommt Ihr in NRW viel mehr Leistungen für viel weniger Geld. Warten wir mal ab, ob unsere Kollegen dort das auch so sehen…

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