Das Sonntagsgespräch Christian Brückner über das Sprechen und das Verlegen von Hörbüchern

Christian und Waltraut Brückner

Christian Brückner ist eine der bekanntesten Stimmen Deutschlands. Ob als Synchronstimme Robert De Niros im Fernsehen, in zahlreichen Hörspielen im Radio oder als Sprecher von Hörbüchern, Brückner begegnet dem Ohr regelmäßig.

Bereits seit zehn Jahren veröffentlicht der Wahlberliner Hörbücher auch in seinem eigenen kleinen Hörbuchverlag parlando, den er gemeinsam mit seiner Frau Waltraut führt.

buchmarkt.de: „parlando“ erscheint von dem gleichen Geist beseelt wie viele Kleinverlage. „Texte, die sich von vornherein dem breiten Erfolg zu versperren scheinen“, haben Sie selbst gesagt. Wie wählen Sie aus?

Brückner: Nach den Erinnerungen an wichtige Leseerlebnisse seit, sagen wir ruhig, fünfzig Jahren, den Katalogen der Verlage im gemeinsamen Lektorat Brückner/Brückner und nach besonderen Hinweisen mancher Verlage auf ungewöhnliche Titel.

buchmarkt.de: Können Sie das Prinzip, Texte als Hörbücher aufzunehmen, an die Sie glauben, konsequent durchziehen? Oder gibt es einen Text, von dem Sie Abstand genommen haben, weil Sie wussten, dass er keine Chance auf Verkäufe hatte?

Brückner: Eben die machen wir. Klar, wir wünschen uns erfolgsträchtige Titel, veröffentlichen aber regelmäßig Produktionen, von denen wir wissen, dass sie sich nicht blendend verkaufen werden, wie der geniale Denis Johnson.

Halten wir jemanden für wichtig, veröffentlichen wir ihn weiter, auch wenn wir wissen, dass er sich am Markt schwertun wird. Natürlich sagen wir manchmal: „Geht nicht“, meist wegen des Umfangs, aber zur selben Zeit haben wir schon einen anderen „Geht-Nicht“ am Start.

buchmarkt.de: Sie kämpfen vermutlich auch mit ähnlichen Problemen wie viele ambitionierte Verlage, der Novitäten-Getriebenheit auf Seiten des Buchhandels zum Beispiel. Wie erleben Sie das?

Brückner: Die „Novitäten“ interessieren uns in Maßen. Es ist wunderbar, einen neuen Autor zu entdecken, aber bei einem kleinen Unternehmen wie unserem kann das nicht serienmäßig passieren. Und Literatur ist weiß Gott nicht nur „von heute“. Auch der Buchhandel hat mit seinen Vorstellungen unsere Ansprüche nicht verformt.

buchmarkt.de: Ist „Christian Brückner“ schon so eine Marke, dass man sagen könnte: Was Brückner liest, verkauft sich auch?

Brückner: „Christian Brückner“ ist sicher eine Marke, die sich aber überhaupt nicht mit Sicherheit verkauft. Richtig wäre nur: Was Brückner liest, will er auch lesen und hofft: Es verkauft sich.

buchmarkt.de: Wie würden Sie den Kunden für Ihre Hörbücher beschreiben?

Brückner: Neugierig, ein aficionado, unabhängig von Bestsellerlisten, mit ebenso großer Lese- wie Hörlust. Und hoffentlich in der Lage zu entdecken, dass der Interpret, dem er sich anvertraut, immer – gelingend oder nicht – versuchen wird, auch für das nächste Buch einen angemessenen und anderen Ton zu finden. Das mag misslingen, aber es gibt eine wirklich unerbittliche Regie und manchmal viele neue Anfänge.

buchmarkt.de: Diese „unerbittliche Regie“ führt Ihre Frau Waltraut …

Brückner: Leider! (lacht)

buchmarkt.de: Warum denn „leider“?

Brückner: Na, weil sie unerbittlich ist. Wir kriegen uns manchmal schwerstens in die Wolle. Das wäre in anderen Konstellationen einfacher, aber die Ergebnisse wären weniger dezidiert entschieden. Oft kommen von der Regie Anmerkungen oder Hinweise, von denen ich einsehe, dass ich da eine gar nicht so geringfügige Veränderung anbringen muss.

buchmarkt.de: Die Regie als Teil der künstlerischen Arbeit.

Brückner: Manche Produktionen verfahren ganz anders. Da wird gesagt: „Da sitzt ein Profi, der kann das alles selber.“ Das halte ich für völlig falsch. Das ist nicht anders als auf dem Theater. Man kann sich völlig vergaloppieren. Ich kann das auch. Und es kommt etwas, ich sage mal, etwas ganz Alltägliches, Beliebiges raus. Was überhaupt nicht stimmt, der Sache nicht entspricht. Es braucht – ich brauche einen Gegenpart. Und wenn jemand sagt, er brauche das nicht, überschätzt er sich. Oder unterschätzt die Möglichkeiten, die er hätte mithilfe von jemandem, der ihn korrigiert.

buchmarkt.de: Insofern ist parlando nicht nur Christian, sondern auch Waltraut Brückner, auch auf künstlerischer Seite.

Brückner: Das finde ich absolut. Die Regie ist ein künstlerischer Beruf, wenngleich nicht ausübend. Auch als Lektorin spielt sie im Verlag eine viel größere Rolle, sie liest viel mehr als ich. Und sie arbeitet von morgens bis abends, für sie hört parlando überhaupt nie auf.

Wir sind schon ein komisches Unternehmen. Komisch in dem Sinne, dass wir hier zwei Leutchen sind, die die gesamte Arbeit machen, von A bis Z. Aber von den Jobs hat sie ungleich mehr. Und auch lauter Dinge, die ich gar nicht kann. Da ist sie auf der, sagen wir, technischen und organisatorischen Seite viel wichtiger als ich. Auf der anderen Seite bin ich das Aushängeschild. Aber ich weiß manchmal gar nicht, wie sie das alles schafft.

buchmarkt.de: Wie bereiten Sie sich eigentlich auf eine Aufnahme vor?

Brückner: Manchmal über lange, lange Zeiten. Um Liebhaber zu bleiben, habe ich keine Uhr für die Vorbereitung. Auf alle Fälle brauche ich ein Vielfaches der später im Studio verbrachten Zeit.
Das Buch muss in den Körper gehen. Mit möglichst viel Lust. Und auf vielen Wegen. Bedrucktes Papier kriegt eine neue Physis.

buchmarkt.de: Wie viel Textarbeit geht voraus?

Brückner: So viel, bis das Buch lebendig geworden ist.

buchmarkt.de: Ein guter Sprecher lässt den Hörer vergessen, dass „nur“ einer liest. Die verschiedenen Charaktere haben eigene Schattierungen, Intonationen etc. Wie kommen Sie zum jeweiligen Ton des Charakters?

Brückner: Die Menschen haben vorher Charakterzüge, keine festgelegten Stimmen, auch die entwickeln sich aus dem Stamm, leben aus dem Corpus des Buches, nicht als Chargen, finden zu sich selbst allmählich und nicht immer auf gleichem Ton, obwohl wiedererkennbar.

buchmarkt.de: Gab es je eine Figur, deren Ton Sie einfach nicht gefunden haben?

Brückner: Das muss der Hörer beurteilen, ich weiß es nicht, denn nach der Aufnahme will ich lange nichts mehr mit dem Ergebnis zu tun haben. Ich denke, dass ich nicht mit allem einverstanden wäre.

buchmarkt.de: Und eine, bei der Sie sich zwischen verschiedenen Varianten nicht entscheiden konnten?

Brückner: Die Entscheidung wird gemeinsam von der Regie und mir getroffen. Einigen wir uns nicht, ist der Studiotag zu Ende, und wir fangen irgendwann neu an.

buchmarkt.de: Und es ist nie vorgekommen, dass sie sich auch weiterhin nicht einigen konnten?

Brückner: Wir haben auch Bücher drei-, vier-, fünfmal angefangen. Das hat es auch gegeben. Das ist dann nicht der nächste Tag. Nicht der Alltag, aber es kommt immer wieder vor. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir ein Projekt aufgegeben hätten, aber wir waren oft kurz davor. Ich zumindest. Da verliere ich als ausübender Künstler den Mut: „Das schaffe ich gar nicht mehr.“ Wie Sysiphos seinen Stein immer nochmal rollt: „Das nächste Mal lasse ich ihn los. Er soll hinrollen, wohin er will, ich gehe nach Hause.“ Dem steht dann die Disziplin entgegen. Das Scheitern als Möglichkeit aber ist oft da.

buchmarkt.de: Sie sprechen alle Texte bei parlando selbst. Ich muss gestehen: Für mich sind Sie Robert De Niro. Zumindest, wenn ich Sie höre. Ich brauche immer ein paar Sätze, ehe ich ihn beiseite geschoben habe und die neue Figur ohne ihn vor dem inneren Auge sehen kann. Ist De Niro manchmal ein Fluch?

Brückner: Für mich ist De Niro unwichtiger, als die Öffentlichkeit annimmt. Der stimmliche Code ist nicht zu verleugnen, natürlich nicht. Aber sobald ich die „neue Rolle“ gefunden habe, ist er weg, kein Schatten von De Niro mehr übrig. Kein Fluch, damit täte ich ihm unrecht. In Deutschland können wir schwer ohne einander.

buchmarkt.de: Manchmal gewinnt man beim Hören eines Hörbuchs den Eindruck, der Sprecher kenne das Werk nicht. Ist es ganz schlimm, merkt man es an falschen Betonungen innerhalb eines Satzes oder sogar daran, dass er mit einer „falschen“ Stimme beginnt. Das heißt, er hat eine wörtliche Rede zu Beginn einer falschen Person zugeordnet. Andere Male gewinnt man den Eindruck nur anhand von Kleinigkeiten. Sind heute vermehrt – hart formuliert – lieblose oder zu schnell produzierte Aufnahmen auf dem Markt?

Brückner: Ihre Frage nimmt viel Raum ein, die Antwort ist kurz: Je mehr der Markt verkraften muss, desto mehr sträuben sich mir die Ohren.

buchmarkt.de: Haben Sie von den Ihrigen eine Lieblingsstimme?

Brückner: Nein, diese Form der „Selbstverliebtheit“ kenne ich nicht.

buchmarkt.de: Und von den Kollegen? Wen hören Sie selbst am liebsten?

Brückner: Ich komme selten zum Hören. Stimmen haben mich in meiner Kindheit beeinflusst. Auch noch in der Jugend: Günter Lüders, z.B., Matthias Wiemann, Erich Ponto, Horst Kaspar, Hans Paetsch.

buchmarkt.de: Zurück zu parlando: Was sind die nächsten Projekte? Welche Titel stehen für die kommenden zehn Jahre auf Ihrer Wunschliste?

Brückner: Mit der Antwort muss ich hinterm Berg halten, denn die Hörbuchunternehmen, die als Verlagsgesellschafter das „ius primae noctis“ haben, haben die Hand schon auf manches von uns annoncierte Projekt gelegt, mit der Behauptung, sie wollten es unbedingt selbst realisieren. Das geschah häufig nicht, und inzwischen waren uns Luft und Lust ausgegangen.

Trotzdem möchte ich auf ein großes Buch hinweisen, das schon fertig ist, aber noch nicht draußen: Thomas Wolfe „Schau heimwärts, Engel“ in neuer Übersetzung. Bin gespannt, ob es Interesse beanspruchen kann, von „erfolgreich sein“ will ich nicht unnötigerweise reden.

Zehn Jahre weiter: welche Vorstellung! Ein so kurzer Zeitraum – nicht an individueller Lebenszeit, wohlgemerkt! – mit so vielen Büchern, die es wert wären, bei parlando oder anderswo das akustische Licht der Welt zu erblicken.

Die Fragen stellte Carolina López

Waltraut und Christian Brückner stehen Buchhandlungen für Verlagspräsentationen gern zur Verfügung.

Kontakt: brueckner.waltraut@web.de
parlando Verlag
Edition Christian Brückner
Postfach 380119
14111 Berlin
Tel. (+4930)8017270
Fax. (+4930)39 37 36 45
www.parlandoverlag.de

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