Das Sonntagsgespräch Benedikt Viertelhaus: „Kritische Ausgabe“ seit 13 Jahren stabil am Markt

Benedikt Viertelhaus

Literaturzeitschriften gibt es zahlreiche auf dem Markt, wenngleich nur wenige von einem Massenpublikum wahrgenommen werden. Von kleinen Heftchen mit winzigen Auflagen, die höchstens regional wahrgenommen werden, bis zu Ausgaben, die ein weiteres Publikum erreichen: Es gibt in diesem Bereich nichts, was es nicht gibt. Am Literaturwissenschaftlichen Seminar der Universität Bonn ging vor 13 Jahren ein solches Heft an den Start, die Kritische Ausgabe. Was als kostenloses Heft im Reclam-Look begann, ist heute eine ansehnliche Zeitschrift, die zweimal im Jahr erscheint und auch in den nächsten Katalog der Kurt-Wolff-Stiftung aufgenommen werden soll.

buchmarkt.de sprach mit Benedikt Viertelhaus, Chefredakteur des Blatts, über die Zeitschrift, die verschiedenen Ansprüche an Literaturzeitschriften und die Zukunft der Kritischen Ausgabe.

buchmarkt.de: Unter einer Studentenzeitschrift stellt man sich normalerweise mehr oder minder unprofessionell gemachte Hefte vor, denen man ihre Unterfinanzierung auf den ersten Blick ansieht. Mit der Kritischen Ausgabe hält der Leser ein schön gestaltetes Heft in guter Druckqualität und mit sorgfältig redigierten, interessanten Texten in der Hand. Kompliment…

Benedikt Viertelhaus: Vielen Dank. Aber auch wir haben anders angefangen. Ursprünglich war die KA ein kostenloses Mitteilungsblatt der Fachschaft im Reclam-Design, nicht viel mehr. Dann wollten wir aber etwas anderes machen, eine Zeitschrift, die auch ein Publikum außerhalb der Studierendenschaft des Germanistischen Seminars erreichen sollte. Daher entwickelte man das Konzept der Themenhefte, wie es im Groben heute noch existiert, das mit der Ausgabe zur Popliteratur an den Start ging.

buchmarkt.de: Die Ausgaben stehen jeweils unter einem bestimmten Motto.

Benedikt Viertelhaus: Genau. Es sind mit die spannendsten Sitzungen, wenn wir aus einer großen Menge an Vorschlägen ein Thema wählen, unter dem das folgende Heft stehen soll, vergleichbar mit der „Du“. Das aktuelle Heft steht unter dem Thema „Europa“, das kommende wird das Thema „Familie“ haben.

buchmarkt.de: Und was erwartet den Leser im „Europa“-Heft?

Benedikt Viertelhaus: Das „Europa“-Heft ist so vielseitig, wie der Begriff selber. Eine Autorin beschäftigt sich beispielsweise mit Yvan Goll, der in zwei Sprachen zu Hause war. Ein anderer Beitrag beleuchtet die Entstehung des europäischen Poetry Slams und seine unterschiedlichen Ausprägungen. Besonders aktuell ist der Artikel von Peter Hanenberg, der sich mit dem Thema der Übersetzung als kulturellem Fundament für Europa beschäftigt. Neben diesen Teilen findet der Leser aber auch Rezensionen aktueller Romane und Erzählungen, Portraits, auch vergessener Autoren, sowie Literatur in jedem unserer Hefte. Passend zum Thema Europa haben wir den Literaturteil mehrsprachig gestaltet. Texte junger europäischer Autoren machen in Original und Übersetzung neugierig auf die Vielseitigkeit Europas.

buchmarkt.de: Entstanden ist die Zeitschrift im Umfeld des germanistischen Seminars der Universität Bonn. Ein Heft für Wissenschaftler?

Benedikt Viertelhaus: Jein. Viele Germanisten wechseln ja in völlig andere Berufssparten und bekommen dann oft vom „germanistischen Leben“ nicht mehr viel mit. Deutschlehrer beispielsweise können mit ihren Klassen selten tiefer in die Materie einsteigen. Denen bieten wir die Möglichkeit, sich auf dem Laufenden zu halten. Aber die Kritische Ausgabe ist nicht nur ein Blatt für Germanisten. Unser Untertitel „Zeitschrift für Germanistik und Literatur“ weist ja darauf hin, dass es da eben um mehr geht. Es gibt ein wissenschaftlich interessiertes Publikum – und das sind mitnichten nur Germanisten –, das Literatur anders konsumiert und auch in die wissenschaftliche Diskussionen hineinschnuppern will. Für diese Menschen machen wir das Heft. Wissenschaftlich ernstzunehmend, ohne den Leser mit Fachterminologien oder Detaildebatten zu erschlagen.

buchmarkt.de: Ein „Wissenschaftsmagazin für Laien“?

Benedikt Viertelhaus: Natürlich haben wir gewisse wissenschaftliche Standards, aber für den Leser ist das nicht das Entscheidende. In unserer Reihe „In der Tat: Linguistik“ beispielsweise geht es gezielt darum. die verschiedenen Schwerpunkte dieses, in der Wahrnehmung oftmals zu kurz kommenden, Teilbereiches der Germanistik einem breiteren Publikum näher zu bringen. Zu zeigen, was machen wir da eigentlich? Gleiches gilt für viele unserer Artikel. Auch kommen nicht alle Autoren aus der Wissenschaft.

buchmarkt.de: Und heute können Sie sich im Katalog der Kurt-Wolff-Stiftung präsentieren.

Benedikt Viertelhaus: Ja, das ist natürlich eine wunderbare Chance, ein größeres Publikum zu erreichen. Bisher sind wir außerhalb der Universität Bonn vor allem über das Internet wahrgenommen worden …

buchmarkt.de: Wo Sie aber ein etwas anderes Angebot haben.

Benedikt Viertelhaus: Das Heft ist stärker auf deutschsprachige Literatur konzentriert. Im Netz haben wir mehr Freiheit, da können wir auch öfters übersetzte Titel vorstellen. Oder Musik, Theaterinszenierungen, Themen die eher in einem kleineren zeitlichen Rahmen wahrgenommen werden.

Aber wir hoffen natürlich, sowohl über das Internet als auch jetzt über den Kurt-Wolff-Katalog, mehr Aufmerksamkeit auf uns ziehen zu können. In Bonn selbst führen verschiedene Buchhandlungen das Heft. Gerade kleine Buchhandlungen mit literarischem Profil haben ja die Kunden, die sich auch für die Kritische Ausgabe interessieren könnten. Für die Buchhändler ist unser Heft auch eine Möglichkeit, etwas „anderes“ anbieten zu können, was der Kunde so nicht überall findet.

Wir erleben es bei Anfragen übrigens immer wieder, dass sich Menschen für unsere Hefte interessieren, die nur ungern im Internet bestellen wollen.

buchmarkt.de: Kritiker würden sagen: eine etwas altmodische Klientel …

Benedikt Viertelhaus: Vielleicht. Aber eine Klientel, die an Angeboten wie dem unsrigen Interesse hat und bereit ist, dafür Geld auszugeben. Gerade das ist doch eine Chance des stationären Handels: Menschen, die nicht online kaufen wollen, an sich zu binden! Dafür muss man ihnen aber vielleicht ein ausgefalleneres Angebot machen.

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