Thema in Frankfurt: Der Heidelberger Appell und Autorschaft als Werkherrschaft in digitaler Zeit

Roland Reuß

Zu diesem Thema fand heute im Literaturhaus Frankfurt am Main eine Tagung statt, bei der es um das nicht autorisierte Einscannen von Büchern bei Google, um den Zwang, wissenschaftliche Publikationen ins Netz zu stellen und natürlich um den Heidelberger Appell ging.

Initiiert wurde diese Veranstaltung vom Institut für Textkritik und vom Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt, die Schirmherrschaft übernahm die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Den verhinderten Frank Schirrmacher vertrat Hannes Hintermeier von der FAZ. Er stellte die Frage, ob das Internet die „Wiedereinführung des Kommunismus durch die Hintertür in Zeiten des Turbokapitalismus“ sei, wies aber auch darauf hin, dass die heute zu diskutierende Problematik dem breiten Publikum schwierig zu vermitteln sei.

In seinem Einführungsvortrag sprach Prof. Dr. Roland Reuß, Universität Heidelberg, über Autorverantwortung und Text. In der bisherigen öffentlichen Diskussion entsteht der Eindruck, dass das Urheberrecht mit weiteren Schranken versehen werden soll.

Roland Reuß ging in der Geschichte sehr weit zurück und verwies auf Martial, den römischen Dichter, der seine Werke als freigelassen Sklaven betrachtete, die nun für einen anderen Poeta arbeiteten. Wird dieser Nachfolger nicht zum Plagiarius? Wird nicht damit Einfluss auf das ursprüngliche Werk des Autors genommen, auf ihn selbst?

Die Mentalität, alles gleich und umsonst verfügbar haben zu wollen, herrscht gegenwärtig in der Öffentlichkeit vor.

Dem entgegen steht das Produkt geistiger Tätigkeit, das sich selbständig macht und Wirkung entfaltet, auf die der Autor Einfluss nimmt – man stelle sich das wie eine Eltern-Kind-Beziehung vor. Verlage erfüllen dabei eine helfende Funktion. Das ist etwas anderes, als im Internet weit oben zu stehen, denn zwischen Autor und Verlag entsteht ein schützenswertes Verhältnis, das kein dirigistisches Eingreifen verträgt.

Dem stehen Forderungen der DFG entgegen, dass Wissenschaftler möglichst ohne Einbeziehung eines Verlages im Internet veröffentlichen sollen. Damit finden Verlage keine Autoren mehr und umgekehrt. Geht es hier um die stillschweigende Einführung neuer wissenschaftlicher Standards im Internet, um die Zerschlagung des wissenschaftlichen Verlagswesens?

Und wie stellt sich die Frage der Integrität wissenschaftlicher Arbeit bei einer Darstellung in einem zweifelhaften Kontext?

Ein anderes Beispiel ist Google. Widerrechtlich wurden im Rahmen von Google Book Search Texte eingescannt und weiterverarbeitet. Unautorisierte Textausschnitte werden veröffentlicht, die einer Amputation des Werkes gleichkommen.

Wie wird die Diskussion geführt? Es wird der Versuch unternommen, die Rechte der Allgemeinheit den Rechten des Individuums gegenüber zu stellen – ein falscher Gedanke. Wenn Politiker die Wissenschaftler und Forscher in Deutschland als einzigen Rohstoff des Landes postulieren, können diese Wissenschaftler und Forscher auf der anderen Seite nicht gegängelt werden, das widerspricht einander.
Politiker sollten also die Verlage nicht auf „raubresistente Geschäftsmodelle“ drängen, sondern die Rechte von Verlagen und Autoren besser schützen.

Dr. Anne Lipp, DFG, widersprach, dass es seitens ihrer Gemeinschaft irgendwelche Forderungen an die Autoren oder gar ein Bedrängen derselben gebe. Keiner werde gezwungen, seine Arbeiten auf Servern an Universitäten zur Verfügung zu stellen.

Allerdings gibt es eine Handreichung der DFG im Zusammenhang mit DFG-gestützten wissenschaftlichen Zeitschriften, die sich auf das Zweitverwertungsrecht von Publikationen bezieht. Dieser sogenannte „Grüne Weg“, meldet sich Vittorio Klostermann in der Diskussion zu Wort, sei für ihn als Verlag nicht gangbar, denn mit der Festlegung des Autors auf das Zweitverwertungsrecht im Internet wird für den Verleger eine Planung unmöglich. Er machte diese Situation in einem Brief an Prof. Matthias Kleiner, Präsident der DFG, deutlich. Vor wenigen Tagen erhielt er eine beruhigende Antwort; kein Autor werde zur Internetveröffentlichung gezwungen.

Ob der Autor nach Veröffentlichung seines Werkes noch das Recht habe, die Digitalisierung zu unterbinden – diese Frage stellte Auke Haagsma, Initiative for a competitive online marketplace ICOMP. Denn wenn diese Rechte gewährleistet werden, müsste Google Book Search eingestellt werden. Und was wird aus dem Projekt EUROPEANA?

Roland Reuß stellte klar, dass es um noch existierende Rechteinhaber gehe. Hier muss das Einverständnis eingeholt werden, sonst wird die Würde des Menschen verletzt. Hat ein Autor der Digitalisierung zugestimmt, kann er die Verwertung nicht mehr verfolgen. Eine automatische Digitalisierung führt ins Chaos. Wichtig: nicht erst veröffentlichen und dann die Rechte einholen, sondern umgekehrt handeln. Außerdem: Effizienz kann nicht gegen Persönlichkeitsrechte aufgewogen werden.

Wir berichten weiter.

JF

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