“… die Lava des Gedankens im Fluss“. Jürgen Habermas zum 80. Geburtstag

Jürgen Habermas

Heute, am Vorabend des 80. Geburtstages des großen, weltweit anerkannten Philosophen Prof. Dr. Dr. Jürgen Habermas, fand in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main in Zusammenarbeit mit der Goethe-Universität die Eröffnung einer seinen Werken gewidmeten Ausstellung statt.

In ihrer Begrüßung ging Dr. Elisabeth Niggemann, Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek, auf die Verbindung des Philosophen mit dem Hause ein, das alle Erstausgaben, Neuauflagen und Übersetzungen gesammelt hat. Anknüpfungspunkte finden sich ebenfalls zum Deutschen Exilarchiv 1933 bis 1945, denn hier sind Werke zu einem Personenkreis, mit dem Jürgen Habermas in vielfachen Beziehungen stand, geordnet.

Als Beispiele führte Elisabeth Niggemann Theodor W. Adorno, Karl Löwith, Leo Löwenthal, Siegfried Kracauer und Herbert Marcuse an. Eine Verbindung lässt sich ebenfalls zur New School for Social Research in New York ziehen, an der Habermas im Herbst 1967 eine Gastprofessur inne hatte; an dieser Universität wurde 1933 eine University in Exile etabliert, in der über 180 exilierte Wissenschaftler aus dem damaligen deutschen Machtbereich lehren konnten.

Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth würdigte Jürgen Habermas als herausragenden Denker und Menschen, auf den Frankfurt stolz sein kann.

Prof. Dr. Dr. Matthias Lutz-Bachmann, Vize-Präsident der Johann Wolfgang Goethe-Universität, unterstrich: „Mit ihrer Entscheidung, den Tag ihres 80. Geburtstags im Kreis der Universität und im Gespräch mit den Studierenden zu verbringen, setzen Sie ein außerordentliches Zeichen der Verbundenheit … Dabei meine ich … nicht eine Form der Nostalgie oder der Verklärung der Vergangenheit, sondern den lebendigen Ausdruck einer Teilnahme am ‚Fluss der Gedanken’ … Sie haben … nicht nur als Vertreter der Diskurstheorie, sondern eben auch als akademischer Lehrer, Kollege und Autor … für ihre Einsichten gestritten, ihre Argumente dargelegt, ihre Positionen weiterentwickelt und Kritik von anderen aufgenommen. So haben sie nicht nur das Leben dieser Universität, sondern auch die Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland seit den fünfziger Jahren bis heute wie kein anderer geprägt: Theoretische Debatten nachhaltig bestimmt, politische Perspektiven entwickelt und kritisch-normative Maßstäbe formuliert, an denen wir uns messen lassen müssen.“

Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz spannte in ihrer Rede einen Bogen vom ersten veröffentlichten Text von Jürgen Habermas aus dem Jahr 1953 bis zur soeben bei Suhrkamp erschienenen fünfbändigen Studienausgabe seiner Philosophischen Texte und würdigte den streitbaren Wissenschaftler und öffentlichen Intellektuellen als einen, der Räume des Denkens und Begründens von innen her vergrößert.

Der langjährige Freund, Prof. Dr. Alexander Kluge, überbrachte die Glückwünsche einem, dessen Arbeit seit 50 Jahren in unbestrittener Geltung bleibt. Jürgen Habermas habe damit einen Teil zum Generationenvertrag beigetragen.
1956 ging Jürgen Habermas als Assistent ans Institut für Sozialforschung in Frankfurt und fand in der Stadt am Main einen Geist wie Lava, noch nicht verfestigt. Alexander Kluge ging dann auf Unterschiede zwischen Vulkanisten und Neptunisten ein und fand beide in Habermas vereint: Dem Temperament nach sei der Philosoph Vulkanist, hinsichtlich seiner Arbeit Neptunist.
Er würdigte den Freund als aktiv Eingreifenden, sprach dabei die Historikerdebatte an, ohne die die Wiedervereinigung Deutschlands in der heutigen Form nicht denkbar wäre. Alexander Kluge schilderte den Philosophen auch als Hochschullehrer und Theoretiker, der über die Zeiten hinweg seine Haltungen beibehalten hat, selbst wenn das für ihn nicht immer einfach war. Seine Theorie gleiche einem Navigationssystem, nach dem – wenn man es beachtet – sich gut durch stürmische Zeiten steuern lässt. Er warnte gleichzeitig vor Abwahl unbequemer Realitäten, das führt zu gestörtem Gleichgewicht und damit ins Chaos. „Die Welt könnte 60 Habermas’ gebrauchen, aber wir haben nur dieses eine Unikat“, schloss er.

Auf die Ausstellung in der Deutschen Nationalbibliothek ging Kurator und Leiter des Archivs der Peter Suhrkamp Stiftung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Wolfgang Schopf ein. Gewollt ist eine Werkausstellung, keine Biografie.

In seiner Ansprache verstand Jürgen Habermas die Aufzählungen seines Freundes Alexander Kluge nicht als Beschreibung, sondern als Aufforderung zum nächsten Projekt.

Nach der an ihn, Habermas, gerichteten Anfrage zu einer Ausstellung überwogen die ambivalenten Gefühle: „Nun sollte also der (iconic turn}, der alle Buchstaben in Bilder, alle Gedanken in events verwandelt, auch noch den Autor mit seinen Büchern erfassen. Andererseits war es eine suggestive Vorstellung, dass meine Bücher aus den Magazinen einer Bibliothek, in denen die gesamte deutsche Literatur seit 1945 versammelt ist, für drei Wochen ans Licht geholt würden und die Augen aufschlagen dürften. Eine romantische Idee.“
Es folgte eine Hommage an Frankfurt, „die Stadt, in deren Mauern ich die aufregendsten Zeiten meines erwachsenen Lebens erfahren habe“. „In den Sog der Kommunikationsströme“ gezogen fand sich Habermas im Kreis von Generationsgenossen von Max Frisch bis Hans Magnus Enzensberger und im Universum des Suhrkamp Verlages unter Siegfried Unseld. Verständlich ist heute ein Aufbruch des Verlages zu neuen Ufern, doch sollte die Geschichte im Gedächtnis bewahrt bleiben.

JF

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