Struwwelpeters Geschwister – Kinderbuchillustrationen im Biedermeier

Moralische Erzählungen für Kinder, 1818

Gestern Abend wurde in der Frankfurter Bürgerstiftung Holzhausenschlösschen eine Kinderbuch-Ausstellung mit über 60 hochkarätigen Exponaten aus der Zeit des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts eröffnet.

Clemens Greve, Geschäftsführer der Bürgerstiftung, wies in seiner Begrüßung auf die schwierige Auswahl der Bücher hin, da aufgrund klimatischer und sicherheitstechnischer Bedingungen nur eine Etage des Schlösschens zur Verfügung gestellt werden konnte. Gleichzeitig ordnete er diese Exposition als ein Mosaiksteinchen im Heinrich Hoffmann Sommer 2009 in Frankfurt ein [mehr…]. Die Leihgaben stammen aus der Bibliothek des Instituts für Jugendbuchforschung der Goethe-Universität und der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg mit umfangreichen Privatsammlungen.

„Obwohl ich ein Politiker bin, kannte ich den Struwwelpeter auch schon“, erklärte Kulturdezernent Felix Semmelroth mit Humor und ging kurz auf die Planung des Hoffmann Sommers ein, die bereits vor drei Jahren mit einem Besuch von Hans-Heino Ewers, Direktor des Instituts für Jugendbuchforschung der Goethe-Universität, bei Felix Semmelroth begann. Er dankte allen Engagierten und Sponsoren, ohne deren Hilfe solch ein Event nicht denkbar wäre.
„Kraft meines Amtes muss ich mich gegen jede Form des Kulturpessimismus wenden. Aber ob die Bilder Heinrich Hoffmanns auf dem Computerbildschirm oder dem Reader genauso betrachtet werden können wie im gedruckten Buch – ich weiß es nicht“, formulierte der Kulturdezernent.

Vergleiche zwischen den in der Ausstellung gezeigten Büchern und dem Struwwelpeter zog Hans-Heino Ewers und hob die Befreiung aus der biedermeierlichen Weichzeichnung hervor. Andererseits zitierte er Walter Benjamin, aus dessen Privatsammlung einige Bücher stammen. Benjamin lobte die gleichsam schwebenden Farben auf den Zeichnungen, die den Kindern paradiesische Vorstellungen nahe brachten. Zur genauen Betrachtung der Schätze sollten die Besucher am besten Lupen mitbringen.

Kurator Peter O. Büttner zog gleich zu Beginn seines äußerst unterhaltsamen Vortrags die Bilanz seiner Sichtungen: Wohl noch ein zweites und drittes Schlösschen wären notwendig geworden, um alle Kinderbuch-Schätze jener Zeit zu präsentieren. Während der Vorbereitung der Ausstellung wurde er geradezu von Struwwelpeter-Illustrationen verfolgt. Dem gegenüber stand das überschaubare, harmonische, geordnete Familienidyll des Biedermeier mit Kindern als engelsgleichen, stets braven und gehorsamen Geschöpfen. Ein Zustand selbstgenügsamer Zufriedenheit galt als höchstes Glück. Doch unter dieser sorgfältig gestickten Decke brodelten Angst vor Veränderungen, Sehnsüchte und Triebe.

In diesem Umfeld war Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter eine Kampfansage an die moralisch-didaktische Erziehungsheuchelei.

Die Ausstellung ist in zwei große Abteilungen gegliedert. Die erste zeigt zeitgenössiche Bilderbücher, die Heinrich Hoffmanns Kritik entfacht haben könnten. Die zweite präsentiert biedermeierliche Gegenstücke zu einzelnen Struwwelpeter-Geschichten und –Motiven. Insgesamt gibt es neun Themengruppen. Eine im Biedermeier-Stil gehaltene Einstiegstafel zeigt in einem Goldrahmen ein Struwwelpeter-Symbol und ein passendes Zitat.

In der dargestellten Zeitspanne entstanden einzigartige illustrierte Bilder- und Kinderbücher, auffallend ist die prächtige Kolorierung, die in ihrer Leuchtkraft jeder späteren Druckfarbe weit überlegen ist. Die Farben wurden nach dem Druck von Hand aufgetragen, veranlasst entweder durch den Verleger oder den Käufer. Oft wurde nur ein Teil der Auflage bemalt. Dabei ging man entweder mit Hilfe von Schablonen vor oder aber malte sorgfältig jedes einzelne Bild aus, so entstanden Unikate von hohem Wert, heute wie damals begehrte Objekte.

Die literarische Qualität trat eher in den Hintergrund, nur der erzieherische Wert musste gewahrt bleiben: Die Kinder sollten zu gehorsamen, guten, wissbegierigen und unterwerfungsbereiten kleinen Bürgern heranwachsen. Individualität, Phantasie, Forscherdrang und Abenteuerlust waren nicht gefragt. All das gab es erst in neuer, aufregender Weise im Struwwelpeter und seinen Geschwistern.

Ein umfangreiches Rahmenprogramm begleitet die Ausstellung zum 200. Geburtstag Heinrich Hoffmanns am 13. Juni. Die Exposition ist noch bis zum 5. Juli zu sehen.

JF

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