Literaturpreise Warum die Zuschussforderungen des MVB für die Longlist-Broschüre zum Deutschen Buchpreis ein Skandal sind

Karl-Heinz Bittel

Der Deutsche Buchpreis ist diese Woche ins Gerede gekommen: Verlage, die auf die Longlist kommen sollten, wurden um einen Zuschuss ersucht. [mehr…] Schnell ruderte der Börsenverein zurück und verhedderte sich in einer „Unabhängigkeitserklärung“ der Jury:

Da war in einem Absatz davon die Rede, dass man sich entschieden habe, „keine Druckkostenzuschüsse für die von ihr herausgegebene Publikation … (zu) erheben„, während im nächsten Absatz behauptet wurde, man habe ja nur nach einem freiwilligen Beitrag anfragen wollen… [mehr…].

Karl-Heinz Bittel kennt die Verlagswelt nicht nur als langjähriger Verleger und Lektor, sondern nun auch als Autor („Eine Art Verrat“, Osburg) – und er ist über die Vorgänge um den Buchpreis wenig amused…

Er war Programmleiter des Knaus Verlages, wo er als langjähriger Lektor Walter Kempowskis unter anderem dessen monumentales Echolot betreute sowie Autoren wie Lawrence Norfolk, Pascal Mercier und Georg M. Oswald entdeckte. Seit 1999 arbeitet er als freier Lektor und Publizist.

BECKMANN: Was sagen Sie zum Deutschen Buchpreis?
BITTEL: Mit dem Deutschen Buchpreis wird bekanntlich der beste deutschsprachige Roman des Jahres ausgezeichnet. Das Wörtchen „der Beste“ halte ich allerdings für eine fragwürdige Kategorie – als könnte man in der Literatur, wie bei einer Sportveranstaltung, mit Messband und Stoppuhr die Reihenfolge, den Besten oder die Beste bestimmen. Dennoch: Der Deutsche Buchpreis funktioniert. Er funktioniert im Sinne einer Verkaufshilfe – was ja auch daran ersichtlich ist, dass die Preisträger regelmäßig auf den vorderen Plätzen der Bestsellerlisten landen. Und solch ein Literaturpreis zur Erzeugung öffentlichen Leseinteresses, das heißt: als Marketing-Instrument, hat in Deutschland bislang gefehlt. Und er funktioniert auch aus folgendem Grund: Auf geheimnisvolle Weise scheint das Buch, das von einer renommierten Jury unter Zuhilfenahme literarischer Kriterien prämiert wird, mit dem Massengeschmack kompatibel zu sein.

BECKMANN: In dem von Ihnen skizzierten Sinn halten Sie den Deutschen Literaturpreis demnach für einen wichtigen Literaturpreis?
BITTEL: Ja, durchaus. Ich kann den Ansatz auch nachvollziehen – der Preis ist ja vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels initiiert worden und wird von ihm getragen. Da ist es doch verständlich, dass er eine breite Lesekultur fördern soll und sich im Interesse möglichst aller Verbandesmitglieder auswirkt.

BECKMANN: So gesehen, wäre eigentlich auch die Aktion des MVB in Ordnung: Die Wirtschaftstochter des Börsenvereins hat ja die Absicht, erstmals eine 80seitige Werbebroschüre einzusetzen, welche die 20 Titel der Longlist breit bekannt machen soll.
BITTEL Nichts gegen die Idee an sich. Aber die Aktion hinterlässt einen Nachgeschmack, auch wenn der Börsenverein, nachdem die Sache ruchbar geworden ist, jetzt zurückrudert. Es musste einem doch so vorkommen, als ob die Verlage mit den eingeforderten Zuschüssen eine Art Eintrittsticket bezahlen sollten, damit die für den Preis eingereichten Romane überhaupt ins Blickfeld der Jury gelangten.

BECKMANN: Anders gesagt: Die Glaubwürdigkeit eines Literaturpreises basiert auf der völlig unabhängigen Entscheidung der Jury und ihrer fachlichen Kriterien. Wenn diese Unabhängigkeit in Frage gestellt wird, besteht hohe Gefahr, dass ein Literaturpreis sein Renommée verliert und eben nicht mehr funktioniert.
BITTEL: So ist es. Darum war die ganze Aktion von Grund auf dumm und dämlich.

BECKMANN: Nun scheint man im Börsenverein der Ansicht zu sein, sinngemäß: „Da ist ein dummer kleiner Fehler gemacht worden, leider, aber wir haben den Fehler eines kleinen MVB-Angestellten ja gemerkt, korrigiert und rückgängig gemacht, damit ist alles wieder in Butter.“
BITTEL: Ich weiß nicht, was die Leute am Frankfurter Hirschgraben denken. Ich weiß natürlich auch nicht, ob das, was Herr Skipis als Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins in seiner Stellungnahme zu der misslichen Angelegenheit öffentlich zum Besten gab, sich mit dem deckt, was man in den Geheimkammern des Verbands denkt. Im übrigen: dass ein Verband einen Missgriff oder Fehler klein- und schönredet…. nun ja, dazu neigen Verbände eigentlich immer.

Ich kann jedoch nur davor warnen, die Sache jetzt zu verharmlosen. Zumal die MVB bzw. der Börsenverein es selbst doch wohl überhaupt nicht gemerkt haben, dass sie da Unfug trieben. Ist die Sache vielleicht nicht eher zufällig von außen her aufgeflogen? Also, ich finde sie ganz schön skandalös.

BECKMANN: Übertreiben Sie nicht, wenn Sie da gleich einen Skandal sehen?
BITTEL: Aber es ist doch ein Skandal.

BECKMANN: Wieso denn?
BITTEL: Der Deutsche Buchpreis ist aus den eingangs genannten Gründen bedeutsam. Er ist dem Börsenverein mit Recht wichtig. Und jedem, der schon mal mit Literaturpreisen zu tun hatte, ist bewusst, wie heikel so ein Pflänzchen ist, wie leicht es in seiner Glaubwürdigkeit und damit in seiner Wirkung beschädigt werden kann.

Den eigentlichen Skandal der Geschichte sehe ich darin: Wie kann es überhaupt so weit kommen, dass es im MVB, also einem Filialbetrieb des Börsenvereins, an solchem Bewusstsein mangelt? Dass dort der Krämergeist regiert und man gar nicht wahrnimmt, dass so der Kulturzweck des Preises diskreditiert wird ? Eine hochsensible Angelegenheit und somit doch eigentlich Chefsache.

BECKMANN: Aber Sie sagten doch vorhin selbst, die Broschüre zur Werbung für die Titel auf der Longlist des Deutschen Buchpreises sei eigentlich doch eine gute Idee. Zumal es ja im Buchhandel Klagen gegeben hat, beim Kaufpublikum sei die beabsichtigte Wirkung der Longlist sei beim Kaufpublikum noch nicht eingetreten.
BITTEL: Klar war und ist solche Broschüre an sich eine gute Idee. Und wahrscheinlich notwendig. Aber die Longlist publikumswirksam durchzusetzen, so wie es etwa bei der Longlist des britischen Man Booker-Preises der Fall ist: Das wäre, im langfristigen Interesse der ganzen Branche, doch die genuine Aufgabe des Börsenvereins, auch für so etwas sind schließlich die Beiträge der Verbandsmitglieder da.

Und wenn der Deutsche Buchpreis, wie gesagt, ein Marketinginstrument des Verbandes für die ganze Branche darstellt, so muss man doch laut und vernehmlich fragen: Wie konnte überhaupt jemand auf die abseitige Idee kommen, für die erwähnte Broschüre von Buchhandlungen 1,30 Euro pro Stück zu verlangen und sie auch noch von den Verlagen subventionieren zu lassen – mit 2000 Euro pro Titel von den großen, mit 700 Euro von ohnehin notleidenden kleinen?

Es ist überhaupt die Unsitte eingerissen, immer wieder gleich Verlage zur Kasse zu bitten. Die stehen ohnehin unter dem Druck zunehmend hoher Buchhandelsrabatte, insbesondere durch die immer maßloseren Forderungen der Ketten. Der Krug geht offenbar auch hier so lange zum Wasser, bis er bricht.

Zum letzten Sonntagsgespräch mit Thomas Tebbe zur Konkurrenz britischer und amerikanischer Verlage [mehr…]

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