… mit Claudia Reitter: Drei Vertreterreisen, drei Vorschauen – Wozu soll das gut sein?

Claudia Reitter

Claudia Reitter, gelernte Buchhändlerin, nach Stationen in verschiedenen Verlagen ab 1986 bei Gräfe und Unzer, dort zuletzt als Geschäftsführerin Vertrieb und Kundenservice/Marketing. Seit April 2002 Geschäftsführerin Vertrieb und Marketing bei der Verlagsgruppe Random House.

Im BuchMarkt-Heft Juni berichteten wir unter dem Titel „Das dritte Programm“ (S. 34 ff.), wie Random House auf neue Angebots- und Erscheinungsrhythmen umstellen will und was der Handel davon hat. Heute dazu ein ausführliches Gespräch mit Claudia Reitter dazu.

BECKMANN: Glauben Sie wirklich, dass der Buchhandel durch ein neues Angebots- und Auslieferungsmodell seine Umsätze steigern kann?
REITTER: Ja, davon bin ich fest überzeugt.

BECKMANN: Haben Sie auch eine Vorstellung, wie hoch die mögliche Umsatzsteigerung sein könnte?
REITTER: Nach gründlichen Analysen und Auswertungen aller vorliegenden Erhebungen und neuesten Statistiken sowie diversen Umfragen halte ich im Buchhandel eine Umsatzsteigerung von Jahr um Jahr zwischen zwei und drei Prozent für möglich.

BECKMANN: Das ist eine ganze Menge, das wiederum würde auch die Renditen des Sortiments um einiges verbessern und ein Stück zur seiner Existenzsicherung beitragen. Aber; Ihre Prognose widerspricht doch einer Grundannahme unserer Branche – dass nämlich der Markt für Bücher ein gesättigter Markt ist, in dem kein signifikantes Wachstum mehr möglich sei.
REITTER: Das wird immer wieder behauptet, ist im einzelnen, konkret jedoch nie hinterfragt worden und hat meines Erachtens zu einer gewissen Resignation geführt. Vielleicht ist es auch Folge eines generell grassierenden Defätismus. Jedenfalls hat man es sich damit auch bequem und zu leicht gemacht.

BECKMANN: So gesehen, machen Sie dem Buchhandel den Vorwurf, die Möglichkeiten des Marktes nicht hinreichend ausgeschöpft zu haben. Woran hat der Buchhandel es denn fehlen lassen? Was soll er denn falsch gemacht haben?
REITTER: Nein, dem Buchhandel mache ich keinen Vorwurf. Allerdings sehe ich auch Chancen, an denen bisher vorbeigegangen worden ist, darauf möchte ich später gern zurückkommen . Ich glaube, wir haben einen Punkt erreicht, da ein bestimmtes System geändert werden muss. Die Änderung dieses Systems kann nur von den Verlagen ausgehen.

BECKMANN: Und diese Initiative soll darin bestehen, dass Sie statt wie bisher zwei nun drei Vertreterreisen durchführen und Ihre Novitäten künftig nicht mehr in zwei, sondern in drei Vorschauen ankündigen? Das scheint doch aber…
REITTER: Halt! Das ist doch nur ein Moment, ein sozusagen fast letztes Glied einer langen Kette von Überlegungen und Maßnahmen, und man sollte ein Pferd bekanntlich nicht vom Schwanz aufzäumen! Der Ansatzpunkt ist ein anderer, ein grundsätzlicher…

BECKMANN: Und der wäre?
REITTER: Fangen wir mal, um es anschaulicher zu machen, mit einem kleinen Vergleich in der Branche selbst an. Die wissenschaftlichen und Fachverlage liefern ihre Novitäten und Neuauflagen laufend, das ganze Jahr über aus. Die Taschenbuchverlage haben einen 12-Monate-Zyklus, unsere ausländischen Hardcover-Kollegen – in Frankreich, Großbritannien, in den USA – ebenso. Das heißt: Wir deutschen Hardcover-Publikumsverlage bilden hier zum Großteil auf weiter Flur eine einsame Ausnahme. Allein das müsste uns zu denken geben.

BECKMANN: Eine Sache muss doch nicht schlecht sein, nur weil die Leute anderswo es anders machen.
REITTER: Okay. Aber ein Sonderweg muss auch nicht schon richtig sein, nur weil er ein Sonderweg ist, mit dem wir in der Vergangenheit lange gut gefahren sind. Die Zeiten haben sich geändert. Unsere bisherige Praxis, die Novitäten regulär bloß in sechs bis sieben Monaten des Jahres – von Mitte Februar bis Ende April, von Mitte Juli bis Ende Oktober – auszuliefern – ist ein alter Zopf. Sie ist nicht mehr zeitgemäß. Wir hinken der Zeit hinterher. Zum Nachteil für das Buch. Zum Schaden aller.

BECKMANN: Das ist starker Tobak. Könnten Sie das bitte näher ausführen und begründen?
REITTER: Wir haben das Thema im Kreis von Verlegern, Programmleitern, Lektoren, Vertretern und Sortimentern lange diskutiert. Und die sagen: Es ist heute nicht mehr so wie früher, in unserer Informations- und Konsumgesellschaft kann man das Buch nicht mehr für sich betrachten, es hat von vielen Seiten Konkurrenz, vor allem hat es sich gegenüber und unter Medien zu behaupten, die schneller sind.

BECKMANN: Es ist aber nach wie vor ein öffentliches Leitmedium und noch immer ein besonders gründliches, substanzielles, praktikables…
REITTER: Gott sei Dank. Doch die Zeiten, da es aus sich heraus oder nur durch Werbung breite Aufmerksamkeit zu erzeugen vermochte, sind vorbei. Ausnahmen bestätigen allenfalls die Regel.

Man mag diese Entwicklung bedauern, doch so ist es nun einmal: Ein Buch mag noch so wichtig sein – wenn es zu spät erscheint, wenn es herauskommt nachdem Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk, Fernsehen und Internetportale ausführlich berichtet haben, dann wird es nur mehr einen Bruchteil der erhofften öffentlichen Wirkung erzielen, da wird es viel weniger Kauf- und Leseinteresse finden, als es verdiente. Das ist übrigens nicht bloß eine Frage von Verlags- und Buchhandelsumsätzen. Hier geht es auch um Kultur und Bildung, also um gesellschaftliche Verantwortung.

BECKMANN: Große Worte…
REITTER: Wegen der Breite, der viele Perspektiven umfassenden Komplexität und der Tiefe seiner Darstellung ist das Buch als Informations- und Wissensmedium unersetzbar. Als Unterhaltungsmedium übrigens genauso. Kinder- und Jugendbücher sowieso: Wie sollte ohne sie die schöpferische Fantasie der Kleinen sich heute entwickeln können? Durch was sonst sollten sie die Lese- und Schreib-Fähigkeiten erwerben, die sogenannte „functional literacy“, welche sie zum Existenzaufbau und zur Lebensbewältigung in der technologischen Welt mehr denn je brauchen? Darum ist es ja auch so wichtig, dass es in jedem Ort mindestens eine Buchhandlung gibt. Darum müssen wir in den Verlagen auch alles Notwendige tun, damit Bücher „aktuell“, damit sie medial und öffentlich vermehrt relevant sind.

BECKMANN: Und deshalb lassen Programme sich heute nicht mehr über zwei, drei, vier oder gar fünf Jahre weithin im Voraus planen, die Programmplanung muss flexibler, spontaner, schneller sein, einerseits. Andererseits: Bücher dürfen auch nicht mehr, sagen wir, von November bis Februar, oder von Mai bis Ende Juli in den Verlagen „liegen bleiben“, weil es für den ersten fixen Auslieferungsblock nicht rechtzeitig fertiggestellt werden konnte und nun aus Vertriebsgründen bis zum nächsten Auslieferungsblock warten muss. Der Vertrieb muss sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Sonst ist ein Buch sozusagen bei Erscheinen „tot“.
REITTER: Richtig. Das ist das eine. Es gibt aber auch andere Gesichtspunkte. In vielen Gesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen unserer Presseabteilungen haben wir gelernt: Im Vergleich zu vor zehn Jahren ist – durch das Internet – die Schnelligkeit der Medien und die Information weiter Kreise der Öffentlichkeit so sehr gestiegen, dass selbst scheinbar entlegenste Ereignisse, Stoffe und Themen auch bei uns im Handumdrehen „ankommen“ – da müssen Publikationstermine dann oft rasch vorgezogen werden, um die Titel medial begleiten zu können. Wenn wir vom Vertrieb auf unserem alten Auslieferungsschema beharrten, würden wir quasi von vornherein eine optimale breite Pressearbeit hintertreiben, ohne welche heute aber in der Regel nichts mehr geht. Von daher sind wir erneut unter Druck geraten, unsere Auslieferungstraditionen auf den Prüfstand zu stellen. Wir mussten wiederum einsehen: Wir müssen für einen durchgehenden, laufenden Publikations-Flow sorgen.

BECKMANN: Alles andere hätte vertrieblich auf Dauer sozusagen Selbstmord bedeutet?
REITTER: Wenn Sie so wollen. Aber aus noch einem anderen Grund. Die Kollegen haben uns auch auf Folgendes hingewiesen: In den bisherigen sechs Auslieferungsmonaten häufen sich, drängen sich unsere Spitzentitel und Bücher, die von der Presse besonders gewichtet werden. Das hat drei Konsequenzen: In diesen Perioden sind unsere Presseabteilungen heillos überfordert, da fehlt es schon an personellen Ressourcen, um jedem Titel die verdiente und eigentlich notwendige Aufmerksamkeit zu widmen. Nicht minder fatal ist das zweite: Die Journalisten und Medienleute – und deren Redaktionen sind übrigens mittlerweile wirklich nicht überbesetzt – können die Fülle des in diesen wenigen Monaten eingehenden Angebots von Titeln unmöglich gründlich sichten, lesen, medial auswerten und bearbeiten.

Schließlich: Für das alles ist in den ohnehin schmaler gewordenen Feuilletons, auf den Literatur- und Sachbuchseiten von Zeitungen und Zeitschriften gar kein Platz, sowie in den ungemein einflussreichen TV-Magazinen, -Talkshows längst nicht ausreichend Zeit.

BECKMANN: Und dadurch finden, alles in allem, viele Titel nicht die Beachtung, die eigentlich möglich, notwendig, sinnvoll und aus Sicht von Autoren, Verlegern, Buchhändlern wie Lesern wünschenswert wäre….
REITTER: Genau. Und nur wenige Wochen nach Auslieferung kommen den Journalisten dann die meisten „liegen gebliebenen“ Titel schon vor wie alte Hüte, die sich keiner mehr aufsetzen will. Sie stehen ja auch unter unglaublichem Druck, immer aktuell, immer der erste sein zu müssen, der eine Sache hoch hält oder in die Diskussionsmanege wirft. Auch von daher kommen wir Verlage um eine Entzerrung der bisherigen Auslieferung einfach nicht mehr herum.

BECKMANN: Andere Verlage haben sich mokiert, weil Random House – so sagt man – nun so tut, als habe es hier ein Rad neu erfunden. Dabei habe solche Entzerrung doch längst rundum stattgefunden…
REITTER: Hat sie ja auch in gewissem Rahmen. Es reicht jedoch nicht, hier und da, ab und zu – wie Pascal Merciers Roman „Lea“ im Mai oder „Die Kathedrale des Meeres“ von Falcones am 27. Dezember – Titel in Einzelaktionen in den Markt zu bringen. Nach meiner Auffassung bedarf es nun jedoch einer systematischen Neugestaltung, einer von allen Seiten durchdachten, regulären Veränderung.

BECKMANN: Schön. Das wirkt überzeugend. Aber wird der Buchkäufer – und Leser sich darauf einlassen? Nach bisher geltender Verlagslehre werden Bücher vor allem gegen Weihnachten und, weniger ausgeprägt, um Ostern gekauft – was für die traditionellen deutschen Auslieferungsblöcke spricht. Dagegen haben etwa die Monate Februar, Mai, Juni, Juli und August, zumindest fürs Hardcover, immer als schwache Verkaufsperioden gegolten.
REITTER: Untersuchungen der GfK zeigen überdeutlich, dass es, in der Tat, einen herausragend starken Umsatzmonat gibt: den Dezember. Doch in allen übrigen Monaten liegt der Bücherkauf laut GfK ziemlich gleich. Diese neue Erkenntnis hat uns in unseren Überlegungen gestärkt.

BECKMANN: In manchen anderen Verlagen zeigt man sich hinsichtlich der GfK-Studien erstaunt und meint, dass die Kundenfrequenz der Buchhandlungen in den verschiedenen Monaten doch recht unterschiedlich ist.
REITTER: Das ist auch richtig, das gilt auch für die Anzahl der Käufer. Was laut GfK relativ gleichbleibt, sind die Umsätze, was heißt, dass in den Monaten mit schwachen Besuchszahlen weniger, also wohl regelmäßige Kunden, mehr und/oder teurere Bücher kaufen. Und wenn die Kundenfrequenz dann schwächer ausfällt, dürfte es vielleicht auch folgende Ursachen haben: Erstens: In solchen Monaten sind bis dato eben wesentlich weniger oder keine HC-Novitäten neu erschienen. Zweitens: Dementsprechend gab es auch vergleichsweise wenig neue starke Kauf- und Leseanstöße durch die Medien. Und weil Vielleser wissen, dass sie doch nur immer wieder auf schon bekannte Titel stoßen, wird ihre Neugier kaum hinreichend befriedigt, so dass sie deshalb dann vielleicht sogar seltener in die Buchhandlung kommen.

BECKMANN: Es ist aber doch…
REITTER: Da hilft es allgemein auch nicht viel, wenn zwischen den Auslieferungsblöcken sporadisch, gelegentlich, mal wieder ein großer Hardcover-Titel neu auf dem Tisch liegt. Es kommt darauf an, dass hier etwas institutionalisiert wird. So schön und so erfolgreich vereinzelte Marketing-Aktivitäten sein mögen: In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass ein auch medial unterstütztes neues Buchangebot zur festen Regel wird., welches bei den Kunden gewohnheitsbildend wirkt. Damit die Kunden öfter in die Buchhandlungen kommen und suchen, weil sie sich darauf verlassen können: „Da wird es Neues geben, was mich interessieren könnte.“ Und indem Verlage das möglich machen, helfen sie Buchhandlungen in maßgeblicher Weise, für Kunden noch attraktiver zu werden und ihre Kunden an sich zu binden

BECKMANN: Das klingt ja recht schön und gut. Aber wenn, wie Sie eingangs bemerkten, Verlage eher leidend resignieren als sich zu einer notwendigen neuen Marschroute zu bequemen, so darf man doch vielleicht auch von Sortimentern sagen, dass sie sich lieber an die vertrauten Muster der Vergangenheit halten als sich in unvertrautes Neuland wagen.
REITTER: Gelingen kann eine Veränderung der Rhythmen durch die Verlage natürlich nur, wenn der Buchhandel dabei mitmacht. Wenn wir ihn zu überzeugen vermögen, dass das ganz und gar auch in seinem eigenen Interesse ist. Ich vertraue darauf, dass er den Sinn und Nutzen solcher Veränderung versteht.

BECKMANN: Hoffen wir, dass Ihnen die Mehrheit der deutschen Verlage und Sortimenter folgt und sich grundsätzlich von der Notwendigkeit des systematischen Publikationsrhythmus über zwölf Monate überzeugen lässt. Da wäre ich allerdings optimistisch. Fraglich erscheint mir das aber für Details Ihrer Pläne, auf das ich Sie schon zu Beginn ansprach. Warum sollen im Rahmen der ganzen Neuerung auch drei Vertreterreisen und drei Vorschauen erforderlich
sein?
REITTER: Wir wären glücklich, wenn wir einen Weg gefunden hätten, um sie uns sparen zu können. Sie kosten uns immerhin zusätzlich Geld.

BECKMANN: Da wird die irrwitzig aufwändige Praxis der Print-Vorschauen nun schon seit längerem, Saison für Saison, an den Pranger gestellt, immer lauter, sie ist technologisch völlig überholt, es gibt mittlerweile schließlich das Internet, und jetzt steigern Sie diesen Geld verschlingenden Unfug noch…
REITTER: Wir stellen die Novitäten-Ankündigungen unserer Verlage ja schon seit mehreren Jahren ins Internet. Es ist aber noch nicht so weit, dass es mit der Online-Information getan ist. Allzu viele Sortimenter haben diese Möglichkeit noch nicht angenommen, sie brauchen die Print-Vorschauen noch.

BECKMANN: Aber wieso nun auch noch drei?
REITTER Das müssen Sie in dem Gesamtzusammenhang sehen, den wir erörtert haben. Deshalb hätte es ja auch keinen Sinn gehabt, wenn ich auf Ihre Frage gleich am Anfang eingegangen wäre. Also, noch einmal: Ziel unseres Novitäten-Angebots über zwölf Monate ist doch, dass die richtigen Bücher zur richtigen Zeit erscheinen, mit der dann richtigen Werbung sowie, ganz wichtig, dass die Bücher eine starke aktuelle Beachtung in den Medien finden und die interessierten Kunden in die Buchhandlungen bringen. Einverstanden? Über diesen, wie soll ich sagen? Nennen wir es mal so – über diese „Schienen-Netzwerke“ der Titel müssen die Sortimenter allerdings auch vorab informiert werden, das ist für ihren Einkauf und ihren Verkauf entscheidend, dazu brauchen sie eben auch die richtigen, die aktuell gültigen „Fahrpläne“. Die An- und Abfahrzeiten, die „Stoßzeiten“ der Parallel-, der Neben- und Zubringerlinien, werden freilich weitgehend „extern“ bestimmt, die Verknüpfungen im Netzwerk herzustellen, für jeden Titel sind es andere, das ist eine komplexe Angelegenheit, dazu braucht es viel Vorarbeit und die kostet Zeit….

BECKMANN: Lassen Sie uns von Ihren Metaphern des Bahnverkehrs bitte wieder zu den Büchern und den Vorschauen kommen.
REITTER: Gut. Also, damit haben wir schon beim jetzigen Auslieferungssystem ein Problem. Ein konkretes Beispiel: Da mussten für das Herbstprogramm möglichst viele relevante, verwertbare Titelinformationen bis Ende März vorliegen, oder, noch ärger, bis Anfang November für das Frühjahr. Und da der Vertrieb genau weiß, wie wichtig die Medien für einen Bucherfolg sind, deshalb laufen wir händeringend zu den Kollegen der Presseabteilung und fragen: „Was können wir den Buchhändlern zur Medienunterstützung der Titel mitteilen?“

Und unsere Presseleute schauen uns entsetzt, oder auch mitleidig an und erwidern: „Was soll das? Seid ihr verrückt? Für die Titel, die im Oktober (oder Anfang April) erscheinen sollen, kriegen wir morgen erst die Umbrüche, wir konnten ja mit unserer Arbeit überhaupt noch nicht anfangen, die Journalisten müssen die Sachen ja auch noch erst mal lesen, um sich ein Urteil bilden und planen zu können. Glauben Sie vielleicht , außerdem, die wüssten schon jetzt, was für sie in sieben Monaten so aktuell und wichtig sein wird, dass sie uns sagen könnten, was sie im Oktober (oder April) an die große Glocke hängen werden?“ Darum sind ja die Vorschauen schon jetzt in vielen Dingen vage, ungenau oder sogar irreführend, im Zuviel oder im Zuwenig. Über solchen Mangel an Verlässlichkeit ärgern Sortimenter sich schon seit langem, das würde mit im 12-Monatsrhythmus mit zwei Vorschauen noch schlimmer, da würden die zeitlichen Informationsrückstände ja noch größer. Es würde den ganzen Sinn des neuen Ansatzes konterkarieren. Also: Solange es online allgemein nicht geht, solange wir auf Print-Vorschauen angewiesen sind, kommen wir, kommen die Sortimenter mit nur zwei Vorschauen einfach nicht hin. Da haben wir keinen besseren Weg gefunden, als von jetzt an mit drei Vorschauen zu arbeiten.

BECKMANN: Nun gut. Aber dazu auch noch drei Vertreterreisen? Das halten etliche Verlagskollegen nun wirklich für so unnötig und überflüssig wie einen Kropf. Es gibt auch Kritik, weil das alles angeblich nur Wünschen von Großfilialisten und -buchhandlungen entgegenkäme?
REITTER: Dem muss ich widersprechen. Ganz im Gegenteil…

BECKMANN: Da bin ich jetzt aber gespannt, und sehr, sehr neugierig.
REITTER: Also, das bisherige deutsche Zweier-Modell der Vertreterreisen ist schon seit Langem ein Problem, vor allem für mittlere und kleine Buchhandlungen, die ja erst ab Mitte oder sogar erst gegen Ende der Reise besucht werden – wenn viele wichtige neue Titel der Saison bereits veröffentlicht sind. Damit sind sie doch von jeher benachteiligt worden, und mit der schon skizzierten neuen gesamtmedialen Situation, der neuen Aktualität von Büchern würde ihre Benachteiligung bei zwei Vertreterreisen zusehends schlimmere Auswirkungen haben. Bedenken Sie doch: Da sind wichtige Bücher schon erschienen, die Werbung läuft, in der Presse und in den Medien wird getrommelt, ihr Trommeln hat Wirkung – und in dieser ersten Hoch-Zeit eines Publikumsinteresses sind in diesen Buchhandlungen die betreffenden Bücher noch nicht da, so gehen an ihnen wichtige mediale Kaufanstöße vorbei, sie verlieren möglichen Umsatz – da könnten sie den Verlagen doch fast den Vorwurf machen, sie würden benachteiligt….

BECKMANN: Außerdem könnte es bei ihrer Stammkundschaft den Eindruck erwecken, sie seien nicht informiert, nicht à jour, unprofessionell?
REITTER: Genau. Dieses Zweiermodell macht uns schon seit langem Kopfzerbrechen. Es ist unzulänglich. Und angesichts der zunehmenden Bedrängnis des unabhängigen Buchhandels durch die Expansion der Großfilialisten und Ketten wird es höchste Zeit, hier für Änderung zu sorgen. Wir halten die mittleren und kleineren Sortimente für unersetzbar. Wir glauben an sie. Dann müssen wir sie aber auch nach Kräften fördern und unterstützen.

BECKMANN: Auch hier wieder: Das tönt schön und gut. Aber ich sehe noch nicht so recht, wie Ihr Modell von drei Vertreterreisen ihnen da konkret Hilfe bringen soll?
REITTER: Ganz einfach: Im Rahmen des neuen Modells werden die Novitäten erst erscheinen, wenn alle Buchhandlungen besucht worden sind. Das gilt übrigens auch nicht nur für Novitäten. Das betrifft auch Aktionen für Backlist-Titel, die auf Grund eines öffentlich besondere Aktualität gewinnenden Themas in einem interessanten Themenfeld neu zusammen gestellt werden können.

BECKMANN: Ist das nicht wieder eher für die „Großen“ von Interesse?
REITTER: So wird es vielleicht gemeinhin gesehen. Und wieder ist das Gegenteil der Fall. Denn „die Großen“, die sogenannt modernen „Flaggschiffe“ präsentieren und verkaufen eher in der Breite. Nach unseren Erfahrungen sind es gerade die unabhängigen Sortimenter, die mutig und aktuell Schwerpunkte setzen und den Verkauf von Novitäten eigentlich erst in Gang setzen. Sie sind uns wichtig, darum wollen wir sie rechtzeitig un umfassend informieren.

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