Das Sonntagsgespräch Dr. Edgar Piel: Welches Ansehen hat die Berufsgruppe Buchhändler?

Edgar Piel

Dr. Edgar Piel wurde 1946 in Köln geboren. Er studierte Philosophie und Germanistik und ist seit 1980 Sozialforscher am Institut für Demoskopie Allensbach, Leiter der Presseabteilung. Er hat zu gesellschaftlichen und politischen Themen zahlreiche Titel veröffentlicht und daneben Bücher, Aufsätze, Vorträge zur modernen Literatur (vor allem zu Elias Canetti) und zahlreiche Hörspiele verfasst.

Gerhard Beckmann: Das Institut für Demoskopie Allensbach hat jüngst eine Umfrage durchgeführt, um festzustellen, welches Ansehen gewisse Berufe in der deutschen Bevölkerung genießen. Für diese Umfrage sind Sie verantwortlich. Wie gehen Sie dabei vor? Mit welchen Fragen?

Dr. Edgar Piel: Bei unserer Umfrage zum Berufsprestige handelt es sich um eine Langzeitstudie. Die Frage, die das Institut für Demoskopie Allensbach seit 1966 in einem Mehrjahresrhythmus an die Bevölkerung richtet, lautet: „Hier sind einige Berufe aufgeschrieben. Könnten Sie bitte die fünf davon heraussuchen, die Sie am meisten schätzen, vor denen Sie am meisten Achtung haben?“ Den Befragten wird dabei eine Liste mit siebzehn Berufen vom Arzt über den Pfarrer, den Rechtsanwalt, den Ingenieur, den Politiker, den Studienrat bis zum Gewerkschaftsführer vorgelegt. Natürlich lässt sich mit einer solchen Liste nicht das gesamte und vielfältige Spektrum heutiger Berufstätigkeit in den Blick bringen. Und das Forschungsinstrument verlangt, dass wir die Liste nicht beliebig mit unterschiedlichen Berufen variieren können. Sobald wir neue Berufe auf die Liste setzen, werden die Langzeitbeobachtungen von Trends unmöglich. Es ist ungefähr so wie bei physikalischen Messinstrumenten. Wenn man das Instrument verändert, werden die Daten früherer Messungen unvergleichbar.

Als Umfrageforscher betrachten wir die kleine Liste mit Berufen als Indikatorinstrument so wie ein Arzt ein Fieberthermometer benutzt, mit dem er regelmäßig die Körpertemperatur misst. Es werden mit der Liste einige wichtige soziale Bereiche abgedeckt, und wir beobachten Veränderungen. Vom Atomphysiker z.B. sprachen 1972 40 Prozent der Westdeutschen besonders respektvoll, 1995 nur noch 19 Prozent. Hier läßt sich ein Einstellungswandel gegenüber der Kernenergie verfolgen. Inzwischen ist der Atomphysiker wieder bei 25 Prozent im Westen hoch angesehen.

Vor welchen Berufen hat die deutsche Bevölkerung heute am meisten Achtung?

Seit 1966 zeigen die Umfragen, dass der Arztberuf immer wieder die größte Prozentzahl auf sich vereinigt, dass viele Menschen (zur Zeit: 78 Prozent) diesem Beruf besondere Achtung entgegenbringen. Den ärztlichen Berufsstand umgibt eine besondere Aura, die mit der Einstellung des Menschen zu Leben und Tod, mit den Sorgen und Hoffnungen der Menschen um ihre eigene Gesundheit zu tun hat. Trotzdem ist der Glanz dieses Berufes in manchen Phasen auch matt geworden. Gründe dafür dürften die Auseinandersetzungen innerhalb des Gesundheitssystems in Deutschland, Abrechnungsskandale und Ärzteschelte wegen Kunstfehlern und Fehlbehandlungen sein. 1966 zählten 84 Prozent der Westdeutschen den Arztberuf zu den fünf Berufen, vor denen sie am meisten Achtung haben. 2003 gaben das noch 70 Prozent zu Protokoll.

Allensbach macht diese Umfragen in Abständen von zwei bis vier Jahren schon seit 1966. Hat es während dieses Zeitraums starke Veränderungen in positiver Richtung gegeben?

Eine deutlich positive Veränderung gab es im Blick auf den Grundschullehrer. Anfang der 90er Jahre zählten ihn nur rund 20 Prozent zu den fünf auf der Liste genannten Prestigeberufen. Inzwischen tun dies 33 Prozent. Das dürfte wohl damit zu tun habe, dass viele Menschen seit PISA erkannt haben, dass für Lernfähigkeit und Bildung schon sehr früh die Weichen gestellt werden, dass die Grundschullehrer dort, wo es das Elternhaus nicht leistet, wichtige Weichensteller sind.

Ist das nicht irgendwie merkwürdig? Wer die Berichte, Debatten und Diskussionen in den Medien verfolgt, müsste doch den Eindruck gewinnen, dass in der Bevölkerung gerade eine besonders große Sorge, Unzufriedenheit und Verunsicherung hinsichtlich der medizinischen Versorgung, der Hochschulbildung und dem Volksschulwesen herrscht. Ich erinnere da nur an den spektakulären Bestseller-Erfolg des „Lehrer-Hasser“-Buchs in jüngster Zeit. Und die Bindung an die Kirchen, der Kirchenbesuch hat ja stark abgenommen. Haben Sie für solche Divergenzen eine Erklärung?

Die Kritik an den Gesundheitssystemen und die Sorge darüber sind in der Tat groß. Das erfahren wir aber nicht über unsere Umfrage zum Berufsansehen, sondern über spezielle, sehr viel dezidiertere Untersuchungen in diesem Bereich. In diesen Untersuchungen wird allerdings jedes Mal sehr deutlich, dass die Menschen nicht den Ärzten die Schuld geben an den Mißständen. Die Mehrheit hat – zumal in den Krankenhäusern – die Erfahrung gemacht, dass Ärzte und Pflegepersonal sehr bemüht sind, sehr viel Einsatz zeigen, dass das Problem vor allem im Personalmangel liegt. Was das Stichwort „Lehrer-Hasser“ angeht, so wird in dem entsprechenden Buch ein Unterschied gemacht zwischen „Grundschullehrern“ und anderen Lehrern. Den sehen wir auch in der Einstellung der Bevölkerung. Das Image des Grundschullehrers hat sich – wie schon gesagt – in den letzten Jahren großartig entwickelt, das Image des Studienrates war Mitte der 60er Jahre sehr viel besser (28 Prozent) als es seit den 90er Jahren bis heute (14 Prozent) ist. Das Image des Hochschulprofessors hat sich im Vergleich zur letzten Umfrage von 2003 um vier Prozentpunkte verbessert. 34 Prozent der Bevölkerung haben vor diesem Berufsstand zur Zeit besondere Hochachtung.

Was das Ansehen der Pfarrer angeht, die mit 39 Prozent an zweiter Stelle – allerdings weit hinter dem Arztberuf – auf unserer Berufsprestigeskala stehen, so gibt es natürlich einen Zusammenhang zur Entwicklung religiöser Gläubigkeit. In Ostdeutschland, wo der christliche Glaube nur noch für eine Minderheit eine Rolle spielt, haben nur 24 Prozent besondere Hochachtung für den Beruf des Geistlichen, in Westdeutschland dagegen 42 Prozent. Dabei scheint eine positive Einstellung zur Kirche oder der Besuch der Gottesdienste (beides erodiert ja seit langem auch im Westen) nicht ausschlaggebend zu sein. Wichtig ist wohl der allgemeine innere Respekt für das Religiöse und Seelsorgerische. Dieses Interesse und dieser Respekt für das Religiöse sind im Westen trotz größerer Entfernung zur Kirche in der Breite gar nicht abhanden gekommen. Die Haltungen sind heute weiter vorhanden, sind aber weniger dogmatisch oder kirchlich bezogen, sondern vielfach ein bisschen esoterisch eingefärbt.

Gibt es Berufe, welche die deutsche Bevölkerung heute signifikant weniger achtet und schätzt als in früheren Zeiten?

Der Beruf des Politikers ist durch einen fortwährenden Prestigeverlust gekennzeichnet. Das Ansehen der Politiker als Berufsgruppe ist in Deutschland niemals sehr groß gewesen. Einen Höhepunkt des allgemeinen Berufsansehens für Politiker gab es immerhin Anfang der 70er Jahre. Damals bekundeten 27 Prozent der Westdeutschen ihren besonderen Respekt vor dem Politikerberuf. Zur Zeit tun dies nur noch 6 Prozent in Westdeutschland und 7 Prozent in Ostdeutschland. Sicherlich hat dieser Prestigeverlust weniger mit der Qualität des einzelnen Politikers zu tun, denn die einzelnen prominenten Namen bekommen ja – wie früher auch – sehr unterschiedliche gute oder weniger gute Noten für ihre Arbeit und ihr Auftreten. Aber die ganze Landschaft des politischen Agierens hat sich durch die Medien geändert. Erfolgreich argumentiert wird heute weniger im Parlament als in Talkshows. Und dort werden Politiker um der Show willen doch sehr gern als Kampfhähne vorgeführt. Das macht zwar den Fernsehabend vielleicht spannend, aber – um es deutlich zu sagen – es versaut das generelle Image. Zumal wenn die Politiker ein und derselben Partei ständig im Streit erlebt werden, senkt das auf gut messbare Weise die Wahlbereitschaft ihrer potentiellen Wähler.

Zu den siebzehn Berufen der Allensbacher Berufsprestige-Skala gehört seit Anfang an auch der des Buchhändlers. Er ist bei der jüngsten Umfrage um zwei Punkte abgesackt und steht hier nun sogar an letzter Stelle. Hat er im Verlauf der vergangenen vierzig Jahre wirklich stark an Achtung verloren?

Dass ein Berufsstand am Ende der Liste steht, heißt nicht, dass die Bevölkerung schlecht über ihn denkt. Das Messinstrument, die Frage, die gestellt wurde, sammelt ja nur besondere Hochachtungsbekundungen ein. Negativ interpretieren läßt sich eigentlich nur, wenn Zahlen fortwährend schlechter werden, denn die negative Kategorie ist in der Fragestellung ausgespart. Dementsprechend deuten die Zahlen für den Buchhändlerberuf nicht auf ein schlechtes Image. Man muss es eher so sehen: Der Beruf des Buchhändlers steht und stand immer schon mehr als die anderen Berufe von der vorgelegten Liste im Windschatten zeitgeistiger Entwicklungen. Als wir die Berufsprestigefrage 1966 zum ersten Mal stellten, bekundeten 6 Prozent der Westdeutschen ihre besondere Hochachtung für diesen Beruf, jetzt tun dies 5 Prozent. Damals hatte die niedrige Prozentzahl damit zu tun, dass die Mehrheit der Bevölkerung so gut wie keine Beziehung zum Buch hatte. Zahlen aus den 50er Jahren zeigen: 35 Prozent der Bevölkerung hatten kein einziges Buch im Haushalt, kein eigenes und kein geliehenes. 11 Prozent verfügten über einen Buchbestand von weniger als zehn Büchern. Diese Bücherferne hat natürlich dafür gesorgt, dass sich die meisten gar kein Urteil über den Beruf des Buchhändlers erlauben konnten. Eine solche Bücherarmut in den Haushalten ist heute zum Glück eher selten, dafür aber sorgen jetzt die Veränderungen in der Buchhandelslandschaft dafür, dass der konkrete Kontakt mit dem Buchhändler selten bleibt: Internethandel, bei denen kein Buchhändler in Erscheinung tritt, Handelsketten, bei denen man sich möglichst beratungsfrei von den aufgestapelten Bestsellern selbst bedienen kann.

Sie führen Ihre Erhebung ja bei Menschen ab dem Alter von 16 Jahren durch. Lässt Ihre Umfrage erkennen, ob der Beruf des Buchhändlers vor allem in der jüngeren Generation heute weniger geachtet wird, die angeblich ja auch weniger liest?

Man sieht eine kleine Differenz zwischen Männern und Frauen. Frauen kaufen und lesen ja sehr viel mehr Bücher als Männer. Frauen bekunden dementsprechend in unserer Umfrage zu 7 Prozent hohen Respekt vor dem Beruf des Buchhändlers, Männer nur zu 3 Prozent. Man sieht daran: es gibt einen kleinen Zusammenhang zwischen Büchernähe und Berufsrespekt gegenüber dem Buchhändler. Aber ich denke, Ihre Frage nach dem Lesen der jüngeren Generation, die Frage nach der Zukunft des Buches (und natürlich auch von Zeitungen und Zeitschriften) im Zeitalter von Computerspielen und Internet, lässt sich anhand unserer Berufsprestige-Untersuchung nicht klären. Dazu gehört ein sehr viel größerer Untersuchungsrahmen.

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