Beckmann kommtiert Achtung: Die dritte Stufe und Phase der Filialisierung hat begonnen

Vor einigen Wochen beschloss ein leitender Lektor Autorengespräche in Frankfurt am Main gegen Abend mit einem Besuch von Buchhandlungen. Am Eingang der Hugendubel-Filiale traf er, zufällig, auf die Vertreterin seines Hauses. Sie lud ihn zur Teilnahme an einem Abschiedsessen mit sieben oder acht Sortimentern der Filiale ein.

Auf die überraschende Einladung der überaus geschätzten, tüchtigen Kollegin vom Außendienst reagierte er mit Entsetzen. „Ich wusste gar nicht, dass Sie aufhören wollen. Das ist ja furchtbar!“ stieß er hervor.

„Aber nein“, erwiderte sie, „ich höre doch gar nicht mit der Arbeit für unseren Verlag auf. Heute war nur mein letzter Besuch dieser Filiale. Das Ordern besorgt hier künftig die Zentrale. Wir wollen das Ende unserer Zusammenarbeit wenigstens mit einem gemeinsamen persönlichen Abendessen ausklingen lassen.“

Die Begebenheit ereignete sich, kurz nachdem Buchhändler in München sich zum Protest gegen eben die gleiche Maßnahme des Filialisten in der Initiative pro Buch zusammen gefunden hatten, um sich gegen eine Degradierung ihres Berufes zum bloßen „Verkäufer“ zu wehren. Die Zukunft von Buchhandel und angestelltem Sortimenter wurde dann thematisiert auf einer öffentlichen Podiumsdiskussion in der Schwabinger Seidl-Villa [mehr…]. Die Zahl der Gäste und das erstaunlich hohe allgemeine Interesse hat selbst für die Initiatoren von pro Buch-Veranstalter überrascht. Dort allerdings wandte sich insbesondere Hermann Arndt Riethmüller (Osiander) gegen das traditionelle Selbstverständnis des Sortimenters. Nicht die Einkaufskompetenz könne heute die Kernfunktion sein; seine Kernaufgabe sei vielmehr der richtige Umgang mit Kunden, das Verkaufen von Büchern.

Die Bündelung des Einkaufs ist Teil einer generellen Neuausrichtung, die schlussendlich alle Filialen unter ein Dachmarketing stellt. Weltbild will seine drei Vertriebskanäle – Versand, Filialen und Online-Handel – noch stärker vernetzen, unter einem gemeinsamen Logo nach außen einheitlich präsentieren und seine Stellung als Spitzenmarke im Einzelhandel ausbauen.

Und Ende vorvergangener Woche machte Michael Wetzel auf einer Präsentationskonferenz in Dortmund klar: Thalia arbeitet im Eiltempo daran, sämtliche Filialen unter einem Namen als eine Marke auftreten zu lassen [mehr…], um so auch seine Buchverkäufe mit einem landesweiten, sogar Österreich und die Schweiz einbeziehenden Marketing-Konzept zu steigern, das eine breite, massive Publikumswerbung in regionalen Tageszeitungen wie per Rundfunk inkludiert und mit Präsentations- und Werbe-Elementen in den Läden koordiniert.

Dass die Beschneidung der klassischen Sortimenterkompetenz Moment einer allumfassenden Strategie war, ist damals noch kaum jemand in den Sinn gekommen. Man sah diese Maßnahme noch als Schritt eines (internen) Rationalisierungsprozesses, der den Handelsgroßunternehmen gegenüber dem unabhängigen Buchhandel – neben der Chance zum Erreichen weiterer höherer Einkaufsrabatte – zusätzliche Gewinnvorteile bringt. Inzwischen müsste allen Marktteilnehmern und Beobachtern unmissverständlich klar werden: Die Filialisierung hat ein Dreistufen-Programm, das von Anfang an systematisch verfolgt wird.

In der – noch keineswegs abgeschlossenen – Phase Eins ging es darum, die Regionen bzw. möglichst das ganze Land mit einem dichten Ladennetz zu überziehen, damit Umsatzgröße zu erzielen und in jeder Hinsicht eine dominante Präsenz zu erreichen. In der – ebenfalls noch nicht völlig abgeschlossenen – zweiten Phase konzentrierte man sich vornehmlich darauf, das Backoffice zu einer erstklassigen Leistungsfähigkeit, die Expansion also mit einer adäquaten Logistik zu konsolidieren. Beides verlief mehr oder weniger branchenintern, wenngleich vor allem ältere Stammkundschaft das zunehmende Verschwinden etlicher Traditionssortimente beklagen mochte. Jetzt hat Phase III begonnen, in der gleichzeitig der erbitterte Wettbewerb unter den neuen Handelsgiganten öffentlich wird. Diese dritte Phase, die gewiss noch vor Ende dieses Jahres sehr manifest wird, steht im Zeichen des Marketing. Ihre Priorität: der massive Kampf um die Kunden.

Ob das insgesamt zum vermehrten Kauf von Büchern führen wird? Oder wird es auf eine neuerliche Umsatz-Umverteilung im Buchhandel hinauslaufen? Und was brächte so etwas den Verlagen?
Werden sie von den Handelsgiganten noch mehr zur Mitfinanzierung von deren Wachstum „eingeladen“? In Form noch höherer Rabatte? In Form von gesteigerten Werbekostenzuschüssen? Mit welchen Folgen für die Entwicklung und den Aufbau neuer Autoren und Themen?
Wie werden die Kunden reagieren, in deren vorgebliches Interesse das alles selbstverständlich geschieht?
Sie haben ja die Wahl. Doch was wird aus ihrer Freiheit der Wahl? Falls das, was ihnen unter professionell lauten Trommelwirbeln als Super-Angebot vorgesetzt wird, einen noch viel schmaleren Mainstream mit noch austauschbareren Titeln darstellt?
Das ist natürlich kein Kommentar. Es sind bloß Fragen. Fragen, die sich in einer Qual der Wahl vielleicht bald stellen könnten.

Gerhard Beckmann freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de

(Die vorige Kolumne finden Sie hier [mehr…]. Weitere Beiträge der Kolumne „Beckmann kommentiert“ im Archiv unter dem Stichwort: „beckkomm“.)

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