Beckmann kommtiert Ein großes Manko: Der deutsche Sachbuchpreis

Das Sachbuch im TB-Format hat vergangenes Jahr erneut an Umsatz verloren – um acht (!) Prozent, laut Branchenmagazin Buchreport. Es hatte schon vorher nur allerhöchstens dreißig Prozent Anteil am Taschenbuchmarkt. Es hapert mit seiner populären Verbreitung. Das ist eine beunruhigende Tendenz angesichts der PISA-Studien und einer allseits betonten Notwendigkeit, breiteren Bevölkerungsschichten Wissen zu vermitteln.

Fehlt es, schon im Hardcover, an entsprechenden Sachbuch-Programmen und Titeln? Scheint da ein Marketingversagen der Verlage auf? Ein Leistungsdefizit des Buchhandels? Eine Schwachstelle in der Vermittlungsfunktion von Journalisten und Medien?

In Österreich hat das Bundeswissenschaftsministerium unter Johannes Hahn (ÖVP) eine nachahmenswerte Initiative ergriffen, um dort solchem Misstand abzuhelfen und das Sachbuch aus seiner öffentlichen Verdunkelung durch die Belletristik ins Licht zu rücken.

In Gemeinschaft mit dem österreichischen Buchhandel, Büchereiverband und Verlag Buchkultur – er gibt unter gleichem Namen eine wichtige Buchzeitschrift heraus – sowie der österreichischen Wirtschaftskammer veranstaltet das Ministerium erstmals eine „Woche des Wissens und Forschens“. Vom 7. bis 12. April finden in Buchhandlungen und Bibliotheken landesweit Lesungen und Diskussionen mit österreichischen Wissenschaftlern statt, die Sachbücher veröffentlicht haben.

So etwas ist auch hier zu Lande wünschenswert. Denn es trifft ja auch auf uns zu, „dass das Sachlesen im Vergleich zu anderen Ländern einen geringen Stellenwert besitzt und dass Sachbücher ein Mauerblümchendasein führen“. (Johannes Hahn)

Lesungen und Diskussionen sind natürlich örtliche Veranstaltungen, über die außerdem bestenfalls von der Lokalpresse berichtet wird. Deshalb sollen sie um einen nationalen Medien-Event ergänzt werden, im Mittelpunkt steht die Kür des besten wissenschaftlichen Sachbuches, d.h. sozusagen der Österreichische Preis für das beste Sachbuch des Jahres 2007.

Wiederum: So etwas wäre auch in Deutschland vonnöten.

Haben wir denn so etwas nicht längst? Der (Literatur-) Preis der Leipziger Buchmesse wird ja nicht zuletzt in der Kategorie „Sachbuch und Essayistik“ verliehen.

Auch gut. Aber nicht so gut. Und es ist schon gar nicht dasselbe.

Das zeigt bereits ein Vergleich der Shortlist von hüben und drüben. Für Leipzig sind soeben die Nominierungen bekannt gegeben worden. Die Kandidaten sind Thomas Karlaufs Biographie über den Dichter Stefan George und Michael Maars Studie über „die böse Welt“ des exil-russischen Dichters und Schriftstellers Vladimir Nabokov; Irina Liebmanns Biographie über den Journalisten Rudolf Hernstadt; Jan Philipp Reemtsmas „Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne“; und Bernd Greiners „Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam“.

Alles mit einander herausragende Neuerscheinungen, ohne Frage. Aber: Zwei von ihnen behandeln ein Thema der modernen Literatur-, eine dritte der Mediengeschichte; eine gehört zur politischen Theoriebildung; die letzte stellt eine Studie zur Problematik moderner Kriegsführung dar. Und so bedeutsam jede sein mag: Repräsentieren sie etwa nicht Spezialschrifttum von eher beschränktem Publikumsinteresse und geringer Potenz zur Ausweitung von Bildung und Wissen? Mit dem, was das Besondere des modernen Sachbuchs ausmacht, haben sie jedenfalls wenig zu tun.

Mathematik und Naturwissenschaften, Medizin, Psychologie, Umwelt, Politik und Zeitgeschichte – klassische Sachbuchfelder, zentrale Wissensgebiete, in denen jüngst etliche wichtige und allgemeinverständliche Titel erschienen sind: Sie kommen in der Kür des Sachbuchpreises der Leipziger Messe überhaupt nicht vor.

Wie anders sieht da doch die Shortlist des erwähnten Österreichischen Sachbuchpreises aus. Sie ist zu besichtigen unter www.woche-des-wissens-und-forschens.at Ebendort wird auch die aus einem breiten Spektrum von relevanten Berufen und Aufgabengebieten gebildete Jury unter der Leitung einer führenden österreichischen Molekularbiologin genannt, welche diese Shortlist aufgestellt hat.

Die Leipziger Jury dagegen ist – mit Ausnahme Uwe Justus Wenzels von der Neuen Zürcher Zeitung – ein nahezu lupenreines Biotop von Feuilletonisten und Literatur-Redakteuren mit eher bescheidener Kenntnis und fragwürdigem Verständnis von Sachbüchern. Eben solche Jury wird dort auch den Preisträger küren. Und was – außer einer elitären Ehrung des Preisträgers und seiner Jury – wird die Preisverleihung bewirken?

In Österreich hingegen hält man sich an ein anderes Modell, das in England erprobt wurde: Dort ist die Bevölkerung aufgerufen, aus der Nominierungsliste in vier Kategorien – darunter lobenswerterweise auch eine Rubrik der Wissensvermittlung für Kinder und Jugendliche – über Internet den Preisträger zu bestimmen.

Da gibt es in Deutschland noch viel zu tun. Wann packen wir es an?

Gerhard Beckmann freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de

(Die vorige Kolumne finden Sie hier [mehr…]. Weitere Beiträge der Kolumne „Beckmann kommentiert“ im Archiv unter dem Stichwort: „beckkomm“.)

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