Schwarze Liste, weiße Schafe? oder Vom Abmahn(un)wesen

Ende letzten Jahres versetzte eine Meldung viele Antiquare in Angst und Schrecken, ließ Rechtsanwälte verzückt lächeln und brachte die Bunderprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPJM) in die Bredouille:

Der Dortmunder Online-Antiquar Wolfgang Höfs hatte über booklooker „Liebesnächte – Geständnisse einer Berliner Fanny Hill“ angeboten. Wie sich bald herausstellte, wurde das indizierte Buch – im Auftrag der Dortmunder Rechtsanwältin Christine Erhardt – angeblich von Minderjährigen bestellt. RA Erhardt klagte daraufhin im Auftrag einer Bonner Fachbuchhandlung, da dieses Buch 1983 als jugendgefährdend eingestuft worden war und daher nicht in die Hände von Kindern und Jugendlichen gelangen darf. Binnen kürzester Zeit war die Antiquariats-Community alarmiert – und zum großen Teil ebenfalls abgemahnt. Selbst jene, die noch keine Post vom Rechtsanwalt bekommen hatten, mussten diese fürchten. Denn Höfs war sicher nicht der einzige, der indizierte Titel – wissentlich oder nicht – angeboten hatte. Und mit indizierten Titeln spaßt man nicht. Wer jugendgefährdende Schriften anbietet, macht sich laut § 27 des Jugendschutzgesetzes strafbar. Selbst, wenn es sich nicht um beschlagnahmte, sondern nur indizierte Titel handelt. Während beschlagnahmte Titel weder angepriesen, noch verkauft werden dürfen, sind indizierte Titel zwar nicht generell verboten, sie dürfen „nur“ nicht beworben werden. Die Bewerbung solcher Bücher fängt aber schon mit der Listung auf einem Online-Verkaufsportal an…

Wenn sich nun Anwälte melden und Titel anprangern, deren Gefährdung für die Jugend sich dem unbedarften Leser weder auf den ersten, noch auf den zweiten Blick offenbart, so kann man doch fragen, ob hinter der Abmahnung statt eines höheren Ziels nicht doch ein niederer Gedanke steht. Denn mit derartigen juristischen Praktiken lässt sich leicht Geld verdienen. Der Abgemahnte wird aufgefordert, den Titel bis zu einem bestimmten Datum aus seinem Angebot zu entfernen, sonst droht der Prozess. Ist er damit einverstanden, soll das Ganze keine finanziellen Konsequenzen haben. Was nur leider oftmals nicht der Realität entspricht. Sobald die Einverständniserklärung erst einmal unterschrieben ist, kommt häufig die bittere Realität per Einschreiben hinterher. Rund 500 Euro – nämlich die Anwaltskosten des Klägers – dürfen abgemahnte Buchhändler dann schon einmal zahlen, ein Prozess würde ab diesem Moment bis weit in die Tausende gehen.

Andere Zeiten, andere (Un-)Sitten
Grundsätzlich ist das Verfahren der Abmahnung durchaus legitim. In diesem Fall muss man sich jedoch fragen, ob es nicht Schlupflöcher im Indizierungssystem gibt. Einerseits soll es einen Rechtsmissbrauch verhindern, andererseits ermöglicht es ihn erst. Wirft man einen genaueren Blick auf den Index der BPJM, so stellt man fest, dass dort mehrere Titel auftauchen, die dort eigentlich schon längst nicht mehr hingehören (weshalb auch der Börsenverein jahrelang gegen die willkürlich Spruchpraxis der Bundesprüfstelle protestiert hat!). Müsste die Liste daher nicht strenger kontrolliert beziehungsweise den heutigen Zeiten angepasst werden? Denn was vor 25 Jahren noch als obszön galt, wird heute oft nur noch belächelt. Titel wie zum Beispiel „Das erotische Rowohlt Lesebuch“, das nicht nur den berichtenden Spiegelredakteure stutzen ließ http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,523843,00.html.

Weiterhin stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit der Liste. Insgesamt umfasst sie zur Zeit 5.459 Printmedien, Spiele, Tonträger und Filme, war bis vor kurzem nur als gebührenpflichtiges pdf verfügbar – und somit nur manuell mit dem Bestand abzugleichen. Allein rund 700 indizierte Titel aus dem Bereich Print mit zehntausenden von Büchern zu vergleichen, ist ein Unterfangen, mit dem so mancher Antiquar und Buchhändler überfordert ist. Verständlich.

Immerhin: Jede Medaille hat zwei Seiten, alles Schlechte auch sein Gutes: Nach Öffentlichwerdung des Falles und Vorwürfen an die BPJM legte diese nach und stellt über den Forum Verlag Godesberg seit kurzem auch den Index als (ebenfalls gebührenpflichtige) Excel-Liste zur Verfügung, die den Bestandsabgleich erleichtert.

Gemeinschaft als Schutz
Gemeinsam mit Artgenossen bilden kleine Fische in den Weiten des Ozeans einen riesigen Schwarm zum Schutz gegen Feinde, der das scheinbar gigantische Tier gar nicht erst wagen lässt, anzugreifen. So geht nun auch die Antiquariatswelt vor. Unter der Federführung von ZVAB.com organisieren fünf Partner (ABOEV, der Börsenverein, booklooker, Antikbuch24.de und ZVAB.com) eine rechtliche Schutzgemeinschaft. Diese, so die Gründer, habe zum Ziel, im Bedarfsfall eine schnelle und umfassende rechtliche Betreuung zu bieten. Über die eigens hierfür geplante Homepage sollen sich Antiquare informieren können. Die Initiative wird gemeinsam finanziert von booklooker und ZVAB.com. Bleibt zu hoffen, dass die Organisation des Fischschwarms ihren Effekt nicht verfehlt.
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Initiative zum Schutz der Antiquare gegen Abmahnwellen
Die von ZVAB.com Ende 2007 ins Leben gerufene Initiative zum Schutz der Antiquare gegen Abmahnwellen startet mit konkreten Beschlüssen unter einem gemeinsamen Namen: Die „Initiative Antiquariatsrecht“ bzw. deren Gründungsmitglieder ABOEV (antiquarischer Buchhandel online e.V.), der Börsenverein, booklooker.de und ZVAB.com stellen in Kürze eine Internet-Plattform zur Verfügung, die Antiquariate mit juristischen Ratschlägen vor Abmahnungen schützen und Betroffenen im Fall einer Abmahnung konkrete Hinweise zur Vorgehensweise geben soll.

Darüber hinaus wird im Falle einer Abmahnwelle eine Telefon-Hotline eingerichtet. Website und Hotline werden von der Kanzlei Wilde & Beuger aus Köln betreut. Der Startschuss für die Homepage ist auf der Leipziger Buchmesse. Genaue Termine werden noch bekannt gegeben.

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