Die Rechte-Kolumne Rainer Dresen: Das erste Buchverbot der „Post-Esra-Epoche“

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Esra ist kaum drei Wochen alt. Das Wehklagen des Feuilletons über die angeblich daraus resultierenden erschreckenden künftigen Konsequenzen für Romanschriftsteller und ihrer Verlage („nach diesen Grundsätzen hätte es keinen Werther und keine Buddenbrooks gegeben“) ist kaum verklungen, da gibt es schon das erste Buchverbot der „Post-Esra-Epoche“ zu vermelden.

Natürlich trifft es keinen Roman der Werther-, Buddenbrooks- oder wenigstens Esra-Güte, sondern wie fast ausschließlich bisher schon, wenn erfolgreich gegen Bücher geklagt wird, muss ein Sachbuch umgeschrieben werden.

Dieses Mal wurden Passagen eines Buchs verboten, bei dem man ahnen konnte, dass es Streit um dessen Inhalt geben wird. Es handelt sich um das Buch aus dem Seeliger Verlag „Interview mit einem Kannibalen“, geschrieben von Günter Stampf. Es geht um Armin Meiwes, den Kannibalen von Rotenburg, der bekanntlich nach der teilweisen Verspeisung einer Internetbekanntschaft wegen Mordes und Störung der Totenruhe zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, wogegen er übrigens Verfassungsbeschwerde eingelegt hat.

Meiwes ging nun erfolgreich gegen diese Buchveröffentlichung vor, nachdem er bereits vor geraumer Zeit gegen eine angeblich zu reißerische Spielfilm-Dokumentation seines Falles eine gerichtliche Untersagung durchsetzen konnte.

Das Verbot erging, obwohl laut Verlagswerbung der Journalist und Buchautor Günter Stampf die Genehmigung erreichen konnte, den zu lebenslanger Haft verurteilten Meiwes persönlich zu interviewen. „Umfassende Recherchen und eindrucksvolle Interviews in der Justizvollzugsanstalt“, zusammen mit den „erschütternden Tagebuchaufzeichnungen“ des Kannibalen, dienten als Basis für das Werk.

Erschüttert dürften nun vor allem Autor und Verlag sein, klagte doch Meiwes ungerührt gegen das Buch, bei dem laut SPIEGEL „relevante Passagen“ mit ihm selbst abgestimmt waren. Meiwes versuche dadurch, bestimmte Dinge aus den Gerichtsakten in seinem Sinne umzudeuten, heißt es etwas rätselhaft im SPIEGEL.

Das bei Buchverboten neben dem Hamburger Landgericht so überaus gerne von Klägeranwälten eingeschaltete Berliner Landgericht hat wohl verstanden, was dem Kläger an dem Buch nicht mundete, jedenfalls reichte es für eine Unterlassungsverfügung.

Der Rest ist Routine: Der Verlag will Widerspruch gegen die ergangene Einstweilige Verfügung einlegen, bis dahin werden geschwärzte Exemplare verkauft und der Kannibale kaut vielleicht schon aufgeregt an seinen (selbstredend eigenen) Fingern und wartet auf den Nächsten, der unvorsichtig genug ist, über ihn zu drehen oder zu schreiben.

Rainer Dresen arbeitet als Rechtsanwalt und Verlagsjustitiar in München auf dem Gebiet des Urheber- und Medienrechts. Mail: Dresen-Kolumne@freenet.de

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