Beckmann kommtiert Hat der unabhängige Buchhandel noch eine Überlebenschance? Ein Blick über den heimischen Tellerrand

Es begann mit einem Aufbegehren in Literaten- und Sortimenterkreisen Anfang letzten Jahres. Ursache der Empörung war eine Reportage der (jedenfalls in England ) prominenten Schriftstellerin Susan Hill. Sie war genervt von einer Lobhudelei auf klein Buchhandlungen, die so gar nicht mit ihren persönlichen Erfahrungen übereinstimmte.

Sie besuchte drei – bewusst willkürlich ausgewählte – Geschäfte der allseits pauschal gelobten Zwergenschaft. Das erste fand sie zum Haare-Raufen ganz allgemein schlecht gemanagt, das zweite von einem Herrn geführt, der von Büchern so viel Ahnung hatte wie eine Kuh vom Weihnachtsmann; die Sortimenterin der dritten erinnerte sie an eine Hexe, die im Wald Zuflucht und Lebensgeister suchende Menschenkinder aus ihrem Reich vertreibt. Susan Hill kam zu dem Schluss: Manche dieser angeblich so wunderbaren, schützenswerten Läden sind es nicht wert zu überleben.

(Wer Vertriebsleute konkret von kleinen Sortimenten reden hört – „verschlafen“, „inkompetent“, „kundenfeindlich“, um ein paar Stichworte zu nennen – muss den Eindruck gewinnen, dass so etwas wohl auch im deutschen Sprachraum festzustellen wäre.)

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Nun ist der Guardian, was gewiss auch durch die Zusammensetzung seiner Leserschaft bedingt ist, eine Tageszeitung, welche der Buchbranche höchste Aufmerksamkeit schenkt. Inzwischen hat sie eigens eine online-Rubrik (mit entsprechenden Blogs) eingerichtet, die aus erster Hand über die besten Buchhandlungen in England, Schottland und (neuerdings) Irland berichtet. Sie bringt solche Empfehlungen, um ihren Lesern die Suche nach einem guten, zuverlässigen Sortiment am Ort und in näherer Umgebung zu erleichtern. Ein zweites Motiv der Zeitung besteht darin, die Spreu vom Weizen zu trennen bzw. in der Branche ein Bewusstsein für die Standards zu wecken, welche leseinteressierte und -willige Kreise der Bevölkerung heute bei einem unabhängigen Sortiment erwarten. Und schließlich sucht der Guardian mit dieser seiner medialen Initiative, den kleinen feinen Buchhandel zu fördern, der Mühe hat, sich der zunehmend aggressiveren Konkurrenz seitens der Großfilialisten, Supermarkt-Ketten und Online-Händlern zu erwehren. (Soeben hat auch der britische Handelskonzern Sainsbury’s die Absicht verkündet, in seiner Kette ein signifikantes Buchgeschäft aufzubauen.)

(Dergleichen ist im deutschen Sprachraum medial nicht existent. Die Feuilletons brechen zwar immer wieder eine Lanze für kleine, unabhängige Verlage und stoßen rhetorisch auch gelegentlich für den unabhängigen Buchhandel ins Horn. Auf die Idee, für ihn, ohne den die kleinen Verlage in der Luft hängen, konkret etwas zu tun, sind sie allerdings noch nicht gekommen – ebensowenig auf den Gedanken, mit Hinweisen auf gute selbständige Sortimente einen Service für ihre buchaffinen Leser zu etablieren. Hier bestünde ein – durchaus auch Profil bildender – Online-Ansatz etwa für die Literarische Welt.

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Am Anfang der Guardian-Initiative – als Echo auf Leser-Kritik am Bericht von Susan Hill – stand dann eine Reportage des Journalisten Stephen Moss über gute kleinere Buchhandlungen im Lande. Derer sechs hatten erst kurz zuvor geschlossen, weil sie ihre Lage als aussichtslos empfanden. Gegen die Ketten, die bei Verlagshöchstrabatten bis über 60 Prozent gängige Titel teils für weniger als die Hälfte des empfohlenen Ladenpreises verkauften, waren oder sahen sie sich verloren.

Von den Eigentümern derer, die überlebten, wollte Stephen Moss darum auch erfahren, warum sie den Mut besitzen weiterzumachen; welche Konzepte sie als überlebenswichtig empfinden; wie sie solche Konzepte umsetzen – und mit welchem Erfolg.

In Großbritannien existiert bekanntlich schon seit Jahren keine Buchpreisbindung mehr. Die „Independents“ haben es folglich noch um einiges schwerer als ihre Kollegen im deutschen Sprachraum und müssen sich folglich noch intensiver auf die buchhändlerischen Essentials besinnen. Gerade deshalb könnten ihre Erkenntnisse für Deutschland und Österreich lehrreich sein – umso mehr freilich für Sortimenterinnen und Sortimenter in der Schweiz, wo der Marktanteil der Großfilialisten eh fast doppelt so hoch wie in der Bundesrepublik und vor einigen Monaten der feste Ladenpreis aufgehoben worden ist.

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Zur Beurteilung eigener Chancen vorab die Warnung Andrew Stillwells – vom London Review of Books (LRB) Bookshop in London (gegenüber dem Britischen Museum) – vor falschem allgemeinen Optimismus auf Grund einer vielleicht allzu pauschalen kulturellen Geringschätzung von Filialen. „Unter denen“, sagt Stillwell, „gibt es nämlich enorme Qualitätsunterschiede. Die besten bieten einen exzellenten Kundenservice.“ (In Deutschland ist eins der besten und erfolgreichsten Filialgeschäfte das zu Thalia gehörige Buchhaus Campe in Nürnberg )

Zu einer mittel- bis langfristigen Perspektive gibt Valerie Glencoe vom Sevenoaks Bookshop – in der gleichnamigen mittelgroßen Stadt der Grafschaft Kent – grundsätzlich allerdings zu bedenken: “Je größer die Ketten, umso höher die Zukunfts-Chancen von Independents. Die Ketten fressen auf längere Sicht nicht die unabhängigen Sortimente, sondern sich gegenseitig auf. Der Eintritt ins Buchgeschäft der Supermarktkette Tesco mit ihrer Strategie der Hyperstapelmengen von wenigen Titeln zu Billigpreisen hat die Großfilialisten Waterstone’s und Ottakar’s unterminiert, weil sie sich gezwungen fühlten, es mit Tesco im Preiskampf aufzunehmen. Alle Filialisten und Ketten sind wirtschaftlich in Bedrängnis, da hat bereits ein Rationalisierungsprozess begonnen“ – ein Selektionsprozess mit der Ausmerzung von zu vielen Filialen – die Läden der Kette “Books etc. ist im Verschwinden begriffen, Ottakar’s steht zum Verkauf; Waterstone’s ist scharf darauf, Ottakar’s zu übernehmen, und ist selber schon Übernahmeziel. Mit einer Überzahl von Verkaufsstellen… und ohne klare Strategie stehen weniger die Independents als vielmehr die Großfilialisten unter Bewegungsdruck.“

So weit ist es bei uns noch nicht. Immerhin: Buch & Kunst ist von Thalia übernommen, Gondrom, Habel, Weiland und Wohlthat in die auch erst kürzlich aus Hugendubel und Weltbild fusionierte DBH amalgamiert worden. Und ein mittelfristiger Erfolg der heutigen Expansionskonzepte von DBH, der Mayerschen und Thalia steht in den Sternen. An Orten, wo sie sich oft fast hautnah in die Quere kommen, sind in gar nicht so ferner Zukunft Schließungen von Filialen keinesfalls unwahrscheinlich.

Aus alledem sollte freilich niemand die Folgerung ziehen, bis dahin einfach so weitermachen zu können wie bisher. Zunächst einmal muss er bis dahin überhaupt existieren. Mit welcher Art von Konzepten und Maßnahmen? Könnte da ein Blick auf Großbritannien weiterhelfen? Selbst wenn manches dort nur Einsichten unterstreicht, die hierzulande nicht ganz unbekannt sein dürften…

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So bedarf es, um reüssieren zu können, jeder Menge an solider Erfahrung – ein Punkt, der fast banal scheint. Nur: Wie bei einem Independent nach dem anderen deutlich wird, geht es da nicht bloß um Kenntnis von und Erfahrung im Umgang mit Büchern und Kunden. Notwendig ist außerdem: kaufmännisches Denken, ein gesunder Wille zu einem kommerziellen Ziel und die Fähigkeit, die Möglichkeiten moderner Kommunikations- und Warentechnologien zu nutzen. Kurzum: Es braucht auch Management-Know-How.

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Fast selbstverständlich klingt ebenfalls ein zweiter Punkt: Es kommt, wie die allermeisten Independents betonen, auf den richtigen Standort an. Damit ist nun aber keineswegs nur die Lage des Geschäfts im engeren Sinne gemeint. Dazu zählen auch: dass der Laden in einer bevölkerungsmäßig richtigen Stadt bzw. Viertel oder Ort mit möglichst vielen an Lektüre interessierten, einigermaßen liquiden Berufsgruppen, Personen und Familien mit Kindern liegt. Sie muss groß genug sein, um einer gut geführten Buchhandlung hinreichenden Umsatz zu bieten. Und hier kommt eine originelle, wichtige Äußerung von Harry Wainwright – Oldfield Park Bookshop, in Bath: Sie sollte andererseits aber nicht so attraktiv sein, dass ein Filialist versucht sein könnte, dort aufzumachen. (In mehr oder weniger diesem Sinne haben einige britische Sortimente übrigens tatsächlich ihren alten Sitz aufgegeben und einen neuen Standort gewählt.)

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Alle Independents erklären es zum dritten A und O einer Erfolgsstrategie, auf keinen Fall ein den Ketten vergleichbares oder gar ähnliches Sortiment zu führen. Manche gehen so weit, darum fast oder gänzlich auf den Mainstream von Bestsellern er zu verzichten. Ihrem Prinzip zufolge befindet sich ein großer Teil der kleinen bis mittleren Sortimenter in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf einem hoffnungslosen Irrweg, wenn sie meinen, gegen die große Konkurrenz mithalten zu können, indem auch sie auf populäre „Selbstläufer“ bauen: Kleine, die in ihrem Buchangebot aussehen wie heruntergefahrene Große, sind schlechte Kopien der Großen und mit der Wirkung, als wären sie deren Wurmfortsätze, weder überzeugend noch notwendig.

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Fast alle Independents lehnen es gleichermaßen ab, dem Beispiel der Großen zu folgen und empfohlene Ladenpreis zu reduzieren. Umsatzsteigerungen ohne bzw. mit erheblich verkürzten Gewinne(n) sind für sie ein Unding. Sie gehen offenbar davon aus, dass ihre Flächen schlicht zu klein sind, als dass über Skalierungseffekte oder über Lockangebote mit Anschlusskäufen noch ein auskömmlicher Profit erzielen ließe.

Auf Grund des gebundenen Ladenpreises ist dieser Punkt direkt für Deutschland und Österreich irrelevant, indirekt allerdings vielleicht doch bedenkenswert.: Rechnen sich eigentlich Präsentation und Verkauf von MA-Titeln in kleinen bis mittleren Sortimenten? Und minimieren sie nicht auch deren Attraktivität, da die flächenmäßig überlegenen Läden der Filialisten ein thematisch breiteres und somit interessanteres MA-Angebot vorführen – zudem sie immer wieder über „heiße“ Rest-Titel verfügen, die kleineren Buchhandlung gar unzugänglich sind?

Ein (vorwiegend) preiswertes Sondersegment existiert in vielen britischen unabhängigen Buchhandlungen aber auch: eine Abteilung mit „second-hand books“, gebrauchten Büchern, die sich großteils aus aufgelassenen privaten Buchbeständen zusammensetzen und deshalb weitgehend singulär sind, d.h. auch die erwünschte Einzigartigkeit des Sortiments fördern.

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Von der Notwendigkeit eines eigenen „Profils“ der kleineren Buchhandlungen ist auch bei uns viel die Rede. In Großbritannien steht dahinter eine Erfahrung und Grunderkenntnis, die hierzulande noch nicht angekommen zu sein scheint: Jede Zentralisierung des Einkaufs führt bei Filialisten und Ketten zu einer Verarmung des Sortiments und zu einer Entfernung von der Kundschaft, die weitgehend lokal geprägte Bedürfnisse oder Präferenzen hat.

Was den Buchhandel betrifft, so bietet die Entwicklung und Geschichte von Waterstone’s dafür ein krasses, schlagendes Beispiel. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass eine ganze Reihe besonders guter, erfolgreicher unabhängiger Buchhandlungen von ehemaligen Filialleitern, Direktoren und Managern gegründet bzw. übernommen worden sind und geführt werden, die während der bis in die 90er Jahre reichenden Innovativ-Phase bei Waterstone’s tätig gewesen sind – als Waterstone’s noch dezentral arbeitete und im britischen Buchhandel neue Maßstäbe setzte. (Diese Männer und Frauen haben außerdem maßgeblich zur Professionalisierung des Buchhandels der Insel beigetragen.)

„Die Leute werden es überdrüssig, es ist langweilig, in den Schaufenstern aller Kettenläden immer das gleiche Angebot zu sehen, und es ja scheint mittlerweile allerorten einen Laden von Border’s, Waterstone’s oder Ottakars zu geben. Das wirkt gleichförmig und wie industriell hergestellte Massenware. Solche Läden könnten fast unterschiedslos überall und irgendwo an jeder größeren Einkaufsstraße liegen“ – so Phil Griffiths, der sein Metropolitan Booksin London Ende der 90er ungefähr zwei Kilometer von den nächstliegenden Filialen aufmachte.

„Wir wollen, ganz bewusst, anders sein“, erklärt Vivienne Wordley bei Foyle’s, der ältesten, berühmtesten und größten unabhängigen Buchhandel der Insel. “Wenn wir uns nicht deutlich von den Filialisten unterscheiden, liegen wir falsch. Wir möchten dem Kunden Außergewöhnlichen zu Gesicht bringen und anbieten.“

Bei Foyle’s – einem Sortiment mit 221.000 Büchern – gehört zu dieser Politik, „dass wir viele Aktivitäten zur Förderung von Backlist-Titeln unternehmen.“

Andrew Stillwell verzichtet weitgehend auf Frontalpräsentation, weil „wir uns bemühen, so viele Titel wie eben möglich vorrätig zu haben“. So kann sein Sortiment auf begrenztem Raum 20.000 Titel umfassen.

Die seit 1974 aus fünf Frauen bestehende Kooperative der Buchhandlung News from Nowhere in Liverpool spezialisiert sich auf Bücher, „die Menschen helfen, sich selbst und die Welt nach vorn zu bringen“. In der Kinderbuchabteilung hält sie „ein riesiges Spektrum an Titeln, die, wie wir meinen, die Wirklichkeit der Welt spiegeln“, erklärt die Seniorpartnerin Mandy Vere. „Wir sortieren in verschiedenen wichtigen Themengruppen – der menschliche Körper, Anti-Rassismus, die menschlichen Gefühle, Behinderungen, Familie, Weltkulturen. Die überwiegende Mehrheit der Buchhandlungen zeigt Kindern nichts an Büchern von der Welt, wie sie wirklich ist. Behinderte Kindern und Welten existieren überall, und doch fällt es schwer, Literatur zu finden, welche von deren Leben handelt.“

„In meiner Buchhandlung“ – so Jane Howe vom Broadway Bookshop – „habe ich nur Titel vorrätig, die ich selber lesen möchte oder von denen ich annehme, dass meine Kunden sie gern lesen würden. Im allgemeinen komme ich beim Bestellen und Verkaufen mit diesen beiden Gesichtspunkten ganz gut hin.“ (Die Einwohner im Londoner Stadtteil Hackney sind ungewöhnlich gut gebildet und finden Interesse an eher ausgefallener Literatur.

John de Falbe – Eigentümer der John Sandoe Books in Chelsea, London – macht seine Bestellungen, “indem ich ganz konkret an Kunden denke, weil diese Methode meines Erachtens ein interessantes vielseitiges Sortiment gewährleistet… Schlussendlich führen wir Titel, die uns am Herzen liegen und von denen wir etwas verstehen.“

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Damit ist schon ein Moment der für das unabhängige Sortiment besonders wichtigen Kundennähe angesprochen – ein Aspekt, der, wenn mich nicht alles täuscht, in hiesigen Diskussionen und Seminaren zu diesem Thema gewöhnlich ausgeblendet bleibt. Die englischen Beispiele zeigen jedoch, dass Kundennähe beim Zusammenstellen des eigenen Sortiments anfangen sollte. Diese Perspektive sollte ein elementarer Bestandteil beim Aufbau eines „Profils“ werden.

Kundennähe kann auch nicht hauptsächlich aus Höflichkeit und freundlichem Verhalten bestehen. Sie hat mehr als nur das. Sie hat eine weitere Voraussetzung, die leider allzu oft vergessen wird – ein Element, das der ehemalige Banker James Daunt immer wieder betont. Er gründete seine Daunt Books 1990 an der Londoner Marylebone High Street. Es ist wohl eine der rentabelsten britischen Buchhandlungen überhaupt. Aus ihr sind mittlerweile drei weitere Geschäfts hervorgegangen, mit einer heute 28-köpfigen Belegschaft. Eines ihrer Geschäftsgeheimnisse: Die Angestellten werden „wirklich angemessen“ bezahlt. „Wir betrachten es als einen echt professionellen Beruf, angestellter Buchhändler zu sein“, sagt James Daunt. So bietet er den Kunden „ein hoch motiviertes, interessiertes, intelligentes und den Kunden gegenüber aufgeschlossenes Personal – was im Buchhandel keineswegs immer der Fall ist“.

Auch im deutschsprachigen Raum nicht , wo es allzu oft rekrutiert wird „aus höheren Töchtern beiderlei Geschlechts und jungen Leuten mit Abitur, denen beruflich sonst nichts einfällt oder die für sonst nichts wirklich zu gebrauchen sind“. (So hat es einmal ein gediegener älterer Buchhändler Österreichs formuliert.). Volker Hasenclever wies übrigens einmal darauf hin, dass in der Bundesrepublik Angestellte im Sortiment tariflich schlechter stehen als im Schnitt des übrigen Einzelhandels.

Gerade im unabhängigen Buchhandel bedeutet Kundennähe: Auch das Personal müsste in puncto Geist und Interesse mit Kunden irgendwie auf Augenhöhe sein, zuhören und sprechen.

Kundennähe kann sich ebenfalls wohl nicht darin erschöpfen, gewisse Umgangsformen und Gesprächstaktiken zu beherrschen, um Bücher an den Mann bzw. an die Frau zu bringen. Auf die Weise wird sie vermutlich gar nicht erst aufkommen.

Wie könnte wahre Kundennähe im Idealfall aussehen?

„Wir kennen unsere Kunden persönlich und mit Namen“, sagt Anna Dreda, „wir sind ein Teil ihres Lebens.“ Anna Dreda gehört die Buchhandlung Wenlock Books.

In der bereits erwähnten Buchhandlung John Sandoe Books hat der Guardian-Journalist Stephen Moss folgendes beobachtet: Mit dem dortigen Sortimenter verkehren die Kunden wie mit einem Freund – mit einem Freund, bei dem sie überdies gern eine Menge Geld ausgeben.

„Wir haben eine beträchtliche Anzahl von Kunden, die uns regelmäßig aufsuchen“, erläutert dort John de Falbe. „Und wenn man erst einmal etwas von den Lesegewohnheiten eines Menschen weiß und er einem vertraut, dann entwickelt sich mit ihm eine ähnliche Beziehung wie zwischen einem Patienten und seinem Hausarzt. Dann hat man eine sehr eng begrenzte, aber sehr tief reichende Kenntnis von ihm. Da weiß man manchmal sehr viel mehr über seine Lektüre als selbst der Ehepartner. Die Lesegewohnheiten sind häufig ein recht intimer Lebensbereich.“

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Kleine und mittlere Sortimenter, die nicht auch modern professionell und wirtschaftlich denken und handeln, werden Mühe haben durchzukommen. Das ist eine Lehre der Beispiele aus Großbritannien.

Noch deutlicher wird: Wer sich nicht auf buchhändlerische Essentials besinnt, hat im Konkurrenzkampf mit den ausufernden Ketten überhaupt keine Chance.

Wer, das Buch vornehmlich als Ware traktierend, im Kunden primär als Käufer/Konsumenten sieht und behandelt, wird mit aller Wahrscheinlichkeit nicht den hinreichend großen und aktiven Stammkundenkreis finden, der das wirtschaftliche Fundament vor allem kleiner und kleinster Buchhandlungen bietet.

Wie groß es sein muss, ist natürlich von Fall zu Fall verschieden. Es hängt von den jeweiligen Betriebskosten, vor allem jedoch von der durchschnittlichen Kaufkraft der Klientel ab.

In Hackney beispielsweise, wo überwiegend 25- bis 35jährige mit eher niedrigem bis mittlerem Einkommen wohnen, ist diese Kaufkraft relativ gering (weshalb der dortige Broadway Bookshop auch nur wenig an teuren Buchgenres und Titeln führt). Im eher wohlhabenden Vorort Oldfield Park der reichen bürgerlichen Stadt Bath dagegen macht John Wainwright „ungefähr die Hälfte des Umsatzes mit einer sehr kleinen Gruppe von Stammkunden. Sie besteht vielleicht aus zweihundert Personen.“ Der Guardian-Journalist hat alle Sortimenter, die er besuchte, diesbezüglich befragt und war erstaunt, wie klein sie oft ist: „Schon 250 treue Kunden“, so schreibt er, „reichen aus, um ein Geschäft zu tragen. Ohne sie kann kein Independent bestehen.“

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Wie gewinnt und erhält man nun aber solche Kundschaft? Wie wurden Kunden zu Freunden?

Hier ist, es müsste eigentlich gar nicht besonders erwähnt werden, ihre persönliche Betreuung von allerhöchster Bedeutung. In Deutschland hört man zwar am laufenden Band, und die jährlichen Umfragen der Münchner Agentur Freising & Partner scheinen es zu bestätigen, im Buchhandel generell eine zunehmend bescheidenere Rolle. (Was allen Propheten und Propagandisten des Selbstbedienungsprinzips sowie den Betriebswirtschaftlern der Filialisten wunderbar ins Konzept passt, die eh am Personal sparen wollen und müssen, um die irren Mieten für ihre Großflächen in City-1a-Lagen finanzieren zu können.) Ob es auch für die kleineren Sortimenter zutrifft, darf füglich bezweifelt werden.

Nach den britischen Erfahrungen zu urteilen, erscheint es ebenso fragwürdig, persönlichen Service zu eng mit Beratung im Sinne von Verkaufsgesprächen zu verstehen und auszuüben. Sehr deutlich wird das schon an den oben zitierten Äußerungen John de Falbes, wenn er sein Verhältnis zu solchen Kunden mit der Beziehung zwischen Patient und Hausarzt vergleicht. Einen expliziten Hinweis gibt John Wainwright, wenn er sagt: „Selbst in der Phase des Weihnachtsgeschäfts stellen wir sicher, dass wir für einen Kunden zwanzig Minuten Zeit haben.“ Es mögen zwanzig Minuten sein, in denen er und seine Mannschaft mit dem Kunden auch über Gott und die Welt sprechen, gewiss aber über Bücher und Lektüre-Eindrücke, einschließlich von Lese-Erfahrungen des Kunden, und so kommt man im Gespräch auf andere lesens- und kaufwerte Titel, die bei einem direkten Verkaufsgespräch weder dem Kunden noch dem Sortimenter unbedingt gleich in den Sinn gekommen wären.

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Bei dergleichen Unterhaltung geht es, auch das wird aus den britischen Erfolgsgeschichten klar, sehr häufig um kommunale Dinge und Fragen. „Das Buchgeschäft zahlt für den Unterhalt des Geschäfts. Es sind jedoch all die anderen Dinge, die eine Buchhandlung zu etwas ganz Besonderem machen“, erklärt Anna Dreda von Wenlock Books in der gleichnamigen Marktgemeinde der Grafschaft Shropshire, die im vergangenen Jahr vom britischen Buchhändlerverband wegen ihrer außergewöhnlich einfallsreichen Anstrengungen als „Buchhandlung des Jahres“ ausgezeichnet wurde.

Sie ist trotz der Billigpreis-Konkurrenz von Waterstone’s-Filialen in den nahegelegenen Städten Telford und Shrewsbury mit deren Preisunterbietungen immens erfolgreich; denn die örtliche Bevölkerung „hat auch die gesellschaftliche Funktion und Bedeutung einer Buchhandlung am Ort begriffen“.

Seit sie das Sortiment vor nunmehr vier Jahren übernahm, hat sie etliche Neuerungen eingeführt; unter anderem – kostenlos – das Servieren von Kaffee oder Tee und Kuchen. “Hätten sie damit aber nicht noch ein nettes Nebengeschäft machen können?“ wollte der Journalist wissen, und bekam zur Antwort: „Wenn ich Leute in mein Zuhause einlade, erwarte ich nicht, dass sie dafür zahlen.“

„Ich sehe meine Buchhandlung als einen Mittelpunkt für Autoren und Leser“, sagt Shani Lee von Frontline in Leicester – einem Geschäft auf rund 90 Quadratmetern Fläche mit einem Sortiment von 1.600 Titeln.

Mandy Vere erläutert ihre News from Nowhere] folgendermaßen: „Wir sind nicht bloß eine Buchhandlung. Wir sind auch ein Informationszentrum und Knotenpunkt örtlicher Aktivitäten und Aktionen.“

Alle in der Reportage berücksichtigen Sortimenter planen und arbeiten in dem Bewusstsein„ ein integraler Bestandteil des Lebens in ihrer Kommune zu sein.

Die Haltung all dieser kleinen Buchhandlungen in schwieriger Zeit, über die Stephen Moss im {Guardian berichtet, ließe sich im Statement von Anna Dreda zusammenfassen: „Ich sehe keinen Anlass zur Niedergeschlagenheit. Wir haben nicht das Recht zu erwarten, dass uns irgendwer unseren Erhalt schuldet. Das Buchgewerbe macht große Veränderungen durch, da müssen auch wir uns eben ändern. Und es gibt es wunderbare Chancen für Independents, wenn wir nur die Energie aufbringen, sie zu ergreifen.“

Gerhard Beckmann freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de

Weitere Beiträge der Kolumne „Beckmann kommentiert“ finden Sie im Archiv unter dem Stichwort: „beckkomm“.

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