buchmarkt.de-Bonus Track I: Die Buchhandlung von Morgen?! – Alle, Amazon oder der iPod?!

Mit seinem neuen Tool „upgrade“, das gerade in den USA getestet wird, scheint nur Amazon eine Antwort auf die Zukunft der digitalen Inhalte zu haben. Grund für uns, Anfang des Jahres den Blick in die Zukunft zu wagen und in der BuchMarkt-Januarausgabe 2007 zu fragen, wie die Buchhandlung der Zukunft aussehen kann.

Als Bonus Track zum Heft finden Sie hier reale Zukunftsvisionen von Fachjournalist Stefan Becht:

Upppss! Da geht nur – erstmal – rausreden. Denn wie William Gibson, der renommierte SF-Autor, einmal so schön auf die Frage wie er sich die Zukunft vorstelle sagte: „Ich weiss nichts über die Zukunft, ausser, dass sie passieren wird.“ Und das von einem, dessen Handwerk es ist, die Zukunft, wenigstens literarisch, täglich neu zu erfinden.

Aber vielleicht hilft es auch, wenn wir, Vorschlag, bei den Fakten bleiben. Der Axel Springer Verlag http://www.axelspringer.de schreibt in seinem am 14.12.2006 veröffentlichten Marktbericht „Trends im Einzelhandel: Online Shops mit 20 Prozent Umsatzplus“. Und weiter: „Während im Jahr 2005 der Umsatz des deutschen Einzelhandels lediglich um ein Prozent gestiegen ist, verzeichnen Online-Shops ein deutliches Plus von 20 Prozent… Durch den Siegeszug des Online-Shoppings verändert sich auch der klassische Versandhandel, der im laufenden Jahr 38 Prozent seines Umsatzes im Internet generieren wird.“

Bleibt für uns die Frage: Wer versendet denn da alles? Nur die grossen Web-Händler, wie Amazon, BOL oder Buch.de, nur die grossen klassischen Buchhandlungen wie Thalia, Hugendubel oder Weltbild, die über relevante bzw. wahrnehmbare Web-Angebote verfügen? Oder folgen die Angebote nicht schon längst dem Prinzip des Webs? Das heisst: Die verteilte Web-Technologie lässt verteilte Systeme. Anders ausgedrückt: Jeder, ob Erzeuger, Autor, Verlag, Agent, Barsortiment, Buchhändler, Web-Händler, Einzelhändler kann, vorausgesetzt er traut sich ins Web, verkaufen und versenden. Die Buchhandlung der Zukunft im Web wäre dann: Alle.

Gut 15 Milliarden Euro werden dieses Jahr (2006) im Internet umgesetzt, das Gesamtpotenzial soll bei weit über 100 Milliarden Euro liegen. Zur Erinnerung: Das Web ist gerade mal 12 Jahre alt! Das wahre Potenzial, dass im Moment von Marketingbilligheimern mit Dummwörtern wie Web 2.0 oder Web 3.0 tituliert wird, ist noch nicht mal annährend entdeckt. „Web 2.0“, sagte übrigens dieser Tage der Erfinder des WWW, Tim Berners-Lee, „ist nutzloses Blabla, das niemand erklären kann“ http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23472/1.html .

Die vielfältigen Bestrebungen von Amazon http://www.amazon.com Chef Jeff Bezos, die er im November in der Zeitschrift BusinessWeek darlegte http://www.businessweek.com/magazine/content/06_46/b4009001.htm?, so vielen Menschen, Unternehmen und Händlern eine wie auch immer geartete Heimat innerhalb von Amazon zu bieten, deutet an, wohin der Zug fahren wird: Das Web im Web.
Egal ob Privatperson, Einzel-, Label-Store-, Internet- oder Buch-Händler, ob Verlag, Barsortiment, Vertreter, Autor, Zeichner, Fotograf, Drucker, ob Software- oder Webentwickler, ob Start-up oder etabliertes Unternehmen, welches Webspace oder Computerleistung mieten möchte – alle werden bei Amazon – in der Regel gut – bedient. Die Buchhandlung der Zukunft im Web wäre dann: Amazon.

Nicht nur, weil alle dann dort zu Hause (Homepage) sind, sondern auch, weil Amazon von den Nutzern besucht wird, die Audience besitzt. 61 Millionen Menschen kaufen hier ein, 13 300 Mitarbeiter zählt das Unternehmen und um die 200 000 Web-Entwickler, so die offizielle Zahl, sind bereits als „freie Mitarbeiter“ bei Amazon registriert. Jeff Bezos‘ Plan ist also ganz einfach: Er baut ein Internet innerhalb des Amazon-Internets, frührer hiess das mal Intranet. Wenn dieses Internet im Amazon-Internet voll oder überlastet ist, baut er ein weiteres innerhalb des inneren Amazon-Internets und immer so weiter. Ein genial einfacher und guter Plan, den Bezos da hat, auch weil er auf einem gefestigten Grundverständnis des Webs beruht.

Die Buchhandlung der Zukunft in unserer richtigen, physikalischen Welt wird ergo heissen: Amazon. Nein? Ja! Denn auch das Web ist endlich. Analog den Hermes-Paketshops sind „Amazon-in-Echt-Shops“ vorstellbar, im Kiosk um die Ecke, in der Tankstelle, im Kaufhaus in der Fussgängerzone, in der Stadtteil-Buchhandlung, im Weltbild-Laden. Im Web bei Amazon -was auch immer – bestellt, im „Amazon-in-Echt-Shop“ abgeholt und die Versandkosten gespart – Geiz ist geil.

Die Buchhandlung der Zukunft in unserer richtigen, physikalischen Welt, jetz aber mal in gut: Ein Ort der Begegnung, Rauchen ist zwar längst verboten, aber Kaffee trinken noch nicht, Bio-Snacks und Fitnessgetränke gibts aus der gepflegten Kühltheke, schöne (Bilder-/Foto-/Kunst-)Bücher überall, drahtloser kostenloser Zugang zum Internet via Hotspots, Themen-Drehsäulen mit den Buch-Empfehlungen des Hauses, ästhetische Flachbildschirme einer namhaften japanischen Firma mit Web, Playstations, DVD- und Hörstationen an den Tischen, Lümmelkissen für grosse und kleine Kinder, bequeme Stühle, Sessel und Sofas, die zum Verweilen einladen, um in Büchern zu Blättern, zu Gucken, zu Lesen, zu Stöbern. Autoren und Buchmacher jeder Art stehen im Mittelpunkt, deshalb gibt es nicht nur eine bewegliche „Autoren-station“ (Stuhl – unbequem, Tisch, Headset-Mikro und das alles auf Rollen), sondern auch eine DVD-Kamera und einen Beamer, die die mehrmals täglichen Veranstaltungen ins Schaufenster übertragen- von der Launch-Poetik bis zum Mitternachts-Gruseln. Verkauft wird alles, wirklich alles, was da ist, das heisst alle physikalischen Gegenstände im Raum (ausser der „Autorenstation“). Via Web-Zugriff zur Amazon-Datenbank all die Dinge, die gerade nicht da sind und via Web-Zugriff zu Googles Buchsuche http://books.google.de all die Titel, die es sonst nirgends mehr gibt. Der ATM-Apparat für Bücher druckt sie ratzafatz aus und versieht sie einem hauseigenen Umschlag.

Unvorstellbar? Zwei solcher Maschinen gibts bereits: Eine steht in der Buchhandlung der Weltbank http://www.worldbank.org in Washington DC., eine in der neuen Bibliothek von Alexandria http://www.bibalex.org/English/index.aspx in Ägypten und eine dritte soll in der New York Public Library http://www.nypl.org installiert werden. Davon berichtete Jason Epstein schon am 19. Oktober 2006 im New York Review of Books http://www.nybooks.com/articles/19436.

Die Buchhandlung der Zukunft wird aber auch sein: So gross wie ein iPod http://www.apple.com/de/ipod/ipod.html, immer dabei, wahlweise lesen wir selbst, lassen uns vorlesen oder schauen die Serie, die auf dem Buch basiert oder hören den Soundtrack. Absurd total digital? 98 Prozent aller Jugendlichen (12-19 Jahre) in Deutschland haben Zugang zu einem Rechner, 92 Prozent Zugang zum Internet, benutzt wird es hauptsächlich (von 60%) zur Kommunikation: E-Mail, SMS, Instant Messaging, Chats, Foren, Newsgroups. Hier wird nicht nur Technologie genutzt, hier entsteht ein neues Kommunikationsverhalten, hier wird eine Kultur mit allem was dazu gehört, Ideen, Vorstellungen, Werten, Ansichten, Visionen, Haltungen geprägt. Diese Jugend ist extrem mobil, schnell, absolut unberechenbar und gerne kurzlaunig. Das „Schwarmverhalten“, das einem Ordungsprinzip des Internets verblüffend ähnlich ist, scheint dieser Generation in die Wiege gelegt zu sein. Und sie, diese Jungend, rast im Eiltempo zu 100 Prozent an der gesamten Verlagsbranche vorbei.

Wie eine klar ausgerichtet Themen-Buchhandlung der Zukunft in der richtigen Welt aussieht, können wir heute schon am Beispiel von Dieter Eckels Laden, dem BuchGourmet http://www.buchgourmet.de in Köln sehen und spüren. Wie eine ganz normale, simple Buchhandlung: Voll mit Büchern zum Thema Kochen, Essen und Geniessen bis unter die Decke und in den Keller hinab. Egal welche Sprache, egal welches Land, egal ob altes, neues oder vergriffenes Buch zum Thema- hier werden wir fündig. Und was nicht da ist, wird eben besorgt. Im Keller die Packstation und der Internet-Handel, eigene Datenbank, gut gepflegt, einfache aber gute Website, schneller und unproblematischer Service- der Laden brummt. Begeisterung für das Thema, Leidenschaft im Umgang und die Liebe zur Arbeit, wie bei BuchGourmet, auch das ist Buchhandlung der Zukunft, ganz im Hier und Jetzt und Heute.

STEFAN BECHT stefan@stefanbecht.de

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