Flegeldonnerstag

Matthias Mayers
tägliches Messe-Update

Nur bei mir: Spezial-Indien-Faux-Pas-Service

Wenn Sie nächtens mit Ihrem Partner Liebe machen wollen, seien Sie bitte schnell und leise, damit die anderen Familienmitglieder, die Ihr Bett teilen, nicht davon wach werden.

(so ähnlich in KulturSchock Indien, Reise KnowHow Verlag)

Die Überwindung von Zeit und Raum

Man ist keine zwei Tage auf dieser verdammten Messe, und schon weiß man nicht mehr, welcher Tag heute geschlagen hat. Als zweiter Messetag hatte der heutige Donnerstag etwas unweigerlich Dienstaghaftes an sich, aber ich will Sie nicht verwirren. Schlussendlich fühlen sich hier alle Tage gleich schön an, so dass man das enge Konzept der Zeit als überwunden betrachten kann.

Dass die Messe per se schon eine Überwindung des Raumes darstellt, davon zeugen meine armen, armen Füße.

Und meine Wege fallen mir nicht leichter, wenn ich bei Weltbild an Motiven wie diesem hier vorbei muss:

Schumi et Orbi

Man sollte doch meinen, dass es sich lohnt, auffällige Physiognomien möglichst ruhend zu präsentieren; oder, auf Deutsch: Schumis Gesicht ist auch dann schon sehr blöd, wenn er sich gerade nicht einen Wolf freut.

Wer hat das aufgehängt?
Weiß das der Papst?
Wann hat der eigentlich mal Standdienst?

Als es gen Mittag einen kurzen Schauer gab, war die ungewöhnlichste Behelfslösung sicherlich diejenige, jeden vierten Besucher einzutüten.

Üben für PISA

Meinen ersten Termin heute hatte ich mit Matthias Seuring, der auch dieses Jahr wieder die Messe füttert. Ihm unterstehen alle Köche und Küchen.

Natürlich würde er es nicht wagen, ausgerechnet den kulinarisch hochentwickelten Gaumen der Inder deutsch entgegenzukochen, so dass man für dieses Jahr auch indische Köche engagierte. Das war nun wirklich kein Problem, da mittlerweile in jeder mittelständischen deutschen, italienischen oder kroatischen Küche ein Inder arbeitet.

Mister Manjit Gill erweist mir die Ehre, in seiner Küche ein Foto schießen zu dürfen.

Zuckerbrot…
…und Peitsche vom Dienst

Hingegen kein Foto durfte ich von der Live-Redaktion des Börsenblattes schießen (siehe Foto). Während BuchMarkt-Mitarbeiter nämlich grundsätzlich freilaufend sind, verwahrt das Börsenblatt seine Mitglieder in einem mittelkleinen Aquarium auf. Zu jeder vollen Stunde dürfen Messegäste etwas Plankton hineinwerfen.

Wer im Glashaus sitzt,
bitte mal Steine werfen

Die liebe Kollegin Sabine Schwietert sagte mir sogar, dass beim Börsenblatt jeder gefeuert wird, der auch nur ein Wort mit mir spricht; aber da kann ich sie beruhigen: das ist in unserer Redaktion ganz genau so.

Schön war aber, dass Frau Schwietert und ich eine Gemeinsamkeit entdeckt haben: Wir mögen beide gerne Cola mit Mineralwasser. Allerdings ist es mir weniger peinlich als ihr.

Da ich nun mal gerade in der Nähe war, suchte ich Frau von Bestenbostel auf, weil ich eigentlich schon immer mal wissen wollte, woher denn dieser Name kommt. Soviel ich von Frau von Bestenbostels pittoresken Schilderungen verstanden habe, wurden die Bestenbostels nach einem Ortseingangsschild benannt.

Aber ich wollte ja zu Jörg Pi(sa)lawa.

45 Minuten brauchte es, um ein Unentschieden zwischen drei Zehntklässlerinnen und drei gestandenen Verlegern herbeizuführen. Die Mädchen punkteten natürlich mit Charme, Witz und Frische, während die Herren erst so richtig auftauten, als es um die statistische Verteilung schmutziger Männerunterhosen ging.

Und das, Ihr drei lieben Verleger, hat mehr Aussagewert, als PISA je haben kann.

Übleis, Droemer
Müller, Langenscheidt
Möllers, Terzio

Wenn ich die finale Aufgabe richtig verstanden habe, trägt jedenfalls nur einer von drei Männern saubere Wäsche, Anwesende ausgenommen, und somit sind die drei Gymnasiastinnen für mich ganz klarer moralischer und hygienischer, wenn auch nicht ganz stochastischer Sieger.

Und natürlich ziehe ich den Hut vor dem Mut aller Kandidaten: Für die jungen Damen war es sicherlich etwas schwieriger als für die erfahrenen Herren – aber die hatten die größere Fallhöhe riskiert.

3 x Zukunft

Ich habe nun herausgefunden, woher Herr Pilawa immer diese schweren Fragen nimmt:

Das Pfadfinderhandbuch des
Fähnlein Fieselschweif

Prestel präsentierte heute ein beeindruckendes Buch: In „Forty-Something“ stellt Friederike Heyne attraktive, erfolgreiche, markante, bekannte und unbekannte, immer aber reife Frauen vor. Interessante Lebensläufe und bestechende Fotos von der GABO machen ein starkes Buch in anziehender Aufmachung.

Dein Buch ist sehr schön, Prestel, aber die gemeinsame Herausgeberschaft mit ausgerechnet „Oil of Olaz“ zieht mir ein wenig zu schnell ein:
Das mit der Reife und das mit den Verjüngungscremes sind doch schon irgendwie divergierende Zutaten, oder?

hmmm…

Mein erstes literarisches Blind-Date jemals hatte ich mit Thomas Glavinic bei Hanser, denn ich durfte bis zum Treffen nicht erfahren, welcher Autor mich erwartete.

Das hatte rechtliche Gründe. Ich hatte schon Angst, dass man mir einen Sack überstülpt, bevor man mich in einer Limousine zu einem Wellblechschuppen am Stadttrand fährt, wo Herr Glavinic mit einem Stimmverzerrer auf meine Fragen antwortet.

Ich gratuliere ihm zum Förderpreis des Österreichischen Staatspreises und freue mich über die schöne Ausgangsidee seines Romans „Die Arbeit der Nacht“: Wie lebt man, wenn man ganz alleine auf der Welt wäre?
Vor allem in den Hallen 3 und 4 frage ich mich das selbst oft.

Für die typischste aller unnötigen Fragen hält er: „Ist das autobiographisch?“, aber das ist wahrscheinlich in seiner Lebensgeschichte begründet.
Wir hätten noch stundenlang über Gott und alle Gebrüder Strugatzki reden können, wenn Jess Jochimsen uns nicht aus unserer Traumwelt gerissen hätte.

Autobiographisches Foto

Der es sich übrigens nicht nehmen ließ, unsere Buchhandelspraktikantin zu hofieren. Er steckte mir zur Bestechung extra ein Tässchen Espresso zu, damit ich mich beim Fotografieren möglichst langwierig und ungeschickt anstellte.

Als gäbe es hier nicht genug Körperkontakt

Mein Höhepunkt des Tages war sicherlich mein Treffen mit Frau Heidenreich, ebenfalls bei Hanser.
Als ich das Gespräch mit „Lesen Sie gerne?“ eröffnete, brauchte Frau Heidenreich auch nur eine Zehntelsekunde, um den „So ein Vollidiot“-Gesichtsausdruck unter Kontrolle zu bekommen.

Dann unterbrach uns Michael Krüger, weil er zu den Handy-Nicht-so-gut-Bedienern gehörte und bei Frau Heidenreich Abhilfe wähnte.

Dann durfte ich heimlich Sätze mitschreiben wie „Du musst auf das Männeken und dann zurück.“

Dann erklärte meine Praktikantin, die im Leben noch nie von Elke Heidenreich oder Michael Krüger gehört hatte, Elke Heidenreich und Michael Krüger das Handy.

Oje

Davon bekam mein Geltungsdrang gleich einen trockenen Hals, und ich fragte Michael Krüger, ob er mir nicht ein Glas Wasser holen könne. Jetzt, im Nachhinein, kommt es mir ja auch ein wenig dreist vor, aber ich war durstig und hatte zu arbeiten.

Herr Krüger murmelte „hab ja sonst nichts zu tun“ und erhob sich ächzend. Da erst bemerkte ich, dass Herr Krüger unter Schmerzen forthumpelte und also anscheinend an etwas litt.

Gut gemacht. Da schicke ich also einen unserer wichtigsten, hervorragendsten, prominentesten, ausgezeichnetsten, vielseitigsten und am höchsten geachteten Köpfe zum Wasserholen, während er gehbehindert ist und ich selbst auf meinem Messe-Hintern hocke.

Mehr kann ich eigentlich gar nicht falsch machen.
Außer vielleicht zusätzlich einen Sikh nach der Uhrzeit fragen.

Lieber Herr Krüger, bitte entschuldigen Sie mein Betragen;
ich muss noch viel lernen. Allerdings haben Sie das Wasser schnell und tadellos serviert, so dass ich Ihren Service auf jeden Fall weiterempfehlen kann, sollte das jemals erforderlich sein.

Doch zurück zu Frau Heidenreich. Die hatte sehr schöne Antworten parat: Die dümmste aller Fragen ist für sie „Haben Sie das alles gelesen?“, dicht gefolgt von „Gell, Sie sind’s?“

(„Gell, Sie sind’s?“ ist aber auch ein Hammer.)

Frau Heidenreich mag die Messe, weil sie dann mal nicht lesen muss. So habe ich’s noch gar nicht betrachtet, aber ich besuche ja auch gerne meine Mutter, damit ich sie nicht so oft anrufen muss.

Zum Thema Internet sagt Frau Heidenreich: „hab‘ ich noch nie geguckt“, und ich selbst wusste auch gar nicht, dass die das noch zeigen.

Bevor ich gehen darf, zwingt Herr Krüger mich, das Glas Wasser bis auf den letzten Schluck zu leeren.

Ich gehorche lieber, bevor ich mich weiterhin wie Vishnus dritte Inkarnation, Varaha, der Eber, benehme.

Auf uns wartet noch ein Trog voller Arbeit an unserem letzten gemeinsamen Fachbesuchertrag, und der will bewältigt sein.

Von Ihnen und auch von

Ihrem

Matthias Mayer

herrmayer@hotmail.com

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