Buchhandel „Hauen und Stechen“ in Düsseldorf – Branchendiskussion startete in Düsseldorf

Wenn „Hauen und Stechen“ in der Buchbranche angekündigt wird als Titel eines Zwei-Tage-Branchenforums, wie es heute in Düsseldorf eröffnet wurde, darf man sicher sein, dass es militanter klingt, als es dann ist. Am heutigen Eröffnungstag ging es um Auslieferungen und ihre Dienstleistungen für die Branche, und nur ganz kurz kam es statt zum Hauen und Stechen zum Maulen und Sticheln, dann ging es zur Sache.

250 Teilnehmer im DüsseldorfCongress

Zum Glück so, dass der Untertitel der Veranstaltung zur Geltung kam:

Gemeinsam das Überleben der Branche sichern!
Rappelvoll ist der Saal im Düsseldorfer Congress Center, 250 Teilnehmer haben sich angesagt, und auch 40 Azubis haben den Weg an den Rhein gefunden, um hier mal Branchenluft pur zu schnuppern.

Moderatorin Helena Bommersheim

Moderatorin Helena Bommersheim von Bommersheim Consulting machte anhand der jüngsten Entwicklung (also dem Weltbild-Hugendubel-Coup) klar, wohin die Reise jetzt schon gegangen ist: 9,2 Mrd. Euro setzte der Buchhandel in Deutschland 2005 um, das ist ein Zuwachs von 0,9% gegenüber dem Vorjahr, die Versandbuchhändler steigerten um 13,7% auf 1,03 Mrd. Euro, und die Onliner schossen den Vogel ab mit einer 25%igen Steigerung auf 633 Mio. Euro. Der Trend ist vorzeigbar: Der stationäre unabhängige Buchhandel hat Federn gelassen in der Konkurrenz zwischen den Marktgiganten und dem Online-Buchhandel. Lässt sich das Terrain zurückgewinnen? Lässt sich nur Schadensbegrenzung betreiben? Wird der Trend weiter nach unten gehen?

„Rationalisierungsmodelle in der Branche haben u.a. dazu geführt, dass die Austauschbarkeit in den Verlagsprogrammen und natürlich auch im Sortiment zugenommen hat, die Kategorisierung nach ABC-Verlagen hat der Langeweile im Sortiment Vorschaub geleistet“, so Bommersheim in ihrer Einführung. Und insgesamt – das zeigte später auch die Diskussion – sei zu beklagen, dass der Kontakt zum Kunden über alle Rationalisierungsbestrebungen gelitten habe. „Barsortimente haben eine neue Funktion erhalten: „Sie übernehmen zum Teil betriebswirtschaftliche Beratungen und entlasten das Back-Office des Buchhandels.“ Lassen wir es – wie in der Veranstaltung – erst einmal als These stehen.

Weniger Phlegma, mehr Wettbewerb

Dieter Seggewiß

Dieter Seggewiß von der Verlagsauslieferung Runge begann mit einem kleinen historischen Exkurs und beschäftigte sich mit dem Spartenpapier, das eigentlich die „guten Sitten“ zwischen den Sparten der Branche regeln soll. Vieles, was darin steht, taugt aber allenfalls nur noch zu wehmütiger historischer Reminiszenz auf goldene (?) vergangene Tage, oder es liest sich einfach nur noch lustig. „Das gehört auf den Prüfstand, das ist nicht mehr zeitgemäß, und – schlimmer noch – es erweckt, so wie es dasteht, falsche Erwartungen“, sagte Seggewis.

Mit ihrem Anspruch „Wir wollen die Buchhandelswelt auf den Kopf stellen“ begrüßte Seggewiß die Initiative der AUB, forderte allerdings: „Sie haben klar formuliert, was Sie von den Verlagen haben wollen, interessant wäre aber auch, zu erfahren, was Sie den Verlagen bieten können“, sagte er. Aber: Immerhin habe die AUB auch dafür gesorgt, dass das Phlegma in der Branche etwas zurückgegangen sei. „Lassen Sie uns alle den Elfenbeinturm verlassen, lassen wir uns auf ein wenig mehr Wettbewerb ein – aber verabschieden wir uns von der Vorstellung, dass die im Spartenpapier geregelten guten Sitten uns unsere geregelte heile Buchhändlerwelt erhalten werden.“

Mut zu neuen Medien

Nicolaus Millin

Nicolaus Millin, lange Jahre bei Suse Linux beschäftigt und damit erfahren in offenen kommunikativen, Systemen, hat einen kleinen Computerbuchverlag. Seine Sicht ist die eines unabhängigen kleinen Verlegers auf den von Giganten – sowohl verlags- als auch sortimentsseitig – umkämpften Buchmarkt. Und er setzt beim Kunden an: Da gibt es, zumindest im Computerbuchbereich, den „Gut-genug-Effekt“, wie Millin es nennt: Gut genug ist die schnelle und unvollständige Info, die man kostenlos aus dem Internet ziehen kann (das genau sind die sog. Snippets, die Google-Search urheberrechtsfrei anbieten will). Um verlegerisch in seinem Bereich Erfolg zu haben, muss man sich auf Communities einlassen und ganz schnell auf internationale Trends reagieren, darf auch nicht allein am Medium Buch kleben: „Warum soll der Buchhändler nicht auch Chips für E-Books verkaufen?“

Buchhändler lieben die sogenannten „Sorglos-Pakete“ der Barsortimente, ist seine Beobachtung, aber sind sie nicht zugleich auch ein Garant für wachsende Gleichförmigkeit im Sortiment? Hinzu kommt die Konkurrenz durch Amazon, Google, eBay: „Welcher Jugendliche geht zweimal in eine Buchhandlung, um ein dort nicht vorrätiges Buch zu bestellen? Bei Amazon ist es per Mausklick immer da!“ Und Millin plädiert dafür, in Verlagen und Buchhandlungen mehr Individualität zuzulassen („Mainstream gibt es schon genug…“) und den Mut zu haben, auch neue Medien auszuprobieren. Und schnell darauf zu reagieren: „Neue Medien sind schneller als das Buch, das permanent offline ist.“.

Mit welchen Modellen die Zukunft sichern?

Thomas Wich

Thomas Wich vom Barsortiment KNV startete mit nüchternen Zahlen, um die derzeitige Buchhandelswelt fassbar zu machen: Eine Mio. Titel im VLB, 12.000 arbeitende Verlage, 6.500 Buchhandlungen, 12.000 Einwohner, die im Schnitt von einer Buchhandlung „betreut“ werden, etwa 2.000 Buchverkaufsstellen, ein durchschnittlicher Ladenpreis von 15 € pro Buch, 8% Remissionsquote und: „Die Preissteigerung für Bücher liegt etwa bei der Hälfte der Tarifentwicklung.“

Was diese Zahlen für sein Haus bedeuten? 1991 hatte KNO einen Lieferumfang von 150.000 Titeln, 2005 waren es 300.000 mehr. Und: „95% des täglichen Bedarfs einer Buchhandlung werden so gedeckt, 99,5% der Titel sind permanent verfügbar.“ Sein Appell: Kaufen zu Top-Konditionen bei Top-Kunden. Aber nicht so, dass die Regale gnadenlos vollgeknallt werden, sondern so, dass den vielfältigen individuellen Bedürfnissen der Kunden entsprochen werden kann, und das bei einer ordentlichen Rendite.

Podiumsdiskussion (v.l.): Stephan Schierke, (VVA), Heidrun Schmidt-Scheerer, (BDK), Rolf Köhl, (Buchhandlung Köhl), Dr. Ludger Claßen, (Klartext Verlag) und Hermann Ludewig (Delius Klasing)

Genau darum ging es auch bei der von Helena Bommersheim geleiteten Podiumsdiskussion, an der Stephan Schierke, (VVA), Heidrun Schmidt-Scheerer, (BDK), Rolf Köhl, (Buchhandlung Köhl), Dr. Ludger Claßen, (Klartext Verlag) und Hermann Ludewig (Vertrieb Delius Klasing) teilnahmen. Diese Zusammensetzung demonstrierte das Programm und die Gegensätze. Keinen Aktionismus und das Schaffen von Standards forderte Schmidt-Scheerer von BDK, und sofort widersprach Schierke: Ende der Diskussion, lasst uns Fakten schaffen, um dem Auftrag der Kunden gerecht zu werden: mit 20% Aufwand 80% Nutzen schaffen.

Nur wie soll das gehen, wenn Sortimente eigentlich nie befragt werden, was sie eigentlich brauchen? fragte Köhl in die Runde. Claßen machte sich für den Buchhandel stark: Wir müssen mit unseren Programmen jenseits allen Mainstreams dem unabhängigen Sortiment das Überleben sichern, während Ludewig (als immer noch selbst ausliefernder Verlag) auf die condition sine qua non hinwies: Wo der Markt nicht erweiterbar ist, muss man an den Kosten arbeiten.

Ehe es zum Hauen und Stechen kam, hatten die Diskutanten auf dem Podium gute Gelegenheit, das Umfeld erst einmal abzustecken: Schierke verwies darauf, dass jedem Verlag, unabhängig wie groß, bei der VVA die komplette Logistik dieses Unternehmens zur Verfügung stehe, Köhl lud kleine Verlage dazu ein, einander bei gemeinsamen Veranstaltungen näher zu kommen.

Ein Thema, das immer wieder aufkam (und das schon in den 20er-Jahren heftig diskutiert wurde, wie Wich bewies): die Bündelung. Und, wie aus dem Publikum gefordert wurde: bessere und verlässliche Verlagsinfos, wann ein Titel denn wirklich erscheint. Weil: Wenn getrennte Backlist- und Novitätenbündelungen ausgeliefert seien, werde es immer dann teuer und auch verwaltungsaufwendig, wenn ein einzelner Novitätentitel hinterhergekleckert komme, der beim Verlag nicht rechtzeitig fertiggeworden ist.

Charmant klang für eine Weile das folgende Modell: Da alle Verlage eh alles kalkulieren, sollten sie in den Endpreis des Buches gleich den Portoaufwand mit einkalkulieren – und fertig. Freilich: Schwer vorstellbar, dass so etwas common sense bei 12.000 Verlagen werden könne.

Keine Zeit für Peanuts

Berater Arnd Roszinsky-Terjung griff dann auch harsch in die Diskussion: „Wir diskutieren hier gegenwärtig die Frage: Wie organisiert man ein Tollhaus?“ Und er plädierte dafür, bei 12.000 Produzenten und 6.000 Händlern jegliche Bestrebung nach Komplexität zu verhindern: „Lassen Sie uns bitte nie das Modell versuchen, dass alle diese Produzenten mit allen diesen Händlern ein Geschäft machen müssen.“ Claßen widersprach: Denke man das zu Ende, sei Roszinsky-Terjungs Argument ein Argument für nur noch einen Verlag und eine Handelskette mit jeweils den benötigten Filialen.

Sara Willwerth

Buchhändlerin Sara Willwerth brachte dann unter großem Beifall die Diskussion auf einen Punkt: „Buchhandlungen müssen so arbeiten, dass zum Schluss etwas übrig bleibt. Wissen Sie, wo das am besten funktioniert? Bei den Großen der Branche, die richtig gut verdienen. Wir müssen also das Rad nicht permanent neu erfinden, sondern uns Erfolgsrezepte zu eigen machen.“

Und sie zeigte das Szenario der nächsten Jahre auf: „Die Zeiten werden viel schneller viel schlechter, als wir wahrhaben wollen. Das wird erdrutschartig gehen. Es dauert eigentlich nur noch Monate, bis die großen Kettenbuchhandlungen auch die kleinen Städte für sich entdecken und in unsere Nischen eindringen.“ Energisch pochte sie auf Einhaltung bestimmter Dienstleistungsnormen, die eigentlich als selbstverständlich gelten sollten: „Zeichnen Sie die Ware aus. Diskutieren Sie nicht darüber. Tun Sie es. Jetzt sofort. Wir haben keine Zeit mehr, immer und immer solche Peanuts zu diskutieren.“

„Geben Sie mir anderthalb Jahre Zeit“, bat Stephan Schierke. „Dann habe ich einen Weg. Einen dritten Weg, mit dem sich alle diese Probleme lösen lassen.“

Die Tagung dauert an, gerade wird über die Rolle der Vertreter und Einkaufsmodelle diskutiert, morgen geht es verstärkt um Buchhandelsthemen.

Von der Tagung berichten Ulrich Faure und Matthias Koeffler

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