Literaturfonds und Gunther Nickel bekommen Schützenhilfe: Stellungnahme der Zeitschriften Am Erker / BELLA triste / Kritische Ausgabe

In die derzeit laufende Diskussion um das Projekt VOLLTEXT-Sonderausgabe, das der Deutsche Literaturfonds sponsorn will, haben sich jetzt die Herausgeber der drei Zeitschriften Am Erker / BELLA triste / Kritische Ausgabe mit dieser Stellungnahme zu Wort gemeldet:

In den vergangenen Tagen ist großes Aufsehen um das vom Kuratorium des Deutschen Literaturfonds e.V.verabschiedete Projekt gemacht worden, gemeinsam mit der Literaturzeitung VOLLTEXT eine Sonderausgabe in einer Auflage von einer Million Exemplaren zur Frankfurter Buchmesse herauszugeben.

Dabei wurden vor allem drei Punkte kritisiert: Erstens eine „Wettbewerbsverzerrung“, sobald der Literaturfonds derartig einseitig nur eine einzige Zeitung fördere. Zweitens die Tatsache, dass der Literaturfonds im Falle dieses Projekts nicht nur Gelder verteile, sondern selbst tätig werde. Drittens eine Ausweitung des zweiten Punktes: In „Gutsherrenart“ würden der Fonds und sein Lektor, Gunther Nickel, in den letzten Jahren vor allem selbstgeschaffene oder nahestehende Projekte fördern bzw. veranstalten.

Als Herausgeber kleiner Literaturzeitschriften haben wir von Jahr zu Jahr mit leeren Kassen und sinkenden Förderbeträgen der meisten dafür geschaffenen Institutionen zu kämpfen und befinden uns ständig vor dem Bankrott. Wir müssten daher vor allen anderen daran interessiert sein, einen derartig raumgreifenden, selbstischen, gleichsam absolutistischen Geldgeber anzuprangern, wie er in den drei oberen Punkten beschrieben wird. Indes, und das müsste seltsam stimmen, kommt die oben beschriebene Kritik beileibe nicht aus unserer Reihe von Bittstellern, die ohne Subventionen nicht überleben könnten.

Uns aus unserer Unterperspektive erscheint es eher so, als würden hier verschiedene größere Institutionen um den besten Platz an den Fleischtöpfen kämpfen.

Vor allem anderen sehen wir dabei die Gefahr, dass der Deutsche Literaturfonds e.V. fundamental angegriffen und beschädigt werden soll.

Wir halten den Literaturfonds für eines der am besten funktionierenden Instrumente der Literaturförderung in Deutschland. Und auch das Kooperationsprojekt gemeinsam mit VOLLTEXT finden wir richtig und unterstützenswert. Das Projekt, erstens, stellt für unsere Größenordnungen keine „Wettbewerbsverzerrung“ dar, wir sind absolut daran interessiert, uns in einer derartig hohen Auflage präsentieren zu können. Dem gesamten Literaturbetrieb muss doch daran gelegen sein, eine breitere Öffentlichkeit für Gegenwartsliteratur zu gewinnen. Und Zeitschriften und kleinere Institutionen sind ja auch in diesem Jahr wie in den vergangenen Jahren in großem Umfang vom Literaturfonds gefördert worden, die Behauptung, uns seien durch das Gebaren des Literaturfonds Finanzmittel vorenthalten worden, ist reine Suggestion.

Zweitens ist es doch geradezu wünschenswert, wenn der Literaturfonds, der als eine von wenigen Institutionen noch über Geldmittel verfügt, sich von seiner passiven Rolle löst und aktiv für einen gewissen Aufmerksamkeitskreis für Gegenwartsliteratur sorgt. Davon profitieren wir alle. Drittens haben unsere Literaturzeitschriften im Laufe der Jahre Anträge an viele verschiedene Förderinstitutionen gestellt, die meist nach rein verwaltungstechnischen Gesichtspunkten bearbeitet wurden. Der Literaturfonds wird kongenial vertreten durch einen Lektor, der auch inhaltlich Akzente setzt und diese Akzente ständig, eben auch durch Kritiken, Herausgaben, Feuilletons, kenntlich macht. Dabei achtet er auf Neutralität und bringt vor allem – von den vom Fonds durchgeführten Seminaren bis hin zum stetigen Dialog mit den Antragstellern – auch literarische Traditionen ein. Natürlich entstehen durch solche zugewandten, kritischen Betreuungen engere Verbindungen zum Lektor – zum Lektor, nicht zu seinem nachgeschalteten Kuratorium -, als dies für die Mehrzahl der Förderinstitutionen gelten mag. Durch Gunther Nickels integere Tätigkeit als Lektor und Gesprächspartner wird beim Literaturfonds nicht wahllos, sondern profiliert gefördert.

Versuche, diesen Verdienst kleinzureden, sind in unseren Augen ehrenrührig.

Joachim Feldmann für Am Erker, Florian Kessler für BELLA triste, Marcel Diel für die Kritische Ausgabe

Der Hintergrund wird aus dieser Pressemitteilung des Literaturfonds vom 1. April deutlich: Kritik gab es weniger an der Idee, eine Sonderausgabe der Literaturzeitung „Volltext“ zu machen, sondern an der Vergabe des Projektes: Weil es Verbindungen von Gunther Nickel (auch) dorthin gibt (der Referent des Fonds sei als Autor auch von VOLLTEXT auch Nutznießer der von ihm angestoßen Aktion*):

Das Kuratorium des Deutschen Literaturfonds hat in seiner Sitzung am 27. März Stipendien und Fördermaßnahmen für deutschsprachige Autoren, Übersetzer, Literaturzeitschriften, literarische Editionen und Projekte der Literaturvermittlung in Höhe von 726.795 Euro bewilligt. Außerdem wurde beschlossen, mit einer im Herbst erscheinenden “ neue Wege der Förderung deutschsprachiger Gegenwartsliteratur zu erproben. Dafür wurden als haushaltstechnische Absicherung Mittel in einer Höhe bis zu 300.000 Euro bereitgestellt, wobei ein deutlich niedrigeres Kostenvolumen angestrebt wird.
Der Deutsche Literaturfonds hat in den vergangenen 26 Jahren regelmäßig Literaturzeitschriften gefördert, um eine lebendige und vielfältige literarische Öffentlichkeit zu sichern und dieses, gerade für die junge Literatur wichtige Publikationsforum gegen den Druck des Marktes zu schützen. Literaturzeitschriften sind ein wesentliches Instrument, um das Interesse an Gegenwartsliteratur zu wecken und zu pflegen, auch wenn sie meist nur einen begrenzten Leserkreis erreichen. Vor diesem Hintergrund war der Deutsche Literaturfonds vom Vorschlag der Zeitung Volltext erfreut, mit einer einmaligen Sonderausgabe bei einer breiten Öffentlichkeit mit literarischen Texten für die deutschsprachige Gegenwartsliteratur zu werben. Andere Literaturzeitschriften, literarische Verbände und Einrichtungen der Literaturvermittlung, beispielsweise die Literaturhäuser, wurden eingeladen, bei diesem Versuch mitzuwirken und ihre Arbeit vorzustellen – viele haben bereits ihre Mitarbeit zugesagt.
Die Finanzierung der Produktion und des Vertriebs soll teilweise durch Anzeigen gesichert werden, damit die als Sicherheit bewilligte Gesamtsumme von maximal 300.000 Euro nicht ausgeschöpft wer-den muß. Da sich die Sondernummer auf eine existierende Produktionsstruktur stützt, die zum Selbst-kostenpreis genutzt werden kann, steht ein erheblicher Teil der Mittel für den Aufbau gezielter Vertriebsmöglichkeiten und die Begleitung und Nachbereitung zur Verfügung. So sollen beispielsweise sämtliche Schulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz angeschrieben, Kontakte zu den Lehrern aufgebaut und Vorschläge für die Verwendung der abgedruckten literarischen Texte im Unterricht gemacht werden. Auch die germanistischen Hochschulinstitute und Fachschaften werden angesprochen, ebenso die Bibliotheken in den deutschsprachigen Ländern vorab informiert, damit sie ein ge-zieltes Buchangebot zu den vorgestellten Autoren bereitstellen können usw. In dieser konzertierten Form hat Literaturförderung bislang nicht den Kontakt zu den Lesern gesucht, um Interesse und Neugier zu wecken. Die existierenden literarischen Einrichtungen sind dabei als Partner unverzichtbar, denn nur sie können die Impulse, die von einer derartigen Aktion ausgehen, in ihrer kontinuierlichen Arbeit aufgreifen und fortführen. Aus diesem Grund sind auch Folgeprojekte in der Trägerschaft dieser Einrichtungen vorgesehen.
Im Unterschied zur Arbeit der Feuilletons wird diese Initiative mit Literatur für Literatur werben. Die Sondernummer soll daher überwiegend literarische Texte enthalten, ergänzt durch kurze Hintergrun-dinformationen und die möglichst vielfältige Darstellung literarischer Zeitschriften und Veranstaltungs-orte. Inhaltlich wird die Zeitung von einer unabhängigen Redaktion betreut, die einen repräsentativen Querschnitt der Literaturszene bietet. Deshalb sind Vertreter der Literaturhäuser und anderer Literatur-zeitschriften ebenso eingeladen worden wie Schriftsteller und Literaturkritiker. Die Redaktion entschei-det in vollständiger Autonomie über den Inhalt. Es gibt einzig die Vorgabe, daß es sich um Neuerscheinungen bzw. Veröffentlichungen aus dem Jahr 2006 handeln muß, und daß die Wahl auf einem Qualitätsurteil der Redaktion beruht. Gesichtspunkte des kommerziellen Erfolgs dürfen die Auswahl nicht begründen, allenfalls im Sinne einer Korrektur, daß guter, junger Literatur eine Chance gegeben wird, ein größeres Publikum zu erreichen. Selbstverständlich gilt umgekehrt auch, daß Bekanntheit kein Ausschlußkriterium sein darf.

Die Funktion des Literaturfonds bei der inhaltlichen Gestaltung der Zeitung ist im wesentlichen die eines Moderators. Er bittet um die Unterstützung aller, denen an Literaturförderung gelegen ist und die mit dazu beitragen wollen, daß die deutschsprachige Gegenwartsliteratur unabhängig von den Konjunkturen des Buchmarktes besser wahrgenommen wird.
Weitere Informationen unter: www.deutscher-literaturfonds.de
Darmstadt, 1. April 2006

* Nickel hat sich heute per Mail dazu geäußert: „Diese Behauptung entspricht nicht den Tatsachen. Ich habe durch das Kooperationsprojekt keine persönlichen Vorteile, schon gar keine finanziellen. Im Gegenteil: Nach der Bewilligung der Zusammenarbeit habe ich einen von „Volltext“ erbeten Beitrag sofort zurückgezogen und vorbeugend gegen den Vorwurf einer Interessenkollision erklärt, bis auf weiteres nicht mehr für diese Zeitung als Autor tätig sein zu können.“

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