31.8.2005: Christian Strasser (60)

Christian Strasser wird heute 60 Jahre alt. Der jetzige Pendo-Verleger – gerne abgekürzt CS genannt – ist zweifellos der schillerndste, umstrittenste und bewundertste Verleger in der deutschen Buchbranche: Kein anderer Verleger ist in den vergangenen zehn Jahren exponierter gewesen, keiner hatte mit größeren und hartnäckigeren Vorurteilen zu kämpfen, keiner war eklatanteren Missverständnissen ausgesetzt – im Inland wie im Ausland. Man hat ihn mit allerlei Etiketten zu bekleben versucht: Scheckbuch-Verleger, Spieler, Hasardeur, Größenwahnsinniger, egofixierter Expansionist. Alles Unfug!

Warum ist es so schwer, ihn zu verstehen? Weil die Kombination seiner Eigenschaften, seiner Talente und auch seiner ehrgeizigen Visionen in dieser in klage- und jammerfreudigen Verlagswelt wie eine einzige Provokation wirkt: Die offen zum Ausdruck gebrachte Lust an der Expansion, die schiere Freude am Wachsen (und das meine ich nicht unbedingt ökonomisch, sondern eher psychologisch), das wirkte befremdlich an diesem Selfmademan, der, wenn’s drauf ankam, lustvoll seinen letzten Euro investierte. Seine spirituellen Führungsqualitäten, sein ungestümer Weg an die Spitze (dorthin, wo andere es sich bequem eingerichtet hatten), seine Inspiration, von der er reichlich hat und gibt – das alles veranlasste die Alarmglocken in der Branche zu einem ununterbrochenen Geläute.

Und noch etwas war irritierend: die Freiheit. Sie ist seine eigentliche Motivation. Kein anderer Verleger hat den Primat des Programms vor all den Parametern des Erfolgs, die sich in Kennzahlen, Umsatz, Ergebnis und Gewinn messen lassen, so verteidigt, keiner seinen Verlags- und Programmleitern soviel Kreativität abverlangt und ihnen zugleich soviel – in dieser Branche ungewöhnlichen und inzwischen unerhörten – Freiraum gelassen. Die Jahre, in denen ich zunächst den List Verlag leitete und schließlich – nach der Fusion des Verlagshauses Goethestraße mit Econ – den Marion von Schröder Verlag übernahm, zählen fraglos zu meinen unruhigsten, vitalsten und auch mutigsten. Sie waren es durch Christian Strasser, durch sein Zutrauen (das beängstigend grenzenlos sein kann), durch seine Chuzpe, durch seinen bezwingenden Charme und eine Liebenswürdigkeit, die nicht ohne Härte (oder sagen wir besser: Überzeugungsfähigkeit) ist und deshalb frei von jeglicher Bonhomie und Jovialität.

So war und ist CS Gallionsfigur, strahlender Ritter in schimmernder Rüstung, lonesome Rider. Einer mit Leidenschaft, ein Unternehmer im wahrsten und ursprünglichsten Sinn des Wortes. Zunächst beherrschte er das Spiel „David gegen Goliath“ perfekt – bis er bzw. „seine“ Verlagsgruppe selbst zum Goliath, zur oft beschworenen „dritten Kraft“ unter den Verlagskonzernen wurde. Und er alles wieder verlor.

Doch ist sein Lebenswerk vor fast einem Jahr zerbrochen? Ach was. Wer so denkt, hat nichts begriffen. Ohne Christian Strasser – das ist eine Tatsache, keine These – würde es die Verlage Bucher, Claassen, Econ, List, Marion von Schröder, Südwest, Propyläen und einige andere, vermutlich auch Ullstein nicht mehr geben. Das ist die historische Leistung Christian Strassers. Jeder redet nur von seinem vermeintlichen Scheitern, doch diejenigen, die heute unter diesen Namen und unter anderer Flagge Programm machen, sollten nicht vergessen, wo all diese maroden, heruntergewirtschafteten, perspektiv- und ideenlosen Verlage waren, als Strasser sie übernahm. Es gäbe sie nicht mehr, nicht in dieser Form, nicht in diesen gesicherten Verhältnissen.

Heute, nach der großen Enttäuschung, die ihm alle Kraft abverlangt und die er mit einer bewunderungswürdigen Größe verarbeitet hat, betritt CS die Bühne noch einmal. Er will es, wie man so sagt, „wohl noch einmal wissen“. Das Stück, das er mitbringt und aufführt, heißt „Pendo“, es könnte auch „Independo“ heißen. Auch mit diesem „kleinen Verlag der großen Bücher“ lebt er sein Credo: Innovation, Überraschung, Inspiration. Und Unabhängigkeit, innere wie äußere.

Christian Strasser ist und bleibt für mich der Gentleman-Verleger. Ja, überraschend, nicht wahr? Er ist es durch seine Fairness, durch seine Großzügigkeit, durch seine mitreißende Kraft, durch den spirit, den man von ihm reichlich bekommt. „Fly with him“, hatte mir jemand zu Anfang unserer Zusammenarbeit geraten. Diesen Rat habe ich beherzigt. Wir sind geflogen, wir hatten die Sterne in den Händen – Bücher, für die wir alles gegeben haben. Ich finde dafür nur ein Wort: großartig!

Von ihm habe ich das meiste gelernt. Keiner vermochte mich so zu inspirieren, keiner hat mir so vertraut, keiner hat mir so in die Augen gesehen und auch die Persönlichkeit, die ihm gegenüber saß, zu erkennen und zu verstehen gesucht. Er hat mich auch ziehen lassen, als ich wollte. Das Abschiedsfest, das er für mich gab, gehört zu den sentimentalsten, wehmütigsten, schönsten Stunden in meinem nun auch schon 20 Jahre währenden Verlagsleben. Es hatte auch andere Trennungen in dieser Verlagsgruppe gegeben – meine hatte fast schon wieder etwas von dem Anfang, dem bekanntlich ein Zauber innewohnt.

Christian Strassers Lieblingsbuch in der Jugend war Sammy Drechsels „Elf Freunde müßt ihr sein“. Er hatte diese elf Freunde, nicht „Ocean’s Eleven“, sondern „Strasser’s Eleven“. Die Elf wissen, wer gemeint ist. Er hat sie noch heute, „die roten Teufel“, wenn auch nicht mehr alle in seiner Mannschaft. Doch wenn er sie riefe, sie kämen alle noch einmal.

Unglaublich, dass dieser Junge nun 60 wird. Er war immer jünger als ich, als wir alle. Und wird es immer bleiben.
Johannes Thiele

(Johannes Thiele hat 1995 bis 2001 mit Christian Strasser gearbeitet)

Lesen Sie dazu auch PROFILE im April- und DIE 11-BÜCHER-FRAGE im August-Heft von BuchMarkt. Mehr über das Pendo-Programm durch Klick auf das Foto.

Kontakt: christian.strasser@pendo.de

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