Mehr als 200 Teilnehmer bei der AKJ-Jubiläumstagung in Tutzing / Rege Diskussionen über 50 Jahre Deutscher Jugendliteraturpreis

Der Deutsche Jugendliteraturpreis (DJLP) ist der einzige Staatspreis für erzählende Literatur in Deutschland. Das allein legitimiert noch keine dreitägige Tagung zum Thema, wohl aber der Umstand, dass es damit ein »rundes« Jubiläum zu feiern und wohl auch Rückblick zu halten gilt: Seit 1955 nämlich wird der Preis nun schon, also ein halbes Jahrhundert lang vergeben.

Rund 200 Interessierte kamen nach Tutzing

Aber selbst der DJLP ist nur einer unter sehr vielen Literaturpreisen im Lande, dessen (Aus-)Wahl von einer Jury nach ganz subjektiven Maßstäben und Kriterien erfolgt. Mehr als andere bewegt er sich vielleicht gerade deshalb im Spannungsfeld zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Insofern muss ein solches Jubiläums-Treffen gleichwohl zur aktuellen Bestandsaufnahme werden. Und das Interesse an einer solchen scheint groß.

So waren mehr als 200 Teilnehmer und Referenten der Einladung des Arbeitskreises für Jugendliteratur e.V. (AKJ) am Wochenende (6. bis 8. Mai 2005) in die Evangelischen Akademie nach Tutzing gefolgt: »Jugendliteratur und kultureller Wandel – 50 Jahre Deutscher Jugendliteraturpreis« war die Tagung überschrieben. Verleger und Lektoren, Lehrer und Erzieher, Buchhändler und Bibliothekare, Übersetzer, Autoren und Illustratoren, Journalisten und Redakteure, Studenten und Praktikanten – die Teilnehmerschar war heterogen gemixt. Anwesend waren u. a. sogar die »Grande«-Damen der Jugendliteratur Heidi Oetinger und Maria Friedrich. Sie alle einte: das Interesse an der Kinder- und Jugendliteratur.

Renate Schmidt im Interview

Und weil der AKJ als Dachverband der Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland mit seinen rund 40 Mitgliedsverbänden und mehr als 200 Einzelpersonen finanziell vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird, war es der Bundesministerin Renate Schmidt wohl eine angenehme Pflicht, die Tagung mit einem engagierten Grußwort eröffnen. Sie plädierte nachdrücklich für die Ziele des Preises: das Lesen (von Büchern) und die damit verbundene Förderung des Textverständnisses; »Schlüsselkompetenzen« seien dies, deren Verzicht wir uns in der Gesellschaft nicht leisten könnten.

Trotz der Umbrüche und Entwicklungen in medialen wie gesellschaftlichen Bereichen weise der DJLP (der zunächst ja lange Deutscher Jugendbuchpreis hieß) in seinen 50 Jahren eine »erstaunliche Kontinuität« auf, sagte Dr. Gundel Mattenklott, Professorin an der Berliner Universität der Künste und Kritikerin, auch wenn es phasenweise eine »besondere Erregungsintensität« gegeben habe.

Mit ihrem bewundernswert strukturierten Eingangsreferat »Kindheitsbilder im Wandel« streifte Mattenklott methodisch klar und pointiert »Stationen, Wendepunkte und Moden in den ausgezeichneten Kinder- und Jugendbüchern« der fünf Jahrzehnte. (Was insbesondere deshalb nicht einfach war, weil immer wieder und viel über den Preis und seine Historie referiert und geschrieben wurde, nicht zuletzt erschien vor zehn Jahren zum 40. eine viel beachtete Dokumentation zum Thema.)

Besonderes Augenmerk richtete Mattenklott auf inhaltliche Aspekte, die sie mit »Idylle«, »Psychologische Kindheitserkundung« und »Schöpferische Spielphantasie« überschrieb, und sie vergaß auch nicht, die Rollenbilder von Erwachsenen zu streifen. Beinahe hätte mancher sein »Tagungsziel: Information und Erkenntnisgewinn« mit Mattenklotts Referat schon als erreicht betrachten können.

Paul und Nele Maar

Passend dazu berichteten übrigens die Autoren Dr. Kirsten Boie und Paul Maar (in »Vertretung« von Peter Härtling, der wie Karl Waechter leider aus Krankheitsgründen nicht anreisen konnte) unter der Headline »Kinderfiguren im Wandel« aus ihren individuellen Schreibwerkstätten und offerierten dabei jeweils ganz eigene poetische Welt- und Werksichten zwischen realistischer und phantastischer Kinderliteratur.

Andere Tagungsbeiträge wie »Was macht ein Buch preiswürdig? Kinder- und Jugendliteratur-Kritik im Wandel« (ein Referat von Dr. Otto Brunken, Privatdozent und derzeit Vorsitzender der Kritikerjury des DJLP) oder »Von der Zeitabhängigkeit der Kritik« (eine Diskussion u.a. mit Christoph Schmitz, Der Spiegel, vorher Deutschlandfunk und Dr. Hajo Steinert, Deutschlandfunk) widmeten sich vor allem rezeptionskritischen Aspekten der Preisbücher bzw. der Wahrnehmung des Preises selbst.

Eine Podiumsrunde u. a. mit Anne Schiekel (dtv junior-Programmleiterin) und Dr. Edmund Jacoby (Gerstenberg-Verlagsleiter) war überschrieben mit »Was macht ein (Preis)buch erfolgreich? Preisbücher kontrovers: Bestseller – Longseller – Ladenhüter?«. Dass es dafür in der Historie des Preises ganz unterschiedliche Belege für dieses oder jenes gibt, zeigt ein Blick auf die Preisträger der zurückliegenden Jahrzehnte. Die Zeiten aber, in denen Vertriebsleiter beinahe »gebetet« haben, dass ein Buch aus ihrem Verlag hoffentlich nicht den Preis erhält, dürften der Vergangenheit angehören. Viele Novellierungen und Modifizierungen haben den Preis ja gerade in den letzten zehn Jahren »weiter nach vorn gebracht«.

Darüber hinaus wurden auch der internationale Aspekt und jener des deutsch-deutschen Zusammenwachsens« thematisiert. In einem weiteren, gleichermaßen launischen wie unterhaltsamen Werkstattgespräch stellte zudem der Illustratoren-»Sonderpreisträger« (und »Provokateur«, wie er schon mal genannt wurde) Nikolaus Heidelbach seine Sicht der Dinge dar.

So belegte die Tagung eindrucksvoll und auf qualitativ hochwertigem Niveau, dass die Geschichte des Deutschen Jugendliteraturpreises eben auch wesentlicher Teil der Entwicklungsgeschichte der Kinder- und Jugendliteratur der letzen 50 Jahre in der Bundesrepublik ist. Die Juryentscheidungen haben ja nicht selten tiefen Einblick in das jeweils vorherrschende Gesellschaftsverständnis gegeben, haben kulturgeschichtlichen Wandel und veränderte Kindheitsauffassungen ebenso widergespiegelt wie Akzentverschiebungen innerhalb der Kinder- und Jugendliteraturkritik.

Dr. Hannelore Daubert, Vorsitzende des Arbeitskreises, betonte, dass sich der DJLP als anfängliche »Waffe« gegen »Schmutz und Schund« und Plädoyer für das »gute« Buch für junge Leser in den Jahren doch entscheidend verändert habe: von überwiegend (literatur)pädagogischer Ausrichtung der 50er Jahre über die ideologie- und sozialkritische Entwicklung nach 1968 bis hin zur literarästhetischen Akzentuierung seit Mitte der 80er Jahre habe der Weg geführt. Viele dieser Wegsteine zeichnete die Tutzinger Tagung stichpunktartig nach.

Dass sich die Juryentscheidungen stets – der Zielsetzung des Preises entsprechend – im Spannungsfeld zwischen Literatur- und Leseförderung bewegten, ist klar. Dass dabei nicht selten das »Korsett der Sparteneinteilung« ebenso durchbrochen wurde wie die Struktur der Altersgrenzen, ist ebenso unstrittig. Natürlich wurden auch zahlreiche streitbare Thesen geäußert: Wenn es den DJLP nicht gäbe, hieß es, wäre die literarische und künstlerische Qualität der Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland nicht auf dem jetzigen Niveau.

Der DJLP habe zur Qualitätssteigerung der Kinderliteratur beigetragen. Durch den DJLP sei die Kinderliteratur »salonfähig« geworden. Der DJLP habe das Bewusstsein in der Öffentlichkeit und in den Medien für die Kinderliteratur gestärkt. Der DJLP habe Best- und Longseller produziert. Der DJLP habe Verlage zu »mutigeren« Programmentscheidungen motiviert. Der DJLP habe Autoren und Illustratoren ermutigt, ihrem Stil treu zu bleiben.

Vieles davon bleibt während so einer Tagung naturgemäß unwidersprochen, unkommentiert. Dabei scheint nicht jede der Thesen so fest zementiert, wie diese hier (die auch geäußert wurde): Manche Bücher haben den DJLP nie erhalten, was eine »Schande« sei, ebenso wie der Fakt, dass manche Bücher den DJLP erhalten haben. Aber damit sind wir wieder beim Faktor »Subjektivität« (siehe oben).

Wenn denn die Tagung, die mit einem scheinbar »objektiven« Motto überschrieben gestartet war, den Focus letztlich genau darauf gelegt hat – und das hat sie, beabsichtigt oder ungewollt, mit ihren vielen individuellen Vorträgen und Meinungsäußerungen geradezu bewundernswert -, dann hat sie viel geleistet. Mehr als zu erwarten war.

Die Tagungsbeiträge sollen übrigens demnächst in einer Dokumentation des Arbeitskreises nachzulesen sein. Wünschenswert wäre es, und demokratisch wie zeitgemäß zudem, wenn der Arbeitskreis die Vorträge und Diskussionen schnell und unkompliziert im Internet www.jugendliteratur.org publizierte und für alle Interessenten zugänglich machen würde. Auch das würde einem der Ziele des DJLP – nämlich das öffentliche Interesse an der Kinder- und Jugendliteratur und die Diskussion über sie wach zuhalten – bestens entsprechen.

Harald Kiesel
harald-kiesel@web.de

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