Teil 2: Amazon hat die Verlage für das „Search Inside the Book“-Projekt in seine Strategie eingespannt. Kernfragen aber sind undiskutiert geblieben

Was das Einholen von Genehmigungen zur Digitalisierung von Buchinhalten für sein „Search Inside the Book-Programm betrifft, so ist, wie in der vorausgehenden Kolumne schon erwähnt [mehr…] Amazon bisher nie unmittelbar – bei Agenten und Autoren – aktiv geworden.

Amazon hat die Verantwortung dafür nämlich voll und ganz auf andere abgewälzt: auf die Verlage.

Die beteiligten US-Verlage jedoch sind von Amazon – im Rahmen der nun auch in Deutschland praktizierten Geheimdiplomatie – über alle entsprechenden Gespräche zu Stillschweigen verpflichtet worden.

(Da es dort damals um die Einführung eines neuen Geschäftsmodells ging, werden sie wohl auch Grund gehabt haben, keinen Mucks von sich zu geben: Das juristische Risiko etwaiger Schadenersatzklagen wegen Geschäftsschädigung – etwa durch vorzeitige Alarmierung der Konkurrenz – war gewiss nicht unbeträchtlich.)

Es gab folglich keine offene Diskussion der Sache: weder verlagsintern, noch in der Branche, noch unter den Autoren, ihren Agenten und Verbänden, noch in den relevanten Medien.

Auf diese Weise wird Kunde vom Amazon-Projekt „Search Inside the Book“ erst sehr spät ruchbar geworden sein – zu einem Zeitpunkt vermutlich, als die Absprachen mit 190 US-Verlagen über 120.000 Titel längst unter Dach und Fach waren.

Die schon erwähnte Authors Guild etwa hat erst ungefähr drei Monate vor dem Start Wind von der Sache bekommen (und darauf – wie Verbände es leider oft an sich haben – allerdings nur zögerlich reagiert: „tepid“ – lauwarm, halbherzig – wie ein amerikanischer Jurist es ausdrückte.

Und so konnte Amazon mit seinem „Search Inside The Book“ in den USA wohl tatsächlich in Betrieb gehen.

Tatsache scheint allerdings auch: Amazon selbst haben die juristisch wie administrativ sehr fragwürdigen Aspekte und Konsequenzen des SITB-Projekts damals (wie offenbar bis heute) kaum einen Deut gekümmert.

Dass Amazon es im Oktober 2003 in den USA auf 190 teilnehmende Verlage brachte, ist wohl auch folgendem Umstand zuzuschreiben: Viele kleine und mittlere unabhängige Häuser sind mit ihren Titeln – ohne gefragt zu werden, vielleicht sogar ohne je darüber informiert zu werden – von ihren Auslieferungen (meist Tochterfirmen von Großverlagen) amazonisch eindigitalisiert worden sind:

Das freilich stellt eine Form nacktester Rechtsverletzung dar: Ein Verlag kann (auch in den USA nicht) selbst ein Copyright, über das er wirklich verfügt, nie und nimmer an eine Auslieferung delegieren und eine Auslieferung unter keinen Umständen darüber je verfügen.

Problempunkte über Problempunkte
1.
Ausgangspunkt der Amazon-Überlegungen war – in dem Zusammenhang insgesamt höchst aufschlussreich: http:/www.authorslawyer.com/c-amazon.shmtl – wohl die Überlegung: Per Autorenvertrag ist es Verlagen gewöhnlich gestattet, kleine Teile eines Werkes – „Exzerpte“ – für Promotions- und Werbezwecke frei, d.h. ohne Honorierung des Autors zu verwenden. Genau das behauptet Amazon nun ja auch zu tun, wenn er versichert, mit „Search Inside the Book“ werde den Kunden jeweils immer nur ein kleiner Teil zugänglich gemacht.

Eben das wird von Kritikern bezweifelt. Die Authors Guild konnte bereits im Oktober 2003 demonstrieren, dass in einem Fall gleich über 100 Seiten gelesen und ausgedruckt wurden. Und der Vorstandsvorsitzende der Penguin-Gruppe in den USA weigert sich mitzumachen, weil er (noch) keine Gewähr gegeben sieht, dass die Sicherheitsbehauptungen Amazons wirklich zutreffen – damit aber wäre „Search Inside the Book“ urheberrechtlich von vornherein nicht abgesichert und die Annahme von Seiten Amazons, dass Verlage die Genehmigung zur Digitalisierung ihrer Titel geben könnten, eo ipso ohne Fundament.

2.
Das „Exzerpt“-Argument mag generell für Romane und Sachbücher gelten. Verlage haben jedoch auf keinen Fall das Recht zu einer solch unentgeltlichen Textfreigabe bei Titeln, die aus kürzeren Teilen bestehen, welche je für sich urheberrechtlich geschützt sind – weil sie komplett „exzerptiert“ werden könnten. Das trifft etwa zu auf Anthologien und Sammelbände jeder Art-, auf Lyrik- und Erzählungsbände, Kochbücher etc etc

3.
Register sind für sich urheberrechtlich geschützt. Bei vielen Werken verbleibt das Recht auf Erstellung von Registern zur Aufschlüsselung des Textes beim Autor, in anderen Verträgen (oft etwa für Sachbücher) haben Autoren es an den Verlag übergeben.

Jedes Schlüsselwort-Instrumentarium, das Amazon für sein „Search Inside the Book“ ohne vorherige Genehmigung des jeweiligen Autors bzw. Verlages erstellt und nutzt, stellt eine Verletzung dieses Urheberrechts bzw. Copyright dar.

Derzeit ist noch unklar, in welchem Umfang Amazon plant, aus den Suchprozessen seiner Kunden spezielle Register aufzubauen. Aus Sicht der Holtzbrinck Verlage wäre eine detaillierte Information über die Suchbegriffe, die heute in den USA von amazon-Kunden eingegeben werden, und die ausgelösten Käufe (die „conversion rate“) von Interesse. „Wir wissen heute nicht, welche Suchbegriffe in den unterschiedlichen Genres Kaufentscheidungen auslösen und welche möglicherweise den Buchkauf überflüssig machen, weil der Suchende mit den Fundstellen schon alles erfährt, was ihn interessiert“, erklärt Rüdiger Salat.

Darüber ist vielleicht auch noch nichts bekannt. Andererseits weiß man, dass Amazon in der Regel sehr ausgefeilte Auswertungsmethoden einsetzt, um seine Kunden zu verstehen und optimal zu bedienen. Wie können Autor und Verlag sicher sein, dass die Schlüsselbegriffe und -wendungen fürs Surfen wirklich verkaufsfördernd und nicht etwas ganz Anderes sind.

Zu dieser kritischen Frage mehr im letzten Teil Kolumne am Montag.

Zum 1. Teil: [mehr…]

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