Bei „Search Inside the Book“ spielt Amazon Wildwest mit Verlegern und Autoren.

Nun versucht Jeff Bezos also, seine zweite Revolutionierung des Buchhandels mittels neuer Technologie auch in Deutschland durchzusetzen.

Dieses war der erste Streich…

Die erste begann im Juli 1995, als Jeff Bezos mit seiner Online-Buchhandlung amazon.com in einer Garage in Betrieb ging.

Innerhalb von nur fünf Jahren (!) kam er, mit einer langsam aber stetig wachsenden Zahl weiterer Produktlinien, auf eine Milliarde Dollar Umsatz.

Das Geheimnis des Erfolgs: Den (End-)Kunden wurde eine bis dahin einmalige Fülle von Titeln präsentiert und aufgeschlüsselt; sie bekamen eine neuartige Fülle an Informationen über die einzelnen Titel an die Hand; ihnen wurde eine – für die USA (wie für den ganzen englischen Sprachraum, den globalen Markt für englischsprachige Literatur sowieso) – unerhört prompte Lieferung der bestellten Titel garantiert.

(Zu Letzterem: Es muss noch einmal deutlich darauf hingewiesen werden: Das deutsche Barsortiments-System mit seinen dem Apothekendienst vergleichbaren Leistungen ist dorten unbekannt.)

Für die grandiose Umsatz-Entwicklung von amazon.com ausschlaggebend war eine Kombination der Handelsmechanismen des traditionellen Versandbuchhandels mit den neuartigen Informationsmöglichleiten des Internet und mit dem Aufbau eines neuartigen großen Buchkatalogs.

(Wiederum Letzteres betreffend: Dort gab es bis dato nichts, das die Funktion unseres international beispielhaften Verzeichnisses lieferbarer Bücher (VlB) oder der hervorragenden Kataloge deutscher Barsortimente auch nur annähernd hätte erfüllen können.)

Alles in allem hat Jeff Bezos mit amazon.com ein sensationell neues Geschäftsmodell für den Buchhandel auf die Beine gestellt und dafür – eine ebenso große Leistung – Investoren zu finden verstanden, die bereit waren, seiner Idee zu vertrauen und auf schnelle Renditen erst mal zu verzichten.

Auch amazon.de erzielt inzwischen rund 380 Euro-Umsatzmillionen. Auch bei uns sind längst totgeglaubte Backlist-Zonen vor allem des Sach-, Fach- und wissenschaftlichen Buchs wieder aufgeblüht. Für die Verlage war (und ist) diese erste Amazon-Revolution ein Glücksfall – ein wahres Geschenk (selbst wenn sie Amazon – wie inzwischen wohl allen buchhändlerischen Großunternehmen – oft horrend steigende Konditionen einräumen müssen).

… und der zweite folgt sogleich

Die zweite Amazon-Revolution begann vor 16 Monaten – auch sie auf einen Schlag, genau wie die erste, und wiederum in den USA, am 23. Oktober 2003. Sie basiert auf einem Projekt mit dem Namen „Search Inside the Book“.

Das eigentlich Neue daran ist freilich – hier muss einem von Amazon geschickt verbreiteten Hype einmal energisch widersprochen werden – mitnichten eine von Amazon selbst eigens entwickelte „neue Technologie“.

Die sogenannte „neue Technologie“ ist nämlich älteren Datums. Sie wird von Bibliotheken und für Zeitschriften schon seit Ende der 1990er Jahre benutzt.

Das Neue an amazons „Search Inside the Book“ ist die Anwendung dieser „alten“ neuen Technologie für den Verkauf urheberrechtlich geschützter Bücher.

Bis dato konnte man solche aktuellen Bücher im Internet nur nach Titel, Autor, Thema oder Schlagwörtern suchen. Wer Genaues über den Inhalt wissen wollte, etwa um zu entscheiden, ob das (Sach)-Buch die Informationen enthält, die man braucht, musste also im Buch selbst nachschlagen, also – wenn er es nicht auf Verdacht gleich kaufen wollte – schon in eine Buchhandlung gehen und drin stöbern (falls es denn dort vorrätig war).

Nun machte amazon.com es möglich, im digital erfassten vollständigen Text von Büchern nach Schlüsselworten und -formulierungen zu suchen und bis fünf Seiten des Textes in einem Zug am Bildschirm zu lesen und/oder auszudrucken – bis zu 20 Prozent des Inhalts pro Titel bzw. (über viele Titel verteilt) bis zu ein paar tausend Seiten pro Monat.

Auf diese Weise, so erklärte amazon.com, kann jedermann/jedefrau genau das eben benötigte Buch entdecken und bezeichnet die Neuerung als die buchverkaufsfördernde Erfindung par excellence.

Amazon.com gab – für die am ursprünglichen, am 23. Oktober 2003 digitalisierten 120.000 Titeln von 190 Verlagen – bald darauf jubelnd eine Umsatzsteigerung von querbeet 9 Prozent bekannt.

In Deutschland stösst Amazon mit Search Inside the Book auf Skepsis

Sein neues „Search-Inside-The Book“-System (SITB) wollte Amazon eigentlich schon zu Beginn dieses Jahres auch für den deutschsprachigen Markt einführen.

Die Sondierungen bei deutschen Verlagen im vergangenen Herbst haben offenbar aber nicht genug teilnahmewillige Partner gebracht. Der Start für den deutschsprachigen Raum musste verschoben werden.

Zur Zeit bemühen die deutschen Amazon-Vertreter sich angeblich ganz besonders darum, kleine und mittlere Verlage für das Projekt zu gewinnen – man hofft jetzt wohl, den Start des deutschen SITB im April bekannt geben zu können.

Ich habe hier keine Ratschläge zu erteilen, meine aber doch: Die deutschen Verlage sollten weiterhin gründlich nachdenken, bevor sie da mitmachen.

Amazon praktiziert Geheimdiplomatie: Jeder Verlag muss sich verpflichten, über den Inhalt, die Grundlagen und die konkreten Ergebnisse seiner diesbezüglichen Gespräche Schweigen zu bewahren.

(Besonders Vertrauen erweckend ist das nicht eben. Warum es nachgerade Misstrauen säen könnte, wird weiter unten dann noch erwähnt.)

Insofern fällt es schwer, über den aktuellen Stand der Dinge Genaues in Erfahrung zu bringen. Bis Amazon selbst Ross und Reiter zu nennen bereit ist, darf vermutet werden: Eine große Mehrheit der deutschen Verlage hält sich noch zurück.

Bislang sind – außer Wiley VHC – bloß zwei bedeutende mittelständische deutsche Verlage bekannt, die sich definitiv für eine Teilnahme entschieden haben. Campus „betrachtet es als Teil seiner partnerschaftlichen Beziehungen mit Amazon, sich an diesem Projekt zu beteiligen“ (Thomas Schwoerer). Und der Fachbuchverlag Hanser ist ebenfalls überzeugt, mittels SITB über Amazon -mehr von seinen Büchern verkaufen zu können.

Der belletristische Hanser Verlag dagegen weist eine kolportierte Teilnahme an SITB in einem mir bekannten Brief seines Leiters Michael Krüger von sich.

Und Suhrkamp hat – um missverständliche Formulierungen andernorts zu begradigen – keineswegs fest und generell zugesagt. Vielmehr führt man Verhandlungen, die sich, wie Georg Rieppel in einem Gespräch erklärte, noch im Stadium offener Gespräche befinden, in deren Rahmen – sofern die betroffenen Autoren zustimmen – auch ein Test durchgeführt wird, mit einer ganz kleinen Zahl von Titeln, hauptsächlich aus dem Wissenschaftsbereich, um die generell von amazon.com über SITB behaupteten Zusatzverkäufe für Deutschland überprüfen zu können.

Und wie verhalten sich die Konzerne und deutschen Großverlage gegenüber SITB?

Verlage haben kein Lizenzierungsrecht für elektronischer Veröffentlichungen vom Büchern

Die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck (Droemer Knaur, S. Fischer, Kiepenheuer & Witsch, Rowohlt u.a.) schließt eine Teilnahme „in der derzeit von Amazon diskutierten Form aus juristischen Gründen aus“ – so Rüdiger Salat, der Geschäftsführer des Stuttgarter Familienunternehmens für die deutschen Verlage. „Wenn der gesamte Text eines Werkes gescannt und bei Amazon verfügbar gemacht wird, ist das nach unserem Verständnis nicht mehr als Werbung zu verstehen. Das Recht, die Texte unserer Autoren in eine weltweit zugängliche Datenbank einzustellen, haben wir heute nur in Ausnahmefällen.“

Die Bonnier-Gruppe (Carlsen, Piper, Ullstein Econ List u.a.) gibt keine so grundsätzliche Position zu erkennen, wird aber – nach Auskunft ihres Geschäftsführers Jedicke – auf jeden Fall vorläufig abwarten.

Was Random House betrifft, sollte man sehr genau Acht geben – auch darauf, mit wem man dort spricht. Da hat es jüngst nämlich schon Berichte, und sogar Zitate gegeben, die – unbesehen – beinah schon als Falschmeldung hätten missverstanden werden können.

So ist zwar richtig, dass die Münchner Random-Häusler sehr früh – vielleicht gar als erster Verlag in Deutschland, eine Erklärung für SITB an Amazon abgaben, nachdem ihre Kollegen in der New Yorker Zentrale sich dafür entschieden hatten.

Eine sozusagen operative globale Entscheidung aus New York existiert jedoch mitnichten. Bei der britischen Random House-Gruppe ist die Geschichte – auch wenn es in Deutschland sogar manchmal bestritten wird – mitnichten ausdiskutiert, es überwiegen – wenn man sich London selbst umhört – massive Bedenken. Und die deutsche Random House-Gruppe sieht es so, dass „wir erst einmal klären müssen, wie weit die Autoren auf die Forderungen und Vorstellungen von Amazon einzugehen bereit sind“ (Klaus Eck). Hier geht man also, nach erstem allgemeinem Einverständnis, im Konkreten absolut korrekt mit gebührender Zurückhaltung vor – indem man sich beispielsweise mit der Liste der von Amazon für SITB gewünschten Autoren um Genehmigung an die zuständigen literarischen Agenturen gewandt hat.

Und da ist die Kuh nun erst mal auf dem Eis – und so fest mit dem Schwanz eingefroren, dass die Amazon-Repräsentanten sich genötigt sehen zu tun, wogegen sie sich bislang mit Händen und Füßen wehrten: sich selbst direkt in die Bemühungen um Autoren einzuschalten. Anfang März wollen sie zu Gesprächen mit Autoren-Agenten nach Zürich reisen.

Denn: “Die Verlage verfügen gar nicht über das Recht, Amazon so etwas zu gestatten. Kein einziger der mehr als 5000 Verträge, die meine Agentur mit deutschsprachigen Verlagen abgeschlossen hat, gestattet einem Verlag eine Rechts-Einräumung der elektronischen Veröffentlichung eines Werkes in dieser Form“, sagt Peter S. Fritz.

Es ist ein neues Recht, das beim Autor, beim Urheber liegt und „müsste vom Verlag in jedem einzelnen Fall überhaupt erst eingeholt werden.“

„Außerdem“, gibt Peter S. Fritz weiter zu bedenken, “ist eine mehr oder weniger automatische Vergabe solchen Rechts kaum möglich, da es andere Rechte berühren oder überschneiden könnte.“

Diesen Standpunkt vertritt übrigens die Mehrheit der großen von Peter S. Fritz vertretenen amerikanischen Literaturagenturen. Die gleiche Auffassung gibt von Anfang an auch die dortige Authors Guild kund und zu wissen – der älteste, mit über 8.000 Mitgliedern größte Autorenverband der USA.

Wie konnte Jeff Bezos’ „Search inside the Book“ dann aber in den USA überhaupt starten?

Über Hintergründe mehr in meiner nächsten Kolumne.

Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung … und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de. Natürlich können Sie diese Kolumne auch im BuchMarkt-Forum diskutieren. Einfach oben auf der Seite den Button „Forum“ anklicken, einloggen und los geht‘s.

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert