Zehn Bremer Schriftsteller folgen Jürgen Alberts mit Austritt aus VS/ver.di ausgetreten

Eben erreicht uns die Nachricht, dass zehn Bremer Schriftsteller aus dem VS/ver.di ausgetreten sind und offensichtlich über die Gründung eines neuen Verbandes nachdenken [mehr…].

Jürgen Alberts

Vorausgegangen war der Rücktritt von Jürgen Alberts aus dem Bundesvorstand des VS und sein Austritt aus ver.di. Schon am 6. Dezember hatte er geschrieben: „Was haben Schriftsteller in der Gewerkschaft ver.di verloren? Ihre Handlungsfreiheit.“

Alberts weiter:

„Hiermit erkläre ich meinen Rücktritt als Mitglied des Bundesvorstandes des Verbandes Deutscher Schriftsteller und zugleich meinen Austritt aus ver.di. Wenn ich die Entwicklung des VS seit dem Zusammenschluss der Gewerkschaften anschaue, muss ich feststellen, dass es auf Bundesebene fast keine Verbandsarbeit mehr gibt, da wir von immer neuen Sparrunden erschüttert werden. Hauptthema aller Sitzungen: kein Geld! Wir sind bloße Mangelverwaltung geworden.
Dazu ein paar Beispiele aus dem Bundesvorstand:
a) Ingrid Protze organisiert das Projekt „Schüler treffen Schriftsteller“, in Zeiten von PISA mehr als notwendig. Der VS hätte das Vorhaben nicht durchführen können. Das Geld dafür musste anderswo besorgt werden. In diesem Falle kommt es von der „Bundeszentrale für politische Bildung“.
b) Reimar Eilers hat ein fertig ausgearbeitetes Konzept „Edition Deutscher Schriftsteller“, ein Book-on-Demand-Projekt, um pro AutorIn zwei Titel wieder verfügbar zu machen, die aufgrund der unerträglichen Marktsituation, Stichwort: Bereinigung der Backlist, nicht mehr erhältlich sind. (Verstärkt sollten Titel aus der ehemaligen DDR berücksichtigt werden.) Das Projekt wurde auf Eis gelegt. Nicht mal für eine Anschubfinanzierung ist Geld vorhanden.
c) Imre Török hat es seit vielen Jahren übernommen, in unserem Verband die Bildungsarbeit für angehende AutorInnen zu organisieren. Die Seminare wurden zunächst um 50% reduziert. Dann völlig aus dem Etat gestrichen.
d) Helga Pfetsch braucht vom VS eine kleinere Summe, um das Übersetzerverzeichnis wieder auf den neuesten Stand zu bringen. Keine Chance, kein Geld da.
e) Vier Jahre lang habe ich die Lesungen„Wider das Vergessen“ organisiert, eine bundesweite Aktion zum 9. November gegen Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit. Im Jahre 2002 waren es über 400 Lesungen. 2003 konnte das Projekt nur noch mit Unterstützung der „Bundeszentrale für politische Bildung“ durchgeführt werden. Dieses Jahr fiel es wegen Geldmangel aus.
Das mag genügen, obwohl sich die Liste fortsetzen ließe.
Im Dezember 2003 haben wir im Bundesvorstand in Berlin-Wannsee aufgrund der immer bedrohlicher werdenden Etatprobleme ein 6-Punkte-Programm beschlossen, um wieder handlungsfähig zu werden. Darin heißt es unter anderem.

Zuweisung aller VS Mitgliedsbeiträge in die Entscheidungsbefugnis des VS (unser jährliches Beitragsaufkommen beläuft sich auf rund € 450.000 – der dem VS von ver.di zugestandene Etat nach der letzten Kürzung auf nicht mal mehr € 100.000!)

Entscheidungsbefugnis für Veränderungen innerhalb der Organisationsstruktur von VS und VdÜ (Bundessparte Übersetzer), im Bedarfsfall auch außerhalb der ver.di Satzung und der FB Statuten und damit des Rechtsgefüges von ver.di (Nicht mit der Satzung von ver.di zu vereinbaren sind die Spartenbeiträge, mit denen wir in vielen Landesverbänden unsere Arbeit aufrecht erhalten. Sie müssen an den Fachbereich abgeführt werden! Gegenwärtig duldet man unsere Lösung eher zähneknirschend.)

Selbständiges Auftreten in der Öffentlichkeit unter dem Logo des VS und des VdÜ. (In den Verhandlungen erfuhren wir, daß wir uns eigentlich nicht mal mehr Verband deutscher Schriftsteller nennen dürfen. Es gilt die Einzelmitgliedschaft im Fachbereich 8.)

Entscheidungsbefugnis des VS-BV über Auswahl, Art und Umfang vertraglicher Bindung von
Personal und Beratern für den VS und den VdÜ einschließlich deren Vertragskonditionen (Wir müssen aufgrund der knappen Kassen zu einer Neuorganisation kommen, die einigen Ballast abwirft, aber die Einsparungen müssten direkt dem VS zugute kommen und nicht dem Haushalt von ver.di. Auch über diese Forderung ließ sich keine Einigung erzielen.)

Zunächst versuchte man unser Aufbegehren „auszusitzen“, dann wurden unsere Vorstellungen einer „Teil-Autonomie“ (selbständiger Verband innerhalb der Gewerkschaft mit eigener Etathoheit) rundweg abgelehnt.
Der VS hat sich mit den garrottierenden ökonomischen Bedingungen abzufinden. Sollten wir aus ver.di austreten, so hieß es auch schon mal, würde man mit dem Rest der Mitglieder einen „Gegenverband“ gründen.
Der Ton ist seitdem schärfer geworden.
Als meine Bundesvorstandskollegin Regine Möbius im zurück liegenden Jahr in einem Interview in „Kunst&Kultur“ auf diese unerträglichen Bedingungen und ihre Folgen hinwies, wurde der Redakteur Burkhard Baltzer gemaßregelt – ein Maulkorb aus vordemokratischer Zeit, mit dem kritische Stimmen mundtot gemacht werden.
Es wurde mehrfach versprochen, daß ver.di einen Kulturbeauftragten erhält, der sich endlich um die Probleme der Künstler sowie um eine Positionierung unserer Verbände in öffentlichen Debatten kümmert. Abgesagt. Kein Geld. (Wann gab es die letzte politische Stellungnahme des VS?)

Woher kommen der Geldmangel und damit die Etatkürzungen bei ver.di? Sicherlich in erster Linie durch schwindende Mitgliedszahlen. Das wird uns immer wieder vorgehalten. (Wobei die Mitgliederzahlen des VS nicht gesunken sind, jedoch die Höhe der Beiträge.) Aber ist das die ganze Wahrheit?
Der Unmut über die Selbstbedienung und die Erhöhung der Bezüge an der Spitze der neuen Dachorganisation, Motto: wir haben nichts zu verlieren außer unseren feinen Gehältern, ist rasch verpufft. Eine Reihe von gravierenden Fehlentscheidungen haben ver.di in dieses ökonomische Desaster geführt. (Stichworte: horrende Mieten am Potsdamer Platz, vorschnelles Zusammenlegen der Einzelorganisationen, die Altlasten der früheren Gewerkschaftshäuser etc.)
Ausbaden müssen wir das: unser Verband ist gelähmt, die Ehrenamtlichen „rackern“ auf den verschiedenen Ebenen, inzwischen weitgehend zum Null-Tarif.
Schon früher kamen wir uns als „Blumentopf“ für Gewerkschaftskongresse vor. Gegenwärtig wird das „Pflänzchen Literatur“ einfach ausgetrocknet.

Ich habe mir nach über 30 Jahren Gewerkschaftszugehörigkeit diesen Schritt lange überlegt. Aber ich sehe für den VS keine Möglichkeit wieder zu einem Schriftstellerverband zu werden, der diesen Namen auch verdient, so lange wir ins Joch von ver.di eingezwängt sind.
Dieser Rücktritt aus dem Bundesvorstand und Austritt aus der Gewerkschaft ist auch dazu gedacht, vor dem Kongress in Ingoldstadt im Juni des kommenden Jahres eine Debatte zu beginnen, was der Schriftstellerverband noch in ver-di verloren hat. Sicherlich mehr als seine Handlungsfreiheit, es steht unsere Würde auf dem Spiel. Aber die interessiert bei ver.di nun wirklich niemanden.

Euer Jürgen Alberts

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