Die Rechte-Kolumne Rainer Dresen zur Frage der Erkennbarkeit von Persönlichkeitsrechts-Verletzungen

Mittlerweile dürfte es zum Standardwissen von Verlagsmitarbeitern gehören, dass die Veröffentlichung von Details aus dem Privat- oder gar Intimleben Dritter die Gefahr von Rechtsstreitigkeiten nach sich zieht. Zu diesem Thema gibt es regelmäßig neue Gerichtsentscheidungen, was zeigt, dass vermeintlich Betroffene zunehmend empfindlich und klagefreudig reagieren.

Vor kurzem erging eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der sog. „Erkennbarkeit“. Ein Anwalt klagte gegen folgenden Zeitungsbericht:

„Der Angeklagte wird vertreten von einem Würzburger Anwalt, der nach einer Karriere als Staatsanwalt gegen seinen Willen aus dem Justizdienst entlassen wurde und dagegen ebenso erbittert wie erfolglos gekämpft hat.“

Amtsgericht und Landgericht lehnten die Klagen des Anwalts mit der Begründung ab, dass für den Durchschnittsleser aufgrund der Angaben im Zeitungsartikel nicht erkennbar sei, welcher der zahlreichen Würzburger Anwälte gemeint sei. Gegen diese ablehnenden Entscheidungen rief der Anwalt das Bundesverfassungsgericht an. In einer jetzt veröffentlichten Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Anwalts stellte das Gericht klar, dass bei der Frage, für welche Leser überhaupt eine geschilderte Person erkennbar ist, nicht auf den Durchschnittsleser einer Publikation abzustellen sei. Vielmehr komme es auf die Sicht solcher Leser an, die auf Grund von speziellen Kenntnissen aus dem beruflichen oder persönlichen Umfeld in der Lage sind, für den Durchschnittsleser anonymisierte Personen zu identifizieren, auf die sich eine persönlichkeitsrechtsverletzende Schilderung bezieht.

Mit anderen Worten: Wenn Freunde oder Bekannte aufgrund einer Veröffentlichung erkennen können, wer gemeint ist, liegt eine hinreichende „Erkennbarkeit“ vor. Wenn jene erkennbar beschriebene Person dann noch mit persönlichkeitsrechtsverletzenden Umständen in Verbindung gebracht wird, bestehen Unterlassungs- und evtl. Schmerzensgeldansprüche.

Damit ist klargestellt, dass sich die Anforderungen an die Erkennbarkeit zumindest kaum mehr verschärfen können: Noch strenger wäre wohl nur, wenn es bereits für eine Rechtsverletzung ausreichen würde, dass sich ein Geschilderter selbst erkennt. Die Tatsache, dass allerdings bereits genügen soll, dass Bekannte von in Publikationen beschriebenen Personen diese erkennen können, dürfte zu nur noch schwer zu beherrschbaren Risiken führen, wie zwei Beispiele zeigen sollen:

Ohne Probleme könnte wohl der SPIEGEL-Reporter Uwe Matussek Thomas Brussigs Roman „Wie es leuchtet“ verbieten lassen. Als Hotelportier hatte Thomas Brussig zu Wendezeiten dem „Spiegel“-Redakteur Matussek Faxe in die Suite des Ost-Berliner Palast-Hotels bringen müssen. Nun kommt in Brussigs Roman „Wie es leuchtet“ ein unsympathisch-herablassend auftretender SPIEGEL-Redakteur vor, der von einem Hotelportier mit Faxen aus der Redaktion versorgt wird. Schon die Behauptung, es gebe Freunde oder Kollegen von Matussek, denen bekannt ist, dass er früher im Palast-Hotel wohnte und Faxe der Redaktion bekam, würde für eine „Erkennbarkeit“ nach oben geschilderten Grundsätzen genügen. Wäre dann noch nachweisbar, dass Matussek üblicherweise nett und zuvorkommend ist, wäre dies für eine Unterlassungsverurteilung völlig ausreichend. Glück für Brussig, dass Matussek das Buch über alle Maßen lobt und an eine Klage wohl nicht einmal denkt.

Glück hat auch ein Autor, der kürzlich bei einer Lesung einen Text vortrug, der den lange zurückliegenden Besuch des Autors und eines Freundes in einem einschlägigen Etablissement zum Thema hatte. Der damalige Begleiter hat dem Vernehmen nach die Veröffentlichung jener Episode bislang nur mit dem Satz sanktioniert: „Du Idiot, das kannst Du doch nicht vorlesen“, hat sich aber als Kompensation bislang mit einer Einladung zum Bier zufrieden gegeben. Sollte er seine Meinung ändern, würde es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wohl ausreichen, wenn er glaubhaft versichert, für seine verbliebenen Freunde erkennbar beschrieben zu sein.

Um den strengen Anforderungen der Gerichte zu entsprechen, ist deshalb zu empfehlen, dass man als Lektor seine Autoren für die Problematik von Persönlichkeitsrechtsverletzungen sensibilisiert und bittet, die sich aus Roman- oder Sachbuchmanuskripten ergebenden Risiken in Zusammenhang mit realen Personen offen anzusprechen und dann gemeinsam zu bewerten.

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