Amazon baut weitere Shops an und erweitert seine eigene Web-Suchmaschine A9.com//Wann wachen die Verlage auf?

Während die Buch- und Verlagswelt sich mit den Vorbereitungen und dem Gezänke um die Frankfurter Buchmesse beschäftigt, wird in diesem Windschatten das Rad im Web gerade heftig weiter gedreht: Still und leise launchte der deutsche Ableger von Amazon http://www.amazon.de dieser Tage seinen Spielwaren & Kinderwelt-Shop und schickt in Amerika http://www.amazon.com den neuen Shop Music Instruments in die Beta-Phase. Um auch ein wenig am Glanz des schönen Scheins teilhaben zu können liess der umtriebige Amazon Chef Jeff Bezos am 1. September die Millionen-Hotel-Erbin und eher farblose Schauspielerin Paris Hilton ihre eigene Schmuck-Kollektion exklusiv bei Amazon.com vorstellen: http://www.amazon.com/gp/misc/parishilton.html/104-3756771-5637567. Dass es von dem High Society Küken Paris Hilton dabei schon eine Biografie mit im Angebot gibt, lässt uns eher Schmunzeln.

Die grundsätzliche Entwicklung von Amazon, über die wir hier schon öfters berichtet haben links(zu den Meldungen), wird damit bestätigt: Amazon möchte zum ganz grossen Web-Kaufhaus für Alles werden, wobei Bücher, mangels Rendite, eine immer geringere Rolle spielen werden. Mit einem Umsatz von 1,39 Milliarden US-Dollar und einem Netto-Gewinn von 76 Millionen US-Dollar alleine im 2. Quartal diesen Jahres ist die Kriegskasse von Amazon ohnehhin gut gefüllt. Wieviel Geld Jeffery P. Bezos, der laut Forbes-Liste (2003) zu den reichsten Menschen der USA zählt, Platz 32, durch den Börsengang der Suchmaschinen-Firma Google für sich privat erlöste, wird sein Geheimnis bleiben. Aus seinen 3 Millionen Aktien, die er ursprünglich für 100 000 US-Dollar erwarb, müssten rein rechnerisch, bei dem momentanen Kurswert der Google-Aktie, gute 300 Millionen US-Dollar geworden sein. Wie wir’s auch betrachten: Geld ist im Moment genug da.

Deshalb ist es auch kein Wunder, dass Amazon in die weitere Entwicklung seiner eigenen Web-Suchmaschine A9.com http://a9.com kräftig investiert. A9.com ist Amazon’s Versuch eine weitere, wichtige Schlüsselfunktion des Webs für sich zu besetzen: Die Web-Suche. Der Chef (CEO) und das eigentliche Gehirn von A.9.com ist übrigens kein Geringer als der ehemalige Software- und Programmier-Architekt von Yahoo http://www.yahoo.com Udi Manber. In der neuen Version von A9.com wurden die Suchfunktionen nun, neben der reinen Suche nach Websites, ausgedehnt auf die Bereiche: (klar!) Bücher, Bilder und Fotos sowie Filme und Videos. Die einzelnen Kategorien sind nebeneinander in Spalten angeordnet und können aus- oder eingeblendet werden. Am besten mal selbst ausprobieren. Die Buch-Suchergebnisse führen, wenn sie angeklickt werden, natürlich direkt zu Amazon.com. Was A9.com aber am meisten interessiert sind personalisierte Daten. Nur wer sich registiert, kann die getätigten Suchanfragen auch speichern („History“ & „Bookmarks“) bzw. mit eigenen Notizen („Diary“) versehen. Der registierte Nutzer muss zustimmen, dass seine sämtlichen Daten von A9.com gespeichert und auch mit den Daten von Amazon abgeglichen bzw. verknüpft werden! Welche Nutzerprofile sich in der ersten Stufe daraus ergeben ist offensichtlich: Schon Amazon Kunde oder noch nicht? Wer also noch kein registierter Amazon-Kunde ist, sollte A9.com besser meiden. Dass, wie Udi Manber, sagt, eine „Suchmaschine mit Erinnerungsvermögen“ („A Search engine with memory“), grundsätzlich eine gute Idee ist, bei dem ganzen Info-Wust, der sich im Web rumtreibt, ist unbestritten. Leider ist A9.com jedoch in erster Linie eine „Suchmaschine mit Erinnerungsvermögen für die Amazon-Datenbank“, zur besseren Qualifizierung der Menschen und ihrer möglichen (Kauf-) Interessen. In Kombination mit der ebenfalls zu Amazon gehörenden Suchmaschine Alexa http://www.alexa.com und den hoch gehitteten Amazon-Suchergebnissen bei Google, wird es für den normalen Nutzer immer schwieriger an neutrale Informationen über sein Lieblingsbuch oder seinen -autor zu kommen. Eine Situation, die die Verlage schon längst zum Handeln hätte anstiften müssen. (Siehe dazu auch BuchMarkt, August-Ausgabe 2004, Seite 38: „Statt VlB: Google Print & Amazon“).
STEFAN BECHT stefan@stefanbecht.de

Hier die ungekürzte Version.

(headline:)
Die VlB’s des Web’s: Google Print & Amazon

(fliesstext:)
Wir müssen den 768 Seiten starken Antrag der Suchmaschinen-Firma Google
http://www.google.com auf die Zulassung zur Börse schon sehr genau
lesen, um auf Seite 62 der „Form S-1“ über den eigenständig ausgewiesenen
Service Google Print zu stolpern. Wie bitte?: Google macht in Print, in
Bücher? Der auch auf der amerikanischen Homepage von Google nicht leicht zu
findende Geschäftsbereich Google Print
http://print.google.com/print/faq.html wird uns dann auch erstmal als
ein Google Service in der Testphase (Beta) vorgestellt.

Klar, jetzt so kurz vor dem Börsengang gehört Klappern zum Handwerk und es
vergeht keine Woche, in der Google nicht irgendeine „News“ oder „Info“ in
die Welt setzt. Gerade erst hat Google sich für die Technologiebörse
Nasdaq als Handelsplatz für seine Aktien entschieden und Jeff Bezos, der
Chef von Amazon, unterstützt, als „initial investors“, öffentlich den
Börsengang der wohl grössten Suchmaschine des Internet’s.

Über Google Print allerdings gibt es so gut wie nichts zu lesen. Doch was
ist das genau? Zusammengefasst können wir sagen: Der Service Google Print
soll uns Informationen, die es im Internet nicht, aber eben in Buch-,
Zeitschriften- oder Zeitungsform gibt, nah bringen. „Für dieses
Experiment“, wie Google es nennt, „haben wir mit einer Anzahl von Verlagen
ausprobiert, wie wir ihre Inhalte/ihren Content Online abbilden können.“
Die Inhalte der Verlage werden dabei von Google „gehostet“ und nach dem
gleichen System und mit der gleichen Technik katalogisiert und angezeigt,
wie sie Google auch für die Suche nach Web-Sites benutzt. Mit anderen
Worten: Google möchte gerne, mit Hilfe der Verlage, Autoren, Agenten
und/oder Rechteinhabern von Büchern, eine spezielle „Google-Suchmaschine
für Bücher“ machen. Statt also einfach in der Google-Maske und damit im Web
zu suchen, können wir vielleicht eines Tages in der Google Print-Maske
explizit nach Büchern suchen. Wer mal ausprobieren möchte, wie das geht und
wie das aussieht, ruft die Google-Website http://www.google.de auf
und gibt in die Suchmaske NACH seinem Suchbegriff ein:
„site:print.google.com“ (alles ohne Leerzeichen dazwischen). Die Suche nach
einem unserem Lieblingsautoren sieht dann so aus: „Neal Stephenson
site:print.google.com“. Das Ergebnis spricht sofort für sich. Statt
Tausendenden von Treffern bei einer normalen Google Web-Anfrage zu „Neal
Stephenson“ bekommen wir hier lediglich 42 Treffer anzeigt, die jeweils
links oben mit dem Hinweis (BOOK) oder (MAGAZINE) versehen sind. Rechts
neben der Treffer-Headline steht dabei, ob es einen Auszug (Excerpt) aus
dem Buch bei Google Print gibt. Alle Basisdaten, wie Umfang,
Erscheinungsjahr, die ISBN, der Verlag, einige Pressestimmen und wo wir das
Buch im Web kaufen können werden selbstverständlich mit dem Auszug
mitgeliefert. Guter Service, und ganz am Ende gibt es auch schon einen
ersten bezahlten Web-Link. Über 60 000 durchwegs englische Titel soll
Google bereits in „das Experiment“ Google Print eingefüttert haben.
Sollte der Börsengang über die Bühne sein, wird bei Google mehr als genug
Kapital zur Verfügung stehen, um Google Print zügigst weiter zu
entwickeln.

Warum betrifft uns das, als Verlage, als Buchhandlungen, als
Büchermenschen? Die Antwort ist wieder ein Frage: Wer heute im Web ein Buch
sucht geht wo hin? – Natürlich zu Amazon.de. Er geht nicht zum VlB
http://www.vlb.de, weil er dort als normaler Mensch überhaupt nichts
bekommt. Und er geht auch nicht zu dem inzwischen „outgesourcesten“
buchhandel.de http://www.buchhandel.de. Und das nicht nur, weil er
diese Web-Adresse gar nicht kennt, sondern dort, wenn er „Neal Stephenson“
eingibt, keinen einzigen Treffer hat! Er müsste, Bibliografier-Logik,
„Stephenson, Neal“ in die dann erscheinende, unübersichtliche Suchmaske
eingeben, um auf 15 Treffer zu kommen. Amazon bildet inzwischen ab, welche
Bücher es gibt und welche nicht. Für den normalen Menschen und
Internet-Nutzer ist Amazon zum VlB geworden: Was es hier nicht gibt, gibt’s
nicht. Basta! Und zwar auch in der „richtigen“ Welt nicht. Das ist schon
schlimm genug. Und dass der Börsenverein einer (1!) kommerziellen
Buchhandlung dieses Feld kampflos überlassen hat ist ohnehin absolut
unverständlich. Wenn nun Google Print seine Pforten für weitere Titel,
Autoren, Verlage und Agenten öffnen wird, ist absehbar was passiert: In
Kombination mit Google, Google News http://news.google.de, und dem
hauseigenen Verkaufsdienst Froogle http://froogle.google.com wird
Google Print zum 2. VlB des Web’s werden. Und hier wird nicht mehr
getrennt werden, zwischen lieferbar (VlB) und antiquarisch (ZVAB). Nur: Wer
hier nicht stehen wird mit seinem Buch, den wird’s nicht geben. Basta. Denn
Amazon und Google bilden für 95% der Nutzer ab, was das Web und damit die
Welt für sie parat hält oder eben nicht.

Laut der FOCUS -Studie „Der Markt der Bücher 2003“ kaufen bereits 3,44
Millonen Menschen der insgesamt 37,9 Millionen deutschen Buchkäufer ihre
Bücher im Web. Im Vergleich: 2002 gab es 2,9 Millionen Online-Käufer.
Weitere 4,9 Millionen Menschen könnten sich das sehr gut vorstellen oder
beabsichtigen es in Jahr 2004. Anders formuliert: Der Markt ist, bei gut 33
Millionen Bundesbürgern, die inzwischen einen Internet-Zugang besitzen,
also längst noch nicht gesättigt – ganz im Gegenteil.

Die Verlage und alle Rechteinhaber müssen sich Gedanken machen, ob sie den
Kardinalsfehler, den sie bei Amazon gemacht haben, bei Google Print
wiederholen möchten: Sich wieder auf einen Web-Anbieter zu konzentrieren
und sich ihm auszuliefern. Im Moment ist ihnen dazu nur zu raten, denn eine
Alternative ist nicht in Sicht. Wer mitmachen möchte bei Google Print
ruft die Website http://services.google.com/inquiry/print auf. Dort
gibt es dann ein Kontakt-Formular.

Die Frage, die allerdings unter den Nägel brennt ist: Wer, wenn nicht der
Börsenverein und sein vielgelobter Wirtschaftsbetrieb MVB, wären besser
geeignet, DIE neutrale „Buch-Suchmaschine“ für’s Web aufzubauen und
anzubieten? Warum werden die von den Verlagen gelieferten und bezahlten
VlB-Einträge nicht endlich so gut aufbereitet, dass sie für eine solche
„Web-Buch-Suchmaschine“ wirklich verwendbar sind? Warum gibt es, nach wie
vor, keine neutrale Anlaufstelle im Web für Menschen, die sich für Bücher
interessieren. Hier braucht es kein Institutionengesabbel, keinen
Branchendienst, kein Barsortiment und keine Buchhandlung, sondern die
Website, die alle Bücher abbildet, die es gibt. Und zwar so, dass wir auch
etwas über die Bücher erfahren und nicht mit Preis und Umfang abgespeist
werden. Das ist Arbeit und keiner sagt, dass das leicht ist. Aber die Basis
dafür ist mit dem VlB und ZVAB ja vorhanden. Und: Google Print wird es
sowieso machen. Es ist also eine durchaus existenzielle Frage, die sich
hier stellt: Wollen wir die Abbildung der „Buch-Welt“ im Web weiterhin nur
Amazon und Google Print überlassen oder glauben wir nach wie vor an die
Vielfalt der Buchkultur, die wir auch im Web erfassbar, erzählbar und
abbildbar machen müssen? Dann sollten wir schleunigst damit anfangen.
STEFAN BECHT stefan@stefanbecht.de

Up-Date, 19.9.2004:
Wie wir alle wissen, ist der Börsengang von Google abgeschlossen und hat
etliche Milliarden US-Dollar in die Kasse des Unternehmens gespült.
Inoffiziellen Quellen zufolge ist „das Experiment“ Google Print
inzwischen auf 120 000 gelistete Bücher ausgedehnt worden. Und dürfte damit
das Stadium „des Experiments“ längst überschritten haben. Die
Buch-Suchmöglichkeit, die nun durch die Amazon– Suchmaschine A9.com
angeboten wird, dürfte Google nicht gerade erfreuen und eher zum Handeln
anstacheln. Immerhin geht es um eine der wichtigsten Schlüsselfunktionen
für und im Web: Die Suche und das Finden. Wobei Letzteres immer der Duktus
und erste Schritt für einen Verkaufsimpuls ist.
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Stefan Becht
stefan@stefanbecht.de

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