Offener Brief von Karin Pfeiffer-Stolz…

kein Sommertheater, eher ein „Vier-Jahreszeiten-Schauspiel“

Man kann alle Leute einige Zeit zum Narren halten und einige Leute allezeit; aber alle Leute allezeit zum Narren halten kann man nicht. (Abraham Lincoln)

Sehr geehrter Herr Störiko-Blume,
mit Ihrem Offenen Brief [mehr…] wenden Sie sich an die Politiker, denen Sie darin gehörig die Leviten lesen. Doch fühle auch ich mich angesprochen und möchte Ihnen daher – ebenfalls in einem Offenen Brief – antworten. Nach einer „poetischen“ Einleitung beginnt die Politikerschelte:

„Zu wirklichen politischen Reformen sind Sie ja ohnehin nicht bereit, aber das sollte man in aller Deutlichkeit so deutlich nicht sagen.“

Sie sagen es aber. Trotzdem ist es falsch. Haben wir denn nicht seit 1996 eine Reform? Oder ist die Rechtschreibreform, die „so genannte“, etwa keine Reform?
Sie schlagen den Politikern vor, sich „am Abend bei einem Glase Wein“ von Kindern oder Enkeln erklären zu lassen, „warum „daß“ jetzt völlig problemlos „dass“ geschrieben wird.“ Wer sich in der Grammatik auskennt, wird sicherlich dabei keine Probleme haben. Und er hat sie auch vor der Reform nicht gehabt. Doch scheint es ein Zeichen von Fortschrittlichkeit zu sein, sich als Erwachsener bei alkoholischen Getränken spät abends von Kindern und Enkeln über die Rechtschreibung aufklären zu lassen. Vielleicht darf der Nachwuchs auch am Glase nippen, oder er überzeugt uns davon, daß Wein und Bier „out“, Alco-Pops aber „in“ sind. Und wir beugen uns, denn wir wollen weder in der Rechtschreibung noch in den Konsumgewohnheiten als Ewiggestrige dastehen.

„Kein Privatmensch, auch kein Autor wird gezwungen, seinen Schriftverkehr umzustellen.“

Das ist geschickt formuliert: Schriftverkehr. Nein, den Schriftverkehr muß niemand umstellen. Anders sieht es aus, wenn Autoren ihre Werke veröffentlichen möchten. Es beginnt „harmlos“ damit, daß selbst Leserbriefe gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Verfasser von Zeitungsredakteuren eigenmächtig in die „neue“ Schreibung konvertiert werden. Es setzt sich fort, wenn ein Kinderbuchautor, der allein vom Schreiben lebt, sein Einkommen sichern möchte. Beim Verlag Beltz & Gelberg werden Weltautoren wie Janosch, Christine Nöstlinger oder Peter Härtling verlegt, um nur drei zu nennen. Sie sind gegen die Neuschreibung, weil ihre Werke verstümmelt werden, und sie haben in der Öffentlichkeit keinen Hehl daraus gemacht. Sind sie deshalb etwa nicht gezwungen, sich dem Diktat der Reform zu unterwerfen? Wie hätten sie sonst ihren Lebensunterhalt weiter bestreiten können, da sie vom Schreiben leben? Ich bitte doch sehr, den Boden der Tatsachen nicht zu verlassen!

„Meine Autoren sind eigentlich oder auch strikt gegen die Verwendung der neuen Regeln. Insbesondere befinde ich mich in einem Dilemma – geht es doch um Respekt vor den Sprach- und Stilvorstellungen der Autoren, die von sich aus keineswegs bereit sind, ihr Schreibverhalten zu ändern. Und letzten Endes hat man sie nicht einmal gefragt.“

Nein, das haben nicht Sie gesagt, sehr geehrter Herr Störiko-Blume. Hans-Joachim Gelberg, damals Verlagsleiter bei Beltz & Gelberg äußerte dies 1997 im Rahmen der Anhörung zur Rechtschreibreform vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestags. „Wider bessere Einsicht“ hätten die Kinderbuchverlage „aus Konkurrenz- und Marktgründen“ die Buchprogramme auf die neue Schreibung umstellen müssen -– wider bessere Einsicht, weil dieses neue Regelwerk unsolide sei und erhebliche Verwirrung stifte, so Herr Gelberg.
Als sein Nachfolger und Verlagsleiter beim Verlag Beltz & Gelberg schreiben Sie heute:

„Nach mehrjähriger Erfahrung mit der neuen Rechtschreibung zeigt die Praxis in den Schulen keinerlei gravierende Nachteile.“

Wie kann das belegt werden? Sind Sie persönlich an einer Schule tätig gewesen? Haben Sie eine Untersuchung durchführen lassen, welche Ihre These untermauert? Wenden Sie selbst die Reformschreibung an? Verstehen und beherrschen Sie die Regeln? Oder lassen Sie Ihre Briefe im Vorzimmer auf Neuschreibung überprüfen? Lassen wir doch noch einmal Herrn Gelberg zu Wort kommen (und es ist schwer vorstellbar, daß er inzwischen seine Meinung geändert hat):

„Ich empfehle allen, die in dieser Sache mitreden, ein umfängliches Manuskript von 100, 200 Seiten von der alten in die neue Rechtschreibung zu „übersetzen“. Erst dann wird klar, wie sehr die meisten Änderungen leider Sinn, Sprachgefühl und Stil-Ästhetik ungünstig beeinflussen. Hier wird nicht vereinfacht, sondern erschwert.“

Sie verteilen „Preise“ für „populistisches Getöne“, ganz so, als gehöre die ganze Angelegenheit auf den Jahrmarkt. Die Art und Weise, wie Sie, sehr geehrter Herr Störiko-Blume den sachlichen Kritikern der Reform begegnen, klingt nach persönlicher Abrechnung und trägt weder bei zur Lösung der inhaltlichen noch der wirtschaftlichen Problematik, die durch die Reform zweifellos entstanden ist. Wer die „Befindlichkeit des Volkes“ mit einer Handbewegung als unerheblich vom Tische wischt, sich zwischen den Zeilen darüber lustig macht, weckt allenfalls Zweifel an seiner demokratischen Gesinnung. Es ist ein Unterschied, ob der Staat Steuern erhebt – was ebenfalls unbeliebt ist, doch notwendig zur Erhaltung des Gemeinwesens – oder ob er sich in die intimsten und privatesten Dinge seiner Bürger einmischt. Dazu zählt die Sprache. Nebenbei sei angemerkt: Entgegen Ihrer Behauptung ist bislang noch kein „Rat für deutsche Rechtschreibung“ eingerichtet worden. Es besteht allenfalls die Absicht, eine solche zu begründen, wobei ich der Meinung bin, daß wir keine „Räte“ und auch keine „Fünfjahrespläne“ benötigen, um die Rechtschreibung in unserem Lande zu regeln.
Mit den Äußerungen in Ihrem Offenen Brief beleidigen und diskreditieren Sie jenen Personenkreis, den Sie für Ihre Eigeninteressen gewinnen möchten. Schließlich versteigen Sie sich sogar in folgender Aussage:

„Unsere Bücher müssen sich jeden Tag in den Buchhandlungen zur Wahl stellen. Und dort kauft seit 1996 kein verantwortungsbewusster Erwachsener für seine Kinder noch Bücher in alter Rechtschreibung.“

Demnach besitzen allein die Anhänger der Reformschreibung Verantwortungsbewußtsein. Jene Personen aber, denen Sie gerade einige Abschnitte zuvor attestiert haben, daß sie die Freiheit besäßen, sich für die eine oder andere Rechtschreibung zu entscheiden, sind verantwortungslos, sofern sie Bücher in „alter Rechtschreibung“ kaufen! Das gilt auch für Eltern, die ihren Kindern Zugang zum häuslichen Bücherschrank gewähren, sofern dieser nicht gänzlich „entmistet“ sein sollte. Verantwortungslos? Das sind dann wohl auch die Kritiker der Reform, zu denen sich die besten unserer Autoren zählen. Autoren, die auch im Verlag Beltz & Gelberg ihre Bücher veröffentlicht haben (und eigentlich nach diesem eher peinlichen Offenen Brief Konsequenzen ziehen müßten …).
Wenn nun die „Verantwortungslosigkeit“ der Bürger im Umgang mit der „alten“ Rechtschreibung nicht auf freiwilliger Basis beseitigt werden kann, müßte dann nicht der nächste politisch notwendige Schritt sein, Bücher mit „alter“ Rechtschreibung auf einen „Index“ zu setzen?

„Ich gehe jede Wette ein, dass Sie es bei einem guten oder einem guten schlechten ? Buch gar nicht merken, ob es in alter oder neuer Rechtschreibung verfasst ist.“

Mit Verlaub, nun geht mir jedes Verständnis für das „Getöne“ ab, mit dem Sie Ihr Schreiben auf die Politiker loslassen. Entweder die Änderungen durch die Reform sind gravierend und stören beim Lesen und Schreiben. Dann ist die Empörung, die immer größere Kreise der Bevölkerung erfaßt, verständlich und ernstzunehmen. Oder die Reform ist gar keine. Sie kann keine sein, wenn man nichts davon merkt. Worum aber geht es dann überhaupt?
Welche Absicht verfolgen Sie mit diesem Rundumschlag, der nicht nur die sich für eine Rücknahme der Reform aussprechenden Politiker beleidigt, sondern auch die Mehrzahl der deutschsprechenden Menschen in diesem Lande verletzt? Den Rat, den man vor einiger Zeit den Schriftstellern gegeben hat, sie mögen sich doch bitte nicht um so etwas Marginales wie die Rechtschreibreform kümmern, sondern lieber gute Texte schreiben, ist ebenso dümmlich wie es ein Appell an Michael Schumacher wäre, er möge doch bitte weiterhin spannende Rennen fahren und gewinnen, sich aber weder um den Zustand seines Rennwagens noch um die Beschaffenheit der Rennstrecke kümmern.

Die Politiker sind in Ihren Augen „populistisch“, weil sie die fortwährenden Proteste aus der Bevölkerung ernster nehmen als die wirtschaftlichen Nöte der Verlage. Natürlich ist die Lage ernst! Selbstverständlich machen wir uns Sorgen! Und doch: Ist das Dilemma nicht auch hausgemacht? Ich darf unseren Verlag hier mit einschließen, rede also nicht vom hohen Roß herab. Doch das Kulturgut Sprache ist mehr wert als kurzfristige Gewinn- oder Verlustrechnungen. Es wäre weitaus ehrlicher, seine Sorgen bezüglich der Sprache und der wirtschaftlichen Situation der Verlage auszudrücken, als mit starken Worten alles niederzuschreien, was auf Mißstände aufmerksam macht, die nun einmal da sind und sich durch Offene Briefe dieser Art nicht aus der Welt schaffen lassen. Sie seien als Kinder- und Jugendbuchverleger „nicht bereit hinzunehmen, wenn in einem sich aufschaukelnden Wechselspiel von Interessenlobbys Hauruck-Lösungen angestrebt oder verordnet werden“. Ich befürchte, daß weder Sie noch ich dazu gehört werden, ob das unsere Zustimmung findet oder nicht. Außerdem muß man sich fragen, was Sie unter „Interessenlobbys“ verstehen: Verdienen kann unter diesen Umständen wohl niemand mehr, wir sind alle Verlierer in einem Spiel, das überhastet begonnen wurde, ohne die Mitspieler entsprechend zu informieren und zu instruieren. Das zu Beginn von einigen Lobbyisten erhoffte große Geschäft mit der Rechtschreibreform ist ja nun offensichtlich ausgeblieben, an Briefen wie dem Ihren wird deutlich, wer sich zu den nun enttäuschten Verlierern zählt.

Zuletzt bin ich sicher, daß die Sprache selbst den Sieg davontragen wird. Die Zwangsreform – wie überhaupt jede Reform – kann jederzeit abgeschafft werden, denn sie ist Menschenwerk. Und Menschenwerk ist nun einmal, leider – oder Gott sei Dank, vergänglich.

(Zitate von Hans-Joachim Gelberg aus: Konsequenzen der Reform; Börsenblatt Nr. 51, 27. Juli 1997, S. 8)

Karin Pfeiffer-Stolz
Stolz Verlag

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