Offener Brief von Ulrich Störiko-Blume: Bitte andere Themen für das alljährliche Sommertheater!

Zur aktuellen Diskussion um die Rechtschreibreform meldet sich Ulrich Störiko-Blume zu Wort. Der Beltz & Gelberg-Verlagsleiter, der außerdem Vorstandsmitglied im Verlegerausschuss im Börsenverein des Deutschen Buchhandels und Vorstandsmitglied der avj (Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlegern) ist, äußert hier seine persönliche Meinung.

„Bitte andere Themen für das alljährliche Sommertheater – wider den Populismus im Umgang mit der Rechtschreibreform!

Liebe Politiker,

bitte fahren Sie endlich in die Ferien und beherzigen Sie Elke Heidenreichs Lektüreratschläge. Lesen Sie schon in der Morgenkühle ein gutes Buch, besser noch viele gute Bücher, ruhig auch mal ein schlechtes, und genießen Sie das, was nur beim Bücherlesen möglich ist: das Eintauchen in andere Gedanken, Menschen, Welten ohne jeglichen technischen Aufwand. Verfassen Sie bitte in der Mittagshitze im Liegestuhl keine Traktätchen zur Rechtschreibreform (z. B.: „Zulassung zu Elite-Unis nur nach Prüfung in alter Rechtschreibung!“), gehen Sie gelassen davon aus, dass Ihre Auslassungen im permanenten Wahlkampf weder in der bisherigen noch in der reformierten Rechtschreibung wirklich verständlich sind. Warum sollten Sie das auch sein? Zu wirklichen politischen Reformen sind Sie ja ohnehin nicht bereit, aber das sollte man in aller Deutlichkeit so deutlich nicht sagen. Und lassen Sie sich am Abend bei einem Glase Wein von Ihren Kindern oder Enkeln erklären, warum „daß“ jetzt völlig problemlos „dass“ geschrieben wird. Ich gehe jede Wette ein, dass Sie es bei einem guten oder einem guten schlechten Buch gar nicht merken, ob es in alter oder neuer Rechtschreibung verfasst ist.

Die neue Rechtschreibung werde bei der Bevölkerung nicht angenommen, heißt es. Oha, da werden wir aber hellhörig! Denkt irgend jemand ernsthaft darüber nach, die Steuern wieder zu senken, wenn eine Meinungsumfrage mangelnde Akzeptanz bei den Steuerzahlern feststellt? Aber die mangelnde Akzeptanz der Rechtschreibreform, die ist ein Politikum!

Daher möchte ich den 1. Preis für populistisches Getöne der FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper zusprechen: Sie fordert eine Volksabstimmung über die Rechtschreibreform. Wir unterstützen das sofort, wenn die FDP sich bereit erklärt, ihre übrigen politischen Vorschläge auch einem solchen Verfahren zu unterziehen.

Kein Privatmensch, auch kein Autor wird gezwungen, seinen Schriftverkehr umzustellen. Der Wandel wird sich ganz allmählich über die Schulen und die Medien vollziehen. Nach mehrjähriger Erfahrung mit der neuen Rechtschreibung zeigt die Praxis in den Schulen keinerlei gravierende Nachteile. Die letzte Rechtschreibreform vor hundert Jahren (eine heute gepriesene, damals allerdings durchaus auch angefeindete Tat der Vernunft) wurde bekanntlich in vordemokratischen Zeiten oktroyiert. Selbstverständlich wird in einer demokratischen Gesellschaft eine solche Reform öffentlich diskutiert– aber seit wann sind Volksabstimmungen, erst recht Mutmaßungen über die Befindlichkeit des Volkes, das Funktionsprinzip unseres Gemeinwesens?
Viele, die heute öffentlichkeitswirksam aufschreien, hören es ungern, wenn man sie daran erinnert, dass sie alle aufgerufen waren, sich an einer Reform zu beteiligen. Die Kultusministerkonferenz, die es bisher klugerweise verstanden hat, das Thema aus dem Parteiengezänk herauszuhalten, hat jetzt einen »Rat für deutsche Rechtschreibung« eingerichtet. Darin kann sachlich für eine Verbesserung der Reform gestritten, am Ende aber bitte gearbeitet werden.

Selbst unter den Befürwortern der Rechtschreibreform gibt es Kritik an manchen Regelungen, wenn auch in unterschiedlicher Schwere und Richtung. Polemische Zuspitzungen, Radikallösungen und Verweigerungshaltungen helfen jedoch nicht weiter. Alle Sachkundigen erkennen an, dass insbesondere die Schulbuch-, die Kinder-& Jugendbuch- und die Wörterbuchverlage ihre Publikationen seit 1996 der Rechtschreibreform anpassen mussten.

Deshalb geht der 2. Preis für populistisches Getöne gemeinsam an die Ministerpräsidenten Christian Wulff (Niedersachsen), der als erster entlarvt hat, dass die Rechtschreibreform „nur für Gerhard Schröder und Frau Bulmahn gemacht worden“ sei (FAZ vom 29. Juni 2004) und Dr. Edmund Stoiber (Bayern) für seinen bahnbrechenden Vorstoß, mit dem er die „Rechtschreibung auf die Tagesordnung“ setzt (die er mit der Titelseite der FAZ verwechselt). Wir vermissen nur eine Konsequenz: die sofortige Entlassung ihrer Kultusminister, da diese ja offenbar versagt haben und dennoch nicht von sich aus zurücktreten. Alte Rechtschreibung: ja – alte Ehrbegriffe: nein? Ist das die neue Moral unserer politischen Elite?

Ach, ich vergaß: Das Sommertheater hat ja begonnen! Vor den Osterferien steigen die Benzinpreise und am Beginn der Sommerferien äußern sich bekannte und weniger bekannte, kompetente und weniger kompetente Politiker zur Lage der Rechtschreibung in Deutschland bzw. im Bereich der deutschen Sprache. Mutig, fachkundig und in klarer Erkennis der Prioritäten schrecken Sie vor nichts zurück, um das schriftlich gefasste Wohl des deutschen Volkes zu mehren.

Der 3. Preis für populistisches Getöne geht an eine Person, deren Amt eigentlich über solchen Niederungen stehen sollte: an Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer, die sich der rebellischen Anfänge ihrer ergrauten grünen Partei erinnert und „Züge von Willkür“ in der Rechtschreibreform erkennt. Wie selig waren die Zeiten, als wir alle gemeinsam mit Konrad Duden die Rechtschreibregeln erdiskutierten!

Wir Verlage, die wir nicht erst seit 1996 Bücher für die junge Generation herstellen und verbreiten, danken devot für diese unerbetene öffentliche Unterstützung, die sich ja sonst eher im Kürzen von Bibliotheksetats äußert (denn nur wirkliche Knappheit an Büchern zeigt deren Wert). Nur wollen wir nicht alle vier Jahre wiedergewählt werden, sondern täglich. Unsere Bücher müssen sich jeden Tag in den Buchhandlungen zur Wahl stellen. Und dort kauft seit 1996 kein verantwortungsbewusster Erwachsener für seine Kinder noch Bücher in alter Rechtschreibung. Es ist so, als wollten sie den Tankstellen vorschreiben, ab sofort wieder nur noch bleihaltiges Benzin zu verkaufen. So möchten wir die geistigen Tankstellen, wie Altbundeskanzler Helmut Schmidt die Buchhandlungen einmal so schön genannt hat, nicht manipuliert sehen.

Tatsache ist: Die allermeisten Publikationen der Presse und der öffentlichen Hand erscheinen seit Jahren in neuer Rechtschreibung. Die Buchverlage haben die überwiegende Zahl ihrer Neuproduktionen umgestellt. Der Anteil der in alter Rechtschreibung erscheinenden Publikationen sinkt tendenziell immer weiter. Alle einschlägigen Werke (Schulbücher, Kinder- & Jugendbücher) sind mit hohen Kosten umgestellt worden sind. Die populistischen Politiker ignorieren die ernsthaften Hinweise aus den Schulbuch-und Jugendbuchverlagen, dass eine nochmalige Umstellung (die ja den eigentlichen Nutzen der Bücher in keiner Weise verändert) eine so sinnvolle Konjunkturmaßnahme wie das Aufgraben und Zuschütten von Löchern wäre.

Ich bin als Kinder- und Jugendbuchverleger nicht bereit hinzunehmen, wenn in einem sich aufschaukelnden Wechselspiel von Interessenlobbys Hauruck-Lösungen angestrebt oder verordnet werden, die außer einer weiteren Verunsicherung der jungen Generation nur eines sicher nach sich ziehen: ungeplante, unnötige Kosten erheblichen Ausmaßes, welche manche der bereits jetzt vom Rückgang der öffentlichen Gelder, von der Konsumkrise und von sinkenden Jahrgangsstärken getroffenen Verlage in existenzielle Bedrohung bringen würden.

Ich bitte diejenigen Politiker, Schriftsteller, Journalisten, Sprachwissenschaftler und andere Geisteswissenschaftler in diesem Lande, die – Jahre nach der Inkraftsetzung der neuen Rechtschreibregeln – den Eindruck erwecken, als könne man diese Reform jetzt doch noch abschaffen und zum Status quo ante zurückkehren, ihre Autorität nicht für einen rückwärtsgewandten Kampf einzusetzen, sondern ihre intellektuellen Energien dem gemeinsamen Bestreben um die Sicherung der Zukunft der Sprach- und Lesekultur im deutschen Sprachraum zu widmen.“

Ulrich Störiko-Blume

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