Der andere Fragebogen Wie war Ihr Jahr, Gunnar Cynybulk?

Seit dem 6. Dezember 2016 (Nikolaustag) fragen wir wieder bis zum 6. Januar 2017 (Heilige Drei Könige) in der Buchbranche herum: „Wie war Ihr Jahr?“ Heute beantwortet Gunnar Cynybulk, Verlagsleiter Aufbau-Verlag, unseren „etwas anderen Fragebogen“

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Gunnar Cynybulk
  1. Welcher Tag war Ihr schönster in diesem Jahr?
  • Als Philipp Winklers Hool auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis kam und Han Kangs Vegetarierin auf die Bestsellerliste, das fiel auf ein und denselben Tag. In unserem Metier arbeitet man lange ins Nichts hinein, ob als Schriftsteller oder Verlag, ohne eine Resonanz auf das Werk zu bekommen, an das man glaubt und an das man hohe Erwartungen stellt. Wenn dann so ein deutlicher Zuspruch kommt, dann ist das eine Erleichterung, eine Bejahung der Arbeit von uns allen im Verlag, und das ist schön.

2. Worüber haben Sie sich 2016 am meisten geärgert?

  • Über Stilfragen. Dass sowohl in der etablierten Öffentlichkeit als auch in der Amateuröffentlichkeit der sogenannten sozialen Netzwerke immer seltener die richtige Sprache gefunden wird. Die Bugwellen aus Weinerlichkeit und Grobheit verärgern mich. Die hässlichen Menschen, die ich an einem Montag in Dresden auf der Straße sah, die am 3. Oktober vor der Frauenkirche schrien, die finde ich beängstigend. Und beunruhigend finde ich, dass die entscheidenden Politiker eben auch keine Sprache finden.

3. Was war 2016 Ihr schönster Erfolg?

  • Erste Jahreshälfte: Bov Bjerks Auerhaus, zweite Jahreshälfte: Philipp Winklers Hool

4. Und Ihr traurigster Misserfolg war..?

  • Kaum selbst geschrieben zu haben ist kein Misserfolg, aber traurig.

5.I hre schönste Buchhandlung/Ihr liebster Verlag in diesem Jahr?

  • Uslar & Rai, Buchlokal, Büchner, Braun&Hasenpflug: Da ist es schön, da sind die guten Leute. „Liebster Verlag“: Ich bewundere den Fleiß und den guten Geschmack so vieler Kollegen, bestaune die Programme von Rowohlt Berlin, Galiani, Hanser Berlin, Klett u.v.m. Aber die größte Hochachtung habe ich vor den unabhängigen Verlagen und Verlegern, deren Risiko oft existentiell ist – gerade jetzt, im Moment der VG Wort-Rückzahlungen – , deren Bücher toll sind und toll aussehen und die sich obendrein noch in Stiftungen und Verbänden engagieren. Verbrecher, Voland &Quist , Matthes&Seitz, mairisch, Weidle, Schöffling, Jung&Jung, Links: Chapeau!

6. Von welchem Thema wollen Sie (warum) im neuen Jahr nichts mehr lesen?

  • Ich wünsche mir vor allem, dass die Stilfrage (siehe 2.) mehr beachtet wird. Mit Victor Klemperer glaube ich, dass Sprache politisch ist. Schlechter Stil = Schlechte Sitten.

7. Und über welches Thema möchten Sie mehr lesen?

  • Zadie Smith sagt in einem Essay über Kafka, wir, die modernen, selbstentfremdeten Menschen, seien Ungeziefer, die ihre Vorderbeinchen ins Leere schwenken. Mich interessiert, was da zu fassen wäre und worauf die Hinterbeinchen stehen könnten. Ich wünsche mir vor allem eine deutschsprachige Literatur, die um unser Insektentum weiß und daher unabdingbar ist.

8. Welchen Fehler aus diesem Jahr möchten Sie im kommenden Jahr vermeiden?

  • Mehr S-Bahn als Fahrrad zu fahren ist im Grunde kein Fehler, weil man in der S-Bahn lesen kann bzw. lesen könnte, wenn die Wagen nicht so voll wären, wer liest schon im Stehen. Auf dem Fahrrad könnte man Hörbücher hören, z.B. endlich mal den Wilhelm Meister oder so etwas, wenn man ans Überspielen denken würde, so aber würde man doch wieder nur Bruce Springsteen-Lieder abspielen, dessen Autobiografie man allerdings auch gern mal hören würde, aber die hat ja wohl Thees Uhlmann eingelesen, was vielen Leuten gar nicht gefallen hat, also fährt man Auto.

9. Und welchen Fehler werden Sie trotzdem wiederholen?

  • Beim Autofahren zu lesen.

10. Welches Buch hat Ihnen in diesem Jahr besonders viel Freude gemacht?

  • Fotzenfenderschweine von Almut Klotz (Verbrecher Verlag), John Fantes 1933 war ein schlimmes Jahr in der Übersetzung von Alex Capus (Blumenbar bei Aufbau)

11. Welches wird Ihr wichtigstes Buch im neuen Jahr?

  • Im Frühjahr Olga Grjasnowas Roman Gott ist nicht schüchtern, im Herbst Gregor Gysis Autobiografie.

12. Von wem würden Sie auch gern mal Antworten auf diesen Fragebogen lesen?

  • Von Doktor Marcus Karl Gärtner (Rowohlt)

13. Und welche Frage, die wir nicht gestellt haben, hätten Sie gern beantwortet?

  • Wer hätte nun wirklich und ohne Witz den Literaturnobelpreis verdient?

14. Hier können Sie die auch beantworten:

  • Milan Kundera.

Gestern sprachen wir mit Raphaela Sabel über ihr Jahr 2016. Morgen beantwortet Dr. Edmund Labonté unseren „etwas anderen Fragebogen“

 

 

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